Von Dr. Manuel Ruoff
Erleben wir mit England ein zweites Griechenland? Bezüglich der Bevölkerung sicherlich nicht. Selbstdisziplin und Arbeitsethos des protestantischen Inselvolkes ähneln eher den deutschen als den griechischen. Und wenn britisches Understatement und preußisches „Mehr sein als scheinen“ auch nicht identisch sind, so ist doch beiden Nationen die Protzsucht französischer Sonnenkönige fremd. Allerdings hat Großbritannien mit Premier David Cameron einen Regierungschef, der – wie weiland Giorgos Andrea Papandreou mit dem geplanten Referendum –, durch die Rücksichtnahme auf Volkes Wille die Entwicklung der Europäischen Union Richtung totalitärer Überstaat zu stören droht. Darauf reagiert die EU in der aktuellen Schuldenkrise ähnlich gereizt wie 1968 das sozialistische Lager auf Alexander Dubcek, der damals auch aus der Reihe zu tanzen drohte.
Doch nicht nur wegen dieser Analogie sollte Cameron unsere Sympathie und Solidarität gehören. Gerne wird der von den Briten verteidigte sogenannte BritenRabatt als ungerechte Extrawurst dargestellt. Dabei ist nicht ungerecht, dass die Briten Rabatt bekommen, sondern dass die Deutschen ihn nicht kriegen. Mit ihrem Agrarprotektionismus, ihrem traditionellen Kernstück, benachteiligt die EWG/EG/EU Industrienationen zugunsten von Agrarstaaten. Das hatte den Effekt – wenn nicht gar den Zweck –, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg auch ohne Friedensvertrag wie nach dem Ersten hohe Summen an Frankreich ohne Gegenleistungen bezahlt hat. Großbritannien ist nun wie Deutschland eine Industrienation. Es ist jedoch weder Kriegsverlierer noch wurde es besetzt. Dort hat es weder einen Regime-Wechsel noch eine Reeducation gegeben. Und einen Regierungschef der Alliierten gab es auch nicht. Deshalb sah London auch keinen Grund, Frankreichs Landwirtschaft zu subventionieren. So wurde die Benachteiligung als Industrienation durch den Britenrabatt kompensiert – völlig legitim.
Nicht weniger legitim ist, dass die Briten mit der Finanztransaktionssteuer einen Wettbewerbsnachteil ihrer volkswirtschaftlich wichtigen Finanzbranche gegenüber außereuropäischer Konkurrenz ablehnen. Und auch die britische Ablehnung des Mehrheitsprinzips bei Abstimmungen ist legitim, da demokratisch. Die Zusammensetzung der EU-Gremien spiegelt jene der EU-Bevölkerung verzerrt wider. Je nach Nationalität sind einige Bevölkerungsgruppen über-, andere unterrepräsentiert. Daraus resultiert solange keine Ungerechtigkeit, wie jede Bevölkerungsgruppe zumindest einen Fürsprecher hat – und eben das Einstimmigkeitsprinzip gilt.
Felix Britannia! Wo ist nur der David Cameron der Deutschen?
Manuel Ruoff