Dieser Artikel erschien bereits am 4. April 2014 im „Deutschen Ärzteblatt“ und am 12. April in der PAZ
Von Uta Buhr
Alle zwei Jahre findet in Naumburg das große Uta-Treffen statt. Da strömen Frauen dieses Namens – die meisten bereits im gesetzten Alter – aus allen Teilen Deutschlands und zuweilen auch aus Österreich und der Schweiz in die Domstadt, um der Namenspatronin im Westchor des Naumburger Doms ihre Reverenz zu erweisen, sich gegenseitig kennenzulernen und gleichzeitig die einzigartige Burgenlandschaft an den Ufern der Saale zu erkunden.
In diesen Tagen ist die Domstadt Naumburg von Kopf bis Fuß auf Uta eingestellt. Die jüngste Teilnehmerin am Uta-Treffen ist gerade einmal vierzehn Monate alt. Ihre rüstige Großmutter gleichen Namens steckt der Enkelin einen Schnuller in den Mund, als diese sich während des Festaktes im Dom mit lautem Geschrei bemerkbar macht. Domdechant Curt Becker fährt indes unbeirrt in seiner launigen Rede fort und zeigt sich begeistert darüber, dass manche der insgesamt 118 Utas bereits zu „Wiederholungstäterinnen“ geworden sind.
Das Uta-Treffen ist inzwischen eine feste Institution. Nachdem sich jährlich tausende von Besuchern den Hals verdrehen, um die ebenso schöne wie rätselhafte Stifterfigur der Markgräfin Uta von Naumburg auf der Empore im Westchor des Domes zu bewundern, lag diese Initiative auf der Hand, meint eine Uta aus Leipzig.
Ein Heer von Pressefotografen bittet jetzt zum Gruppenfoto. Unten an der Treppe haben sich drei achtjährige Naumburgerinnen im Uta-Kostüm mit selbst gebastelter Krone aufgestellt. Und im Kreuzgang warten bereits die zwölf Stifterfiguren – die Damen in langen Mänteln mit elegantem Faltenwurf, die Männer bewaffnet mit Schwertern und Schilden, so wie es sich für mittelalterliche Knappen gehört. Trotz Wind und Nieselregen lächelt die hübsche, von Ehemann Ekkehard und Schwägerin Reglindis gerahmte Uta tapfer in die Kameras. „Heute braucht keener eene Motivglocke“, witzelt ein älterer Herr in unverkennbarem Säschsisch, bevor er sich mit einer kleinen Gruppe zur Turmbesteigung aufmacht.
Den Höhepunkt unter den angebotenen Begleitprogrammen bildet die Führung durch die Ausstellung „Weg und Werke des Naumburger Meisters.“ Ein als Naumburger Meister verkleideter Kunstexperte erklärt, inwieweit sich die Stifterfiguren im Dom von den in früheren Epochen geschaffenen Skulpturen unterscheiden. Die Gesichter zeigen zum ersten Mal Emotionen. Wie Uta und ihre Entourage wirklich aussahen, liegt jedoch völlig im Dunkeln. Die Stifterfiguren wurden erst 200 Jahre nach deren Tod, also im 13. Jahrhundert, in Stein gehauen. Unverkennbar ist die Ähnlichkeit der Figuren mit jenen an der Kathedrale von Reims. Der Steinmetz hinterließ seine Handschrift ebenfalls an den Sakralbauten in Metz, Noyon und Mainz. Den Zenit seiner Kunst aber erreichte er in Naumburg. Große Tafeln beschreiben die Ausstellungsstücke im Detail, und Animationen simulieren die „Einpassung“ der Figuren in das Gemäuer des Domes.
Über Mittag sind die Gaststätten und Restaurants der Domstadt bis auf den letzten Platz gefüllt. Einige Utas schlendern vor dem Essen noch über den Marktplatz, der durch seine Geschlossenheit besticht. Mit prachtvollen herrschaftlichen Häusern und einem imposanten Rathaus präsentiert Naumburg sich als Gesamtkunstwerk. Am Nachmittag spannt sich über dem mächtigen Dom ein azurblauer Himmel. Erste Sonnenstrahlen vergolden die hohen Bogenfenster. „Echtes Uta-Wetter“, sagt die platinblonde Uta aus Schwerin, die viel lieber Angelika heißen würde. Aber ihre Mutter war halt so vernarrt in die steinerne Markgräfin.
Die Zwillingsschwestern Claudia und Nadja Beinert aus Staßfurt in Sachsen-Anhalt haben mit ihrem Roman „Die Herrin der Kathedrale“ Uta ein literarisches Denkmal gesetzt. Auf die Lesung in der Marienkirche im Schatten des Naumburger Doms setzt ein wahrer Run ein. Welche Uta möchte nicht erfahren, wie sich das Leben ihrer Namensgeberin abgespielt haben könnte. Denn über die Vita der Markgräfin ist kaum etwas bekannt. Wahrscheinlich lebte sie zwischen 1000 und 1046. In der Fantasie der beiden jugendlichen Autorinnen setzt eine gütige Uta sich nach der Ermordung ihrer Mutter durch den gewalttätigen Vater zeitlebens für Recht und Menschlichkeit ein. Dieser mittelalterliche Thriller wird der Domstadt und ihrer Ikone bestimmt zu noch größerer Popularität verhelfen.
2014 erfüllt das Uta-Treffen einen weiteren Zweck. Die Region Saale-Unstrut mit ihren Burgen, Weinbergen und schmucken kleinen Orten bewirbt sich unter dem Motto „Saale-Unstrut. Meine Welt. Mein Erbe“ um die Aufnahme ins Welt-Kulturerbe. Selbstverständlich bildet Naumburg mit seinem Dom, den Stifterfiguren im Westchor und seinem geschlossenen Stadtbild den Mittelpunkt dieser Initiative. Alle sind zuversichtlich, dass die „Schutzpatronin“ Uta es schon richten wird. Denn wer kann ihrer Anmut und Schönheit widerstehen? Kein Geringerer als Umberto Ecco bekannte unlängst: „Wenn ich ein weibliches Geschöpf aus der Kunstgeschichte treffen wollte, dann Uta von Naumburg oder Leonardos Dame mit Hermelin.“ Vielleicht hat er auch schon eine Rose auf den Sockel unter ihrem Standbild gelegt, wie es manche Herren im reifen Alter zu tun pflegen.
Bevor das Uta-Treffen endet, wird noch einmal Bilanz gezogen. Die meisten der 118 Teilnehmerinnen kamen wie üblich aus der Nachbarschaft – Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Einige wenige aus Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg. 2012 begrüßte Naumburg allerdings eine aparte schwarze Uta aus Jamaika mit Nachnamen Smith. „Weil ich einen so banalen Nachnamen habe, dachten meine Eltern, mein Vorname müsste nun ein ganz besonderer sein“, erklärte sie in einem Interview.
Das nächste Uta-Treffen findet im März 2016 statt. Es liegen bereits zahlreiche Anmeldungen vor.