Von Dr. László Kova
Kurzbesuch in Masuren
Der Fahrer, der aus Ungarn über die Slowakei Masuren, das ehemalige Ostpreußen, anpeilt, muss viel Geduld beim Autofahren erbringen. Von Budapest aus fährt man fast nur ausschließlich auf Landstraßen, die sehr kurvig und hügelig sind. Diese Straße führt durch Städte, Dörfer und kleine Siedlungen, wo in der Ortsmitte in der Regel nur 30 km/h erlaubt sind. Ampeln und Zebrastreifen strapazieren die Bremsen immer wieder. Für das Genießen der schönen Landschaft bleibt auf diesen schmalen Straßen wenig Zeit: Das Autofahren braucht eine erhöhte Konzentration, besonders wenn man stundenlang im Konvoi zwischen riesigen und schwer beladenen Lastzügen fährt.
Solange die Landstraßen in der Slowakei die Stoßdämpfer des Autos im Übermaß strapazieren, ist es auf der polnischen Strecke ganz anders: Die Straßen wurden oder werden modernisiert, haben eine gute Oberfläche. In den Wohngebieten sind sie mit Blitzanlagen bestück, die man nicht außer Acht lassen darf, falls man den Staatskassen gegenüber geizig ist. Und wenn man nach 9 oder 10 stündiger Fahrt Masuren endlich erreicht, wird der Fahrer für seine Mühen durch die herrliche Landschaft mit „Tausend“ groß- und kleinflächigen, in silbernen Farben glänzenden Seen belohnt. Die Straßen säumen alte, mächtige Bäume, die bei der sommerlichen Hitze reichlich kühle Schatten spenden. Vielleicht ist es gut, dass sie nicht sprechen können, da sie unter ihren Rinden die wechselhafte und oft traurige Geschichte dieses Landes schweigend in sich verbergen.
Im Auge des Reisenden ist hier die Natur noch intakt. Auf den Schornsteinen der Häuser und den Pfählen der elektrischen Leitungen stolzieren sind riesige Nester von anmutigen Störchen angebracht, an denen die Jungvögel eben ihre Flügel trainieren, bevor sie den ersten Flugversuch begehen. Ihre Eltern füttern sie noch fleißig, damit sie bald den wahnsinnig langen Weg nach Afrika überstehen können.
Der Baustil der Häuser in den Städten, wie Schulen, Rathäuser, Krankenhäuser, kommunale Gebäuden u.s.w., bewahrten bis heute die deutsch geprägte Vergangenheit. Nicht nur die Wohnhäuser, sondern auch die Gärten, ebenso die Straßen, Parkanlagen und Wegrande sind beispielhaft gepflegt, es herrscht dort eine gründliche Sauberkeit.
Viele verstehen noch die deutsche Sprache, auch wenn sie anstelle Tür „Tier“ sagen, oder anstelle Kühe „Kiehe“. Von Hand geschnitzte Regale beherbergen bei vielen Familien Bücher von unseren zeitgenössischen Schriftstellern, die von dort stammen, wie z.B. Siegfried Lenz (*1926) oder Arno Surminsky (*1934). Zahlreiche Zeitschriften in deutscher Fassung bezeugen lebhafte, freundschaftliche und kulturelle Kontakte mit Partnerstädten in Deutschland.
Die besondere Schnitzkunst zwingt den Reisenden zum Rast. Am Wegrand der Landstraßen oder an Straßenkreuzungen stehen große Holzskulpturen, oft bunt bemalt, die über die Geschichte der Gegend erzählen oder die Berufe des Dorfes kund tun: z.B. Bootsbau, Gärtnerei, Fischerei…
Masuren hat viele Gesichter. Masuren ist erzählerisch: Es erzählt etwas Anderes im brennenden Sonnenschein als beim von Blitz und Donner begleiteten Regenwetter. Masuren ist prachtvoll im Sommer, ebenso im dick verschneiten Winter. Masuren ist traditionsbewahrend, aber gleichzeitig modern. Masuren ist einladend: Wer einmal da war, kehrt dorthin irgendwann wieder zurück.
Fotos: Dr. László Kova