erschienen in der PAZ
Von Dr. Manuel Ruoff
Mit dem Einmarsch in Schleswig wurde vor 150 Jahren aus einer Bundesexekution ein internationaler bewaffneter Konflikt
Im Zeitalter des Nationalismus entwickelte sich die Herrschaft des dänischen Königs im mehrheitlich von Deutschen bewohnten Schleswig und dem sogar zum Deutschen Bund gehörenden Holstein zu einem Anachronismus und zu einem Stachel im Fleisch der deutschen Nationalbewegung. Die in gewisser Hinsicht vergleichbare Herrschaft der britischen Könige über Hannover hatte 1837 mit dem Tode Wilhelms IV. aufgrund unterschiedlicher Erbfolgeregelungen in den beiden Königreichen ein harmonisches und unblutiges Ende gefunden. Ein ähnlich harmonisches und unblutiges Ende schien ursprünglich auch der Personalunion zwischen Dänemark auf der einen Seite sowie Schleswig und Holstein auf der anderen nach dem Tode Friedrichs VII. am 15. November 1863 beschieden zu sein. Zur Entrüstung der deutschen Nationalbewegung gelang es Friedrich jedoch, die Personalunion über seinen Tod hinaus zu sichern, indem er in den Elbherzogtümern die Erbfolge seines Königreiches durchsetzte. Hierfür erhielt er sogar 1852 im Londoner Protokoll den Segen der fünf europäischen Großmächte und Schwedens.
Die Fortsetzung der Personalunion genügte den dänischen Nationalisten jedoch nicht. Sie erstrebten einen dänischen Nationalstaat unter Einschluss Schleswigs mit der Eider als Südgrenze. Diese sogenannte eiderdänische Bewegung war derart stark, dass sie die Einführung einer gemeinsamen Verfassung für Dänemark und Schleswig durchsetzen konnte. Drei Tage nach dem Tode seines Vorgängers Friedrich VII. unterzeichnete Christian IX. diese sogenannte Novemberverfassung.
Damit verstieß Dänemark gegen das von ihm selber unterzeichnete Londoner Protokoll, denn als Gegenleistung für die Anerkennung der Fortsetzung der Personalunion über Friedrichs VII. Tod hinaus hatten die deutschen Großmächte erreicht, dass das im Vertrag von Ripen 1460 den Schleswig-Holsteinern gewährte Recht, „up ewig ungedeelt“, also auf ewig ungeteilt zu sein, ebenfalls von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wurde. Eine Verfassung, die für Schleswig, aber nicht für Holstein galt, verletzte indes diesem Recht.
Die Dänen hatten sich damit dorthin manövriert, wo Preußens damaliger Ministerpräsident Otto von Bismarck sie haben wollte: ins Unrecht. Solange er die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahrte, hatte er nun die Möglichkeit, gegen die Dänen vorzugehen, ohne Sanktionen der nichtdeutschen Großmächte fürchten zu müssen, die das Londoner Protokoll ja selbst unterzeichnet hatten.
Bismarck war in seiner Schleswig-Holstein-Politik flexibel. Er selber sprach von einer Klimax der Ziele. Seine Politik war geprägt von der Einstellung, „dass die Personalunion der Herzogtümer besser war als das, was existierte; dass ein selbstständiges Fürstentum besser war als die Personalunion und dass die Vereinigung mit dem preußischen Staat besser war als ein selbstständiges Fürstentum“. Nun ging es erst einmal darum, die Einverleibung Schleswigs durch die Dänen rückgängig zu machen.
Bei der Verfolgung dieses Zieles konnte Bismarck die Österreicher mit ins Boot holen. Zum einen hatten diese das Protokoll ebenfalls unterzeichnet. Zum anderen wäre es mit ihrem Selbstverständnis als Führungsmacht des Deutschen Bundes schwerlich vereinbar gewesen, die Verteidigung des Rechts der zum Bund gehörenden Holsteiner, mit den Schleswigern ungeteilt zu leben, alleine den Preußen zu überlassen.
So setzten die beiden deutschen Großmächte durch, dass der Bundestag in Frankfurt eine Bundesexekution gegen den Herzog von Holstein, sprich den Dänenkönig, beschloss. Für diese Maßnahme stellten die deutschen Mittelstaaten Hannover und Sachsen jeweils 6000 Mann und die beiden Großmächte je 35000 Mann zur Verfügung. Am 22. Dezember 1863 standen zum Einmarsch bereit die Sachsen in Boitzenburg, die Hannoveraner bei Harburg und Lüneburg, die per Eisenbahn angereisten Preußen bei Hagenow und Wittenberg sowie die aus Prag per Schiff über die Elbe herangeführten Österreicher in Hamburg.
Die Dänen verzichteten auf die Verteidigung Holsteins. Von den Holsteinern in dänischen Diensten war keine große Kampfmoral im Kampfe gegen ihre deutschen Landsleute zu erwarten; und Dänemarks Nationalisten, die damals die Politik des Königreiches bestimmten, erhoben für ihren angestrebten großdänischen Nationalstaat zwar Anspruch auf Schleswig, aber nicht auf Holstein, das selbst sie als deutsch anerkannten.
So vollzog sich der Einmarsch der Exekutionstruppen in Holstein unblutig. Den Anfang machten die Sachsen, die mit General Heinrich Gustav Friedrich von Hake auch den Befehlshaber der Exekutionstruppen stellten. Sie überschritten als erste am 23. Dezember 1863 die holsteinische Südgrenze. Aufgrund des ausbleibenden dänischen Widerstandes konnte Hake bereits zwei Wochen später den Abschluss der Besetzung Holsteins vermelden.
Weil die dänischen Nationalisten keinen Anspruch auf Holstein erhoben, ließ sich allein mit dessen Besetzung keine Rücknahme der dänischen Novemberverfassung erzwingen. Zu Recht erkannte man in Wien, „der Bund wird nicht wohl ein Expeditionskorps nach Holstein schicken können, um ein gleichgültiger Zeuge der Inkorporation Schleswigs in das Königreich Dänemark zu sein“. Der Kaiserstaat kam deshalb mit Preußen in der Punktation vom 16. Januar 1864 überein, Dänemark ultimativ aufzufordern, „die Verfassung vom 18. November 1863 in Ansehung des Herzogtums Schleswig definitiv zurückzunehmen“. „Erfolgt diese Zurücknahme nicht binnen 48 Stunden“, so heißt es in der Punktation weiter, „so werden die Gesandten Österreichs und Preußens Kopenhagen verlassen und das Herzogtum Schleswig wird von den schon in Bereitschaft gehaltenen österreichischen und preußischen Truppen sowie von den etwa nach Maßgabe der ebenfalls in Frankfurt zu treffenden Anordnungen weiter heranzuziehenden Bundestruppen besetzt werden.“
Ein Antrag der beiden Staaten, dass sich der Deutsche Bund an dieser Verstärkung des Drucks auf Dänemark beteiligt, scheiterte jedoch am 14. Januar 1864 im Bundestag, so dass nun die beiden Signatarmächte des Londoner Protokolls alleine am 16. Januar Dänemark das zweitägige Ultimatum stellten. Die Dänen ließen das Ultimatum verstreichen und am 1. Februar 1864 überschritten die Truppen der beiden deutschen Großmächte mit der Überquerung der Eider die Nordgrenze des Deutschen Bundes. Aus einer Bundesexekution, sozusagen einer innerdeutschen Angelegenheit, war damit ein internationaler bewaffneter Konflikt, der Deutsch-Dänische Krieg geworden.