Von Michael Buschow
Pavel Kohouts reale Fiktion nach George Orwell im Hamburger Sprechwerk
Vor ausverkauftem Haus wurde im Theater Sprechwerk ein bedrückendes Stück gegeben. 1984 – Ein Alptraum, in der Fassung Kohouts nach Orwell und mehr muß man über den Inhalt auch nicht mehr sagen, denn wahrscheinlich jeder der letzten zwei Generationen hat dieses Ur-Buch der diktatorisch-technischen Überwachungsfiktion mindestens einmal in der Schule gelesen und interpretiert.
Bei solch einem Magengruben-mulmigen Inhalt erwartete wohl kaum ein Theaterbesucher lockere Unterhaltung (obwohl hin und wieder aus den Zuschauerreihen, zumindest anfangs, ein unerklärlicher Lacher zu hören war = 2 Ungut Punkte).
Das spartanische Bühnenbild passte und die ständigen Videoeinspielungen mit Lautsprecherdurchsagen und Brüllattacken vermittelten dem Zuschauer gekonnt die kalte Bedrohung durch technische Suggestion.
Allerdings gingen die brutalen Schläger und Folteraktionen auf der Bühne für die Zuschauer hart bis an die Grenze des Erträglichen.
Die Darsteller, allen voran die beiden Hauptakteure Tobias Kilian als „Winston Smith“ und Ines Nieri als „Julia“ waren großartig, nicht minder Jasmin Buterfas (Frau Carrington/Frau Parsons) und Stephan Arweiler (Syme/Polizist). Den Schauspieler Tom Pidde alias „O´Brian“ für dieses Stück zu verpflichten, war seitens der Regisseurin Konstanze Ullmer ein regelrechter Geniestreich. Dieser glatzköpfige, putinsche zwei-Meter Mann, eloquent-charmant, kalt-überlegen oder brutal-zynisch personifizierte die herrschende Klasse der Machtmenschen überzeugend. Bravo!
Zum Schluß aber doch noch ein kleiner Wehmutstropfen: Wir leben im Jahre 2014 und Orwells Fiktion, mindestens was die Überwachungstechnik betrifft ist Kindergartenkram gegen den heutigen, tatsächlichen Istzustand. Lustige Langnese-Eiswerbung, Angela Merkel oder Videos mit aktuellen Tagesschau-Kriegs-Reportagen als Schlußpunkt der Aufführung zu zeigen, nur um den Bogen in die Jetztzeit zu spannen, war etwas zu viel des Guten. Der Zuschauer hatte doch längst, noch bevor er auf seinem Stühlchen saß kapiert, daß zum Beispiel ein Edward Snowden, NSA oder BND real sind und Orwells 1984 nur die damalige Vorspeise eines Vordenkers war.
Das empfanden auch viele im schließlich leicht verunsicherten Publikum so.
Nichtdestotrotz – es ist immer gut und wichtig neben der aktuellen Berichterstattung in den Medien – auch im Kunstbetrieb das Augenmerk der Menschen fokussiert auf politische Entwicklungen zu lenken.
Die Kunst hat da doch ganz andere Möglichkeiten – und Verpflichtungen.
Diesen ist das Sprechwerk nachgekommen. „Doppel-Plus“, um bei der Terminologie zu bleiben.