Liebe Mitglieder, unser Mitglied Jürgen Kausch ist am 30. März in Hamburg im Alter von 72 Jahren verstorben. Als langjäjhriges Mitglied und Beirat war uns Jürgen stets ein warmherziger Kollege und Freund, dessen Sterben uns alle überraschend getroffen hat und mit großer Trauer erfüllt. Der Schriftsteller und Freund Uwe Friesel hat einen Nachruf auf Jürgen Kausch geschrieben, dem in seiner Würdigung nichts hinzufügen ist. Wir danken ihm dafür und veröffentlichen ihn hier auf unserer Seite auch in unserem Namen. Die Trauerfeier für Jürgen wird am Freitag, den 13. April 2012 um 12 Uhr in der Bismarck Gedächtniskirche zu Aumühle in der Börnsener Straße stattfinden.
Uwe Friesel
Nachruf auf Jürgen Kausch
Unsere Gesellschaft ist geneigt, Allgemeinbildung zu verachten und Spezialwissen, das sich als Sachkenntnis ausgibt und allerlei Karrieren zulässt, zu hofieren. Dass es sich bei diesem Spezialwissen oft nicht um Bildung, sondern um Einbildung handelt, spielt in unserer auf Profit und Konsum bedachten Gesellschaft kaum eine Rolle. Deshalb haben Technokraten und Bürokraten bei uns Konjunktur, während der Hinterfragende, der In-Frage-Stellende, dem andere Werte wichtiger sind, gern ins Abseits gedrängt wird.
Doch gerade wir Autoren wissen, dass wir ohne unseren geheimen Dialogpartner, den Leser, nichts wären.
Jürgen Kausch war ein Leser par excellence. Würden alle Deutschen eine derartige Liebe zum gedruckten und sorgsam edierten Buch entwickeln wie er sie zeitlebens hegte, wir hätten keine Krise der Literatur. Er war, wiewohl umfassend gebildet, nicht einfach ein Leser des Bewährten, ein Kenner von Klassik, Romantik und Moderne, sondern er wagte es, sich mit dem Neuen, gerade Entstehenden auseinander zu setzen. Und auch da folgte er nicht den Bestsellerlisten, sondern seiner ureigensten, stets wachen literarischen Neugier. So habe ich ihn bereits in den Sechzigern erlebt, als wir jungen Spunde von „Hamburg Linksliterarisch“ wahrhaftig noch keine überdauernde Lyrik, sondern eher gedruckte Pamphlete vortrugen, die dem Zeitgeist verpflichtet waren.
Aber das war ja auch wichtig, wie wir heute wissen. Denn die Beobachtung der Achtundsechziger traf ja zu: „Unter den Talaren / Muff von tausend Jahren.“ Jürgen Kausch, als jemand, der das Kriegsende als kleiner Junge durchaus noch mitbekommen hatte, war natürlich entsetzt über bestimmte Beharrungsphänomene in Justiz und Lehre, und sehr frühzeitig erkannte er, dass die Wahrheit über unsere Vergangenheit eher bei Autoren wie Böll und Grass und Andersch zu finden war als in den gängigen Universitäts-Seminaren jener Zeit.
Er tat zweierlei: er setzte sich mit der in den Sechzigern neu entstehenden Literatur auseinander, blieb also keineswegs bei den Großautoren der Gruppe 47 stehen, und er bewegte sich auf eine protestantische Kirche zu, deren neue Weltoffenheit und schließendliches Bekenntnis, dass die Bekennende Kirche des Dietrich Bonhoeffer wohl doch die einzige, wirklich zu ihrem Wort stehende gewesen war, ihm imponierten und zugleich moralischen Halt gaben.
Bei Bonhoeffer etwa konnte er lesen – und er mag sich dabei wie in einem Spiegel selbst erblickt haben:
„Qualität ist der stärkste Feind jeder Art von Vermassung. Gesellschaftlich bedeutet das den Verzicht auf die Jagd nach Positionen, den Bruch mit allem Starkult, den freien Blick nach oben und nach unten, besonders was die Wahl des engeren Freundeskreises angeht“.
Vor allem auch die ökumenische Bewegung im Sinne Bonhoeffers wurde ihm dann ein Leitbild, von dem er ganz persönliches praktisches Handeln ableitete. Wie oft ist er mit Menschen aus fernen Kontinenten, die bei seiner St. Markus-Gemeinde zu Gast waren, durch Hamburg gezogen, um ihnen ein lebendiges Bild seiner geliebten Hansestadt zu vermitteln! Wie häufig auch mit ihnen an die Kieler Förde hinaus gefahren, wo seine Familie ein Haus besitzt mit weitem Blick über Wasser und Schiffe, vor allem Fähren nach Skandinavien, deren Wege er ja kannte, hat er doch selbst lange in Finnland Deutsch und vergleichende Sprachwissenschaften gelehrt.
Vom Studium her war er ein Linguist, einer, der wie nur wenige die Sprachen vergleichen und sehr viele davon auch sprechen konnte. Das Unterscheidende und das Ähnliche, das Trennende wie das Überbrückende der Sprachen zogen ihn so magisch an wie die Literaturen, die in diesen Sprachen geschrieben wurden. Sie füllten seinen Geist ganz aus und wurden die Leidenschaften seines Lebens.
Und eben deshalb, ich wiederhole mich gern, konnte es keinen besseren Leser geben als Jürgen Kausch, der sich nie zu schade war, in der Markuskirche bei den buchstäblich Völker verbindenden bosnischen Festen seiner Partnerin Emina Kamber für uns Autoren den Büchertisch zu betreuen: fachgerecht, denn das hatte er auch gelernt.
Bei all dem war er, als Gastgeber wie als Freund, von einer Generosität und Herzensgüte, die ihresgleichen sucht. Es war schwierig, ihm ein Buch zu schenken. Mit der Begründung, wir freien Autoren, die ja auf dem dschungelhaften Büchermarkt genau genommen vogelfrei seien, hätten nichts zu verschenken, bestand er darauf, bei Lesungen unsere Bücher stets zu kaufen. Nur signieren sollten wir sie ihm kostenlos. Das zeigt seine Hochachtung vor der geistigen Leistung ebenso wie sein praktisches Wissen darum, dass nicht alle Autoren Bestseller schrieben oder zu den so genannten Erfolgsautoren zählten. Doch deshalb galten sie ihm keineswegs als geringer. Was in der Literatur gut war oder was schlecht, entschied er selbst und nicht der Großkritiker aus SPIEGEL, FAZ oder ZEIT.
Ja, Jürgen Kausch war ein unabhängiger Denker und womöglich auch manchem unbequem. Der aufrechte Gang war ihm wichtig. Und womöglich hielt ihn diese Eigenschaft von Karrieren fern, in denen er den Rücken hätte verbiegen müssen.
Jürgen: wir Hamburger Autoren werden wohl nie wieder einen Leser und Begleiter finden wie Dich. In dieser seltenen Besonderheit und warmherzigen Humanität wollen wir Dich im Gedächtnis behalten.
Fotos: Johanna R. Wöhlke