Von Uta Buhr
„Eine von diesen“, verkündet die Schrift unter den vergoldeten Ziffern der Uhr am Bestattungsforum auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Ein Hinweis auf die Vergänglichkeit menschlichen Lebens: An einer von diesen wird auch Dein letztes Stündchen schlagen.
Es ist nicht von ungefähr, dass Hans-Peter Kurr, Schauspieler, Regisseur und Rezitator von hohem Rang, die stets in mystisches Dunkel getauchte Aussegnungshalle im Forum für die Aufführung von Bettina Katalins Tragikomödie „Knut und Will“ wählte. „Es geht in diesem Stück um die Problematik älterer Menschen, die in Perspektivlosigkeit zu verfallen drohen“, sagt Kurr, der Regie führt. Hier hat die junge, knapp sechsunddreißigjährige Autorin ein hochaktuelles Thema aufgegriffen und hellsichtig umgesetzt. „Knut und Will“ spielt in unserer immer älter werdenden Gesellschaft, erzählt von den Sorgen und Nöten der alternden Generation, und macht den Mangel an Perspektiven auf heitere Weise transparent. Bettina Katalin leuchtet die Befindlichkeit ihrer Figuren bis in den innersten Winkel aus und macht damit die letzten Lebensstufen der älteren Generation wie Einsamkeit, Mutlosigkeit, Krankheit und Tod scheinbar leichtfüßig begehbar und trittfest.
Die Geschichte der beiden Protagonisten Knut und Will ist schnell erzählt: Will, ein philosophierender Vagabund oder vagabundierender Philosoph und Schauspieler, trifft, die Schnapsflasche unter dem Arm, auf Knut, einen wesentlich jüngeren Mann, der ebenfalls zu den Verlierern unserer Ellbogengesellschaft gehört. Zwei gescheiterte Existenzen – Knut, der Schriftsteller mit Schreibblockade auf der einen, Will, Schauspieler ohne Engagement, auf der anderen Seite – schließen sich auf einer Parkbank zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammen. Wider Erwarten begegnet Knut in Helena, einer berühmten Cellistin, der großen Liebe seines Lebens. Als er jedoch die niederschmetternde Diagnose Krebs im Endstadium erhält, zieht er sich total von der Außenwelt zurück. Er schreibt sein Buch zu Ende und stirbt.
Helena und Will bleiben fassungslos zurück. Beide versuchen, auf ihre Weise mit dem Verlust des Freundes zurechtzukommen und Mut zum Weiterleben zu schöpfen. Während Helena sich wieder ihrer Kunst als Musikerin zuwendet, erreicht Will eine lang ersehnte Nachricht. Er soll den Narren im „König Lear“ von William Shakespeare spielen, eine Schlüsselrolle in diesem Königsdrama. Damit wird der Grundtenor von „Knut und Will“ verdeutlicht: Der Alterungsprozess geht zwar einher mit dem allmählichen Verlust von Fähigkeiten, führt aber auch zu neuen Einsichten und letztlich zu Lebensweisheit. Etwas hemdsärmelig ausgedrückt: Freut Euch des Lebens, solange das Lämpchen glüht. Pflücket die Rose, solange sie blüht. Das ist erlebtes Leben bis zum letzten Atemzug!
Drei Schauspieler beherrschten die schlicht ausgestattete Bühne: Hans-Peter Kurr als Will, der mit seiner Präsenz und dem Bassbariton seiner Stimme den beiden anderen Mimen fast die Schau stahl. Dennoch, dezent verhalten mit wunderbarer Sprachdisziplin, begeisterte Catharina Fleckenstein als Helena. Und Joachim Liesert gab den zunächst hoffnungsvollen, später todkranken Knut sehr überzeugend. Doch Hans-Peter Kurr wäre nicht Hans-Peter Kurr, wenn er die Zuschauer nicht noch zum Schluss mit einer Person konfrontierte, die uns tagtäglich auf der Straße begegnet: Ein verlotterter Obdachloser (Hans Kahlert), der einen mit seinen wenigen Habseligkeiten beladenen Aldi-Einkaufswagen vor sich herschiebt. So ist halt das Leben der von vielen verachteten „Loser“ in unserer Überflussgesellschaft.
Ein nachdenklich stimmender Theaterabend, den Cheftechniker Marco Darendorf mit seinen sensationellen, an alte Stummfilme erinnernde Lichteffekte verschönte. Untermalt wurde das Stück durch eine Auswahl herrlicher Kompositionen. Besonders berührten Auszüge aus dem legendären Cellokonzert von Edward Elgar.
Applaus für die Darsteller und Autorin Bettina Katalin, die einen Rosenstrauß aus der Hand der DAP-Präsidentin Johanna Renate Wöhlke erhielt.