Dieser Artikel erschien am 12. Dezember 2012 in Schleswig-Holstein und erscheint am 26. Januar 2013 in der PAZ
Von Uta Buhr
Weihnachten liegt hinter uns. Dennoch möchten wir unseren Lesern ein Land nicht vorenthalten, in dem der Winter das Leben der Einheimischen erst richtig schön macht – und das zwar auch aber nicht nur zur Weihnachtszeit. Finnland im Winter ist unschlagbar. Wenn das Land vor Kälte erstarrt, kommen die Einheimischen erst richtig auf Touren
Als die M/S „Finnlady“ nach einer ruhigen Fahrt über die Ostsee am Pier von Helsinki anlegt, fällt der Schnee in dichten Flocken. Er legt sich auf das Dach der alten Markthalle am Hafen und setzt der mächtigen Kuppel des Doms am Senatsplatz eine weiße Pudelmütze auf. Auch die majestätische Statue Zar Alexanders II. vor der Kirche trägt heute kaiserliches Hermelin über ihrer strengen Uniform. Die 2012 zur Welt-Designhauptstadt gekürte finnische Metropole präsentiert sich im schönsten Weihnachtsdekor und lockt mit einem schier unerschöpflichen Angebot ebenso schöner wie origineller Kostbarkeiten aus Glas, Leder, Stoff und Holz.
„Weiße Nächte haben wir nicht nur zur Zeit der Mitternachtssonne im Sommer“, erklärt unsere Begleiterin Anu Koski. „Während der dunklen Jahreszeit in unseren Breiten ersetzt der Schnee mit seiner Helligkeit die Sonne.“ Während die Flocken treiben, fahren wir durch eine weiße Märchenlandschaft, in die kleine Dörfer und Weiler wie mit einem Pinsel hineingetupft zu sein scheinen.
Auf unserem Weg in den äußersten Südwesten Finnlands streifen wir Ainola, eine finnische Seelenlandschaft. Gelegen an einem romantischen See, umgeben von verschneiten Feldern und Wiesen, liegt ein schlichtes Holzhaus, in dem der Komponist und Nationalheld Jean Sibelius bis zu seinem Tode im Jahr 1957 lebte und arbeitete. Warum, fragen wir erstaunt, erklingt denn hier keine Musik des Meisters, zum Beispiel ein Satz aus seiner berühmten Symphonie „Finlandia?“ Das hätte der große Mann auf keinen Fall gewollt, sagt die junge Frau am Eingang. Sibelius liebte die Stille, wollte eins sein mit der Natur. Selbst seine fünf Töchter durften den kostbaren Steinway-Flügel im Salon nur bespielen, wenn ihr Vater das Haus verlassen hatte. Im Garten des Anwesens ist es ganz still. Nur hin und wieder ist der Schrei eines Vogels aus den Tiefen des Waldes zu hören.
Am frühen Morgen überqueren wir eine lange Hängebrücke, die die Enge des Sees Vanajavesi überspannt. Unweit des Ufers baute Emil Wikström, der bedeutendste Bildhauer der finnischen Nationalromantik, Anfang des 20. Jahrhunderts nach eigenen Entwürfen sein einer mittelalterlichen Burg nachempfundenes Studio mit Observatorium. „Dieses Haus wurde ganz aus Holz konstruiert und gilt als ein besonders schönes Beispiel karelischer Architektur“, erklärt ein junger Student, der uns auf die vielen Jugendstilelemente in den Räumen hinweist. Die Skulpturen und Statuen des Künstlers schmücken Helsinkis monumentale Bahnhofshalle und viele öffentliche Gebäude in ganz Finnland.
Am Nachmittag bricht die Sonne durch die graue Wolkendecke und taucht die winterliche Landschaft in goldenes Licht. Die Tannen in den umliegenden Wäldern biegen sich unter den Schneemassen; die Holzhäuser am Wegesrand scheinen mit Zuckerguss überzogen. Nach Einbruch der Dämmerung erreichen wir Tampere. Elegante schlichte Lichterketten – Eiskristallen gleich – schmücken Straßen und Plätze der drittgrößten Stadt Finnlands mit ihren knapp 200 000 Einwohnern. Sehenswert sind die aus blau-grauem Granit im Stil der Nationalromantik errichtete Domkirche (Tuomiokirkko) mit ihren bunten Mosaikfenstern sowie die Kalevakirche aus dem Jahr 1960, deren 30 Meter hohes Schiff sich über die Dächer der Stadt erhebt.
Willkommen in der Weihnachtsstadt Turku! Hier, in der südwestfinnischen Region Varsinais-Suomi, ist der Legende zufolge Knecht Ruprecht zuhause, der, hoch auf seinem von Rentieren gezogenen Schlitten thronend, Geschenke an gottesfürchtige Menschen überall im Land verteilt. Und dies seit dem 13. Jahrhundert, als Turku, Finnlands älteste Stadt und einstige Kapitale, gegründet wurde. Das Stadtbild prägt der Aurajoki an dessen Mündung die trutzige mittelalterliche Burg liegt. Den schwedischen Eroberern waren bereits im 12. Jahrhundert Kaufleute gefolgt, die mit den Bewohnern der Küstenregion einen schwungvollen Handel trieben. Aus diesen Anfängen entwickelte sich ein Gemeinwesen, das mit der Jahreszahl 1229 in die Annalen des Landes einging. Seinerzeit verlegte Papst Gregor IX. den Bischofssitz an den Aurajoki, der im Volksmund kurz Aura heißt.
Vorsichtig tasten sich junge Leute Schritt für Schritt auf dem Aura voran. Er ist schon mit einer Eisschicht bedeckt, die allerdings noch nicht so recht trägt. „In ein paar Tagen ist das Eis dick genug, dass man gefahrlos darauf Schlittschuh laufen kann“, prophezeit eine Stadtführerin. Dann beginnt hier der richtige Winter, freut sie sich. Denn wenn’s richtig kalt wird, bleiben die Finnen nicht in ihren vier Wänden. „Stubenhocker sind wir nicht“, lacht sie. Selbst bei Minustemperaturen trainiert ihr zehnjähriger Sohn auf dem Fußballfeld, das seit einiger Zeit sogar beheizt wird.
Das Herzstück Turkus bildet der imposante Dom, dessen Ursprung auf eine 1229 erbaute Holzkapelle zurückgeht. Obwohl jede Epoche noch Teile im jeweiligen Zeitgeist dazubaute, überwiegt der spätromanische Eindruck. In unmittelbarer Nähe des Domplatzes liegt die alt-ehrwürdige Universität, die gegen Mitte des 17. Jahrhunderts auf Betreiben der schwedischen Königin Kristina errichtet wurde, und einen Steinwurf weiter befindet sich ein bemerkenswertes Museum, das Jean Sibelius gewidmet ist. Eine ganz wichtige Rolle im Leben der Stadt aber kommt dem Balkon am barocken Bürgerhaus auf dem Plispankatu 14 zu. Am 24. Dezember eines jeden Jahres wird hier von einem der Honoratioren Turkus unter den traditionellen zwölf Schlägen der Glocken am Dom der Weihnachtsfriede über Stadt und Land verkündet. Ein wunderbarer Brauch, der allen Finnen seit jeher heilig ist.
Fotos: Stadt Turku