erschienen in der PAZ
Von Dr. Manuel Ruoff
Die Ochsentour führte ihn bis an die Spitze von Partei und Fraktion, SPD-Apparatschik im Windschatten Größerer
„Ein leeres Taxi fährt vor dem Bundeshaus vor. Wer steigt aus? Erich Ollenhauer.“ Dieser zeitgenössische Witz spricht Bände über den Nachfolger Kurt Schumachers und Vorgänger Willy Brandts als Vorsitzender und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. In seiner Eigenschaft als farbloser Berufspolitiker war der Verlegenheitskandidat an der SPD-Spitze seiner Zeit weit voraus.
„Der Bundestag ist mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer.“ Auch in diesem Punkte war Erich Ollenhauer seiner Zeit voraus. Als der FDP-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff diese Feststellung traf, war Ollenhauer schon längst Geschichte. Ollenhauer war zwar kein Lehrer, aber er wäre gerne einer geworden. Und dass er es nicht wurde, war nicht seine Schuld, sondern lag an den Zeitumständen. Wäre Ollenhauer einige Jahrzehnte später geboren, hätte er es dank Schüler-Bafög, Bafög und Friedrich-Ebert-Stiftungs-Stipendium sicherlich bis in die Klassenräume geschafft. In seiner Jugend spielten jedoch noch die finanziellen Verhältnisse der Eltern eine größere Rolle.
Der am 27. März 1901 zur Welt gekommene gebürtige Magdeburger stammte sowohl väter- als auch mütterlicherseits aus einer Handwerkerfamilie. Sein Vater Erich Ollenhauer verdiente als Maurer sein Geld und seine Mutter Marie geborene Seeger als Büglerin für Feinwäsche. Ollenhauers schulische Ausbildung beschränkte sich auf den Besuch der Volksschule. Anschließend absolvierte er in seiner Heimatstadt eine kaufmännische Lehre in einer Lack- und Farbenfabrik.
Nach zwei kurzzeitigen Anstellungen fand Ollenhauer im SPD-Konzern schließlich seinen Arbeitgeber. Wenn es ihm auch versagt geblieben war, als Lehrer Staatsdiener zu werden, so war er doch fortan als Parteidiener vor den Unbilden des Kapitalismus geschützt. Sein Elternhaus war sowohl väter- als auch mütterlicherseits bereits sozialdemokratisch geprägt und so wuchs auch er in die Partei hinein. 1916 wurde er Mitglied der SPD-Jugendorganisation und im Monat der Novemberrevolution auch der SPD selber.
1919 begann er ein Volontariat bei der „Volksstimme“, einem SPD-Organ seiner Heimatstadt. Der Ausbildung folgte die Übernahme als Redakteur und die Heirat mit der dortigen Redaktionssekretärin Martha Müller. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor. Der eine wurde technischer Angestellter bei der Bundespost, der andere Mitarbeiter der Hohen Behörde der Montanunion.
Von der SPD-Zeitung wechselte Ollenhauer bereits 1920 zur SPD-Jugendorganisation, was für ihn mit einem Umzug in die Reichshauptstadt verbunden war. Bei der Parteijugend setzte er zwar seine journalistische Tätigkeit insofern fort, als er nun für deren Zeitschrift „Arbeiterjugend“ als Redakteur arbeitete, doch hauptsächlich war er nun Funktionär, womit er nach seinem Arbeitgeber auch seinen Beruf gefunden hatte. Die Funktionärskarriere begann 1920 als Sekretär des Hauptvorstandes der Parteijugend. Als 1927 deren Vorsitzender Max Westphal mit 32 als Parteisekretär in den Parteivorstand wechselte, wurde der sechs Jahre jüngere Sekretär sein Nachfolger im Vorsitz. Irgendwelche spektakulären Alleingänge der SPD-Jugendorganisation sind aus der Zeit Ollenhauers als Vorsitzendem nicht bekannt.
Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde der mittlerweile 32 Jahre alte Ollenhauer im April 1933 in den SPD-Vorstand gewählt. Anschließend gehörte er dem Exilvorstand der Partei an. Mit diesem emigrierte er erst nach Prag und dann nach Paris. Als nach Prag auch Paris unter nationalsozialistische Herrschaft gelangte, floh er mit dem Exilvorstand weiter nach London. Im Exil beschäftigte sich Ollenhauer primär damit, die emigrierten Parteifreunde beieinander zu halten und materiell zu versorgen. Dabei unterstützte ihn die britische Schwesterpartei Labour. Im Zuge dieser Zusammenarbeit kam es zu wichtigen Kontakten Ollenhauers mit britischen Politikern. So war er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch das einzige Mitglied des Exilvorstandes, dem die Briten die Teilnahme an der Wennigser Konferenz gestatteten, auf der Kurt Schumacher als Beauftragter für die Westzonen mit der Leitung des Wiederaufbaus der Parteiorganisation betraut wurde.
Der nicht emigrierte Schumacher wurde der neue starke Mann der SPD in den deutschen Westzonen und der Emigrant Ollenhauer dessen enger Mitarbeiter und Vertrauter. Auf dem ersten Nachkriegsparteitag der (West-)SPD wurde Ollenhauer 1946 Zweiter Vorsitzender. Und wieder übernahm Ollenhauer vornehmlich organisatorische Aufgaben. Als sich 1949 der Deutsche Bundestag konstituierte, wurde Ollenhauer auch dort Schumachers Stellvertreter. Ollenhauer erarbeitete sich den Ruf des geborenen zweiten Mannes. Mit seiner Organisationsarbeit hielt der Apparatschik seinen Chefs, die sich so auf die politische Arbeit konzentrieren konnten, den Rücken frei.
1952 jedoch starb mit Schumacher sein letzter Chef und keine unumstrittene Führungspersönlichkeit stach als dessen Nachfolgekandidat hervor. So rückte Ollenhauer als Kompromisskandidat einfach einen auf – und zwar sowohl in der Partei als auch in der Fraktion. Dabei half ihm seine gute Vernetzung als langjähriger Parteifunktionär und zuständiges Mitglied des Exilvorstandes für die Versorgung der Exilanten. Und wenn Ollenhauer auch kein großer politischer Kopf war, so galt er doch als grundsolide und diszipliniert.
In Ollenhauers Amtszeit als SPD-Vorsitzender fiel das Godesberger Programm und damit der Wechsel von der Arbeiter- zur Volkspartei. Dieses war nicht Ollenhauers Projekt, aber er ließ es geschehen und beförderte es damit auf seine Weise. Denn gerade dadurch, dass dieser Wechsel nicht unter der Ägide eines ausgewiesenen Reformers wie Willy Brandt, Fritz Erler oder Herbert Wehner stattfand, sondern unter der eines als grundsolide und diszipliniert geltenden bewährten Parteisoldaten, wurde ihm seine Sprengkraft für die Partei genommen. Insofern hatten die Reformer auch kein Bedürfnis, Ollenhauer zu stürzen. Es genügte ihnen, ihn mehr oder weniger schleichend zu entmachten. So wurde er 1961 nicht mehr als Kanzlerkandidat aufgestellt. Als Ollenhauer am 14. Dezember 1963 in Bonn starb, war er jedoch nach wie vor sowohl Partei- als auch Fraktionsvorsitzender. Erich Ollenhauer ist damit bis heute der letzte Sozialdemokrat, der beide Ämter bis zu seinem Tode bekleidete.