Eine kurze Kulturgeschichte des berühmtesten Fleischklopses der Welt
Von Uta Buhr
Jenseits der Grenzen tut sich ein Hamburger häufig schwer. Nach seiner Herkunft gefragt, leuchten die Augen des Gegenübers auf: „Ah, Reeperbahn“, ruft er aus und schnalzt genüsslich mit der Zunge. Ein Franzose fügt fast immer ein viel sagendes „Oh, là, là“ hinzu. Stets wohliges Erschauern bei der Erwähnung der jugendlichen Bewohner des Schanzenviertels und ihrer „feurigen“ Straßenfeste. Doch das ist noch lange nicht alles. Gern identifizieren Ausländer den stolzen Hanseaten mit einem Fleischklops, der – fatal genug – seinen Namen trägt. „Sie sind ein Hamburger“, witzeln sie. „Ich mag meinen am liebsten mit Salatblatt und viel Tomatenketschup!“ Der Verhohnenpipelte lächelt gequält und fühlt sich hilflos. Haltung bewahren, denkt er, oder soll er sich das nächste Mal lieber hinter dem Titel „Hanseat“ verstecken? Doch aufgepasst, denn eben das kann voll ins Auge gehen. Es gibt doch tatsächlich Menschen, die wissen, dass unter anderen auch Bremer und Lübecker zu dieser besonderen Spezies gehören. Bleiben wir also beim Hamburger und finden es schon irgendwie „gediegen“, dass viele von auswärts noch nie etwas von den Schönheiten unserer Vaterstadt gehört zu haben scheinen – von den herrlichen Parks, den prächtigen Villen, von Alster und Elbe! Doch es geschehen noch Zeichen und Wunder. Der seriöse Engländer, der unlängst im Flugzeug neben mir Platz genommen hatte, kam der Wahrheit schon etwas näher. „Bei Ihnen gibt es doch so einen Teich, auf dem man auch segeln kann. Ganz nett, besonders jetzt im Frühling“, erinnerte er sich vage. Ein Teich! Welch schmachvolle Bezeichnung für das schönste Gewässer der Welt, unsere Alster! Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nach all dem bislang Erlittenen schon dankbar war, diesmal von den üblichen Dauerbrennern verschont geblieben zu sein. Doch ich hatte mich zu früh gefreut, denn jetzt kam es ganz dick: „Well“, fuhr besagter Brite süffisant fort, „eigentlich seid ihr Hamburger doch recht kultivierte Leute, die sich gern an London orientieren. Sagt man nicht, dass man bei Ihnen den Schirm aufspannt, wenn sich über der Themse die erste Wolke zeigt? Aber ich schweife ab. Sagen Sie mir bitte, wieso zivilisierte Menschen so etwas wie den Hämbörger erfinden konnten!“ Den „Hämbörger“ sprach er verächtlich mit diesem unvergleichlichen, über dem „Ä“ schwebenden Nasal der britischen Oberschicht aus.
Ich war kurz davor, richtig „fünsch“ zu werden. Zeichnen sich etwa , bitte sehr, die Bewohner Albions durch besonders raffinierte Kochkünste aus! Man denke nur an das halbgare Gemüse und die scheußliche Mintsauce über den viel zu dick geschnittenen Lammkoteletts! Und auch das Aroma des viel gerühmten Tees der Insulaner ertrinkt in einem Meer süßlicher Milch. Mein Nachbar zeigte sich indes wenig beeindruckt von meinen Argumenten. Und als ich ihm sagte, der „ham burger“ sei doch wohl eher amerikanischer Provenienz, wies er darauf hin, es sei keinerlei ham, also Schinken, in diesem Klops enthalten. Mit steifer Oberlippe und der Empfehlung, ich solle mich einmal intensiv mit diesem lebenswichtigen Thema beschäftigen –„Just check this vital matter closely and let me know the outcome. Here is my business –
card“- verabschiedete sich mein Gesprächspartner auf dem Flughafen Fuhlsbüttel.
So etwas lasse ich mir nicht zweimal sagen. Gerade wieder zu Hause, habe ich meine Recherchen aufgenommen und bin zu erstaunlichen Ergebnissen gelangt. Der Hämbörger ist in der Tat ein Hamburger – ergo – ein echter Hanseat! Und das kam so: Als Ende des 19. Jahrhunderts der Hamburger Hafen zum Dreh- und Angelpunkt der Auswandererbewegung geworden war, ließ der hanseatische Reeder Albert Ballin 1901 einen gewaltigen Gebäudekomplex auf der Veddel zur Unterbringung der Emigranten bauen. Hier wohnten sie, bevor Ballins Schiffe den Hamburger Hafen mit Ziel New York verließen. Diese Einrichtung schützte die zu einem erheblichen Teil aus Osteuropa stammenden Auswanderer vor unseriösen Geschäftemachern und Schleppern. „Mein Feld ist die Welt“, prangte in riesigen Lettern über der Tür des Speisesaals. Die Menschen – viele von ihnen salomonischen Glaubens – mussten natürlich auch beköstigt werden. Rindfleisch stand auf dem Speiseplan, denn Juden ist der Genuss von Schweinefleisch verboten. Praktisch wie die Hanseaten nun einmal sind, steckten sie je ein Stück Rind zwischen die Hälften eines krossen „Rundstücks.“ Da die Fleischstücke jedoch nicht immer gleich groß waren, gab es viel Gezänk. Das ging dem Küchenpersonal „bannig“ auf die Nerven. Also fällte der Küchenchef ein wahrhaft salomonisches Urteil: Von Stund’ an musste das Fleisch durch den Wolf gedreht, jede Portion abgewogen und in Form einer Frikadelle zwischen die Brothälften geschoben werden. Seinen Namen erhielt dieses erste Fastfood der Welt bereits im Jahre 1904. Während der Weltausstellung in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri wurden die mit Hackfleisch gefüllten Brötchen als Hamburger – sprich Hämbörger – zum Verzehr angeboten. Zum Mythos wurde der schlichte Klops aus hanseatischen Bratpfannen jedoch erst durch Richard und Maurice MacDonald. Die beiden im kalifornischen San Bernadino geborenen Brüder inthronisierten ihn als König aller Hackbällchen weltweit. Selbst in den entlegendsten Ecken unseres Erdballs – ob am Rande der Wüste oder in der tiefsten Provinz – leuchtet einem das große gelbe M im roten Feld schon aus der Ferne entgegen.
Mit Charles, dem eingangs erwähnten Engländer, verbindet mich inzwischen eine lebhafte, zuweilen leicht aggressive E-Mail-Korrespondenz. Unser Thema dreht sich meistens – Sie haben es erraten – um Hämbörger. Jüngst setzte er noch eines drauf und schrieb, für eine weitere, eng mit dem Hämbörger verbundene Scheußlichkeit zeichne wieder ein Mensch mit deutschen Wurzeln verantwortlich. Denn das Ketschup habe doch ein gewisser Herr Heinz kreiert. Gerade sitze ich an meinem PC und denke über eine zündende Antwort auf diese Unverschämtheit nach. Und während ich in genüsslich in meinen mit Tomaten, Majo und Ketschup garnierten Hamburger beiße, ärgere ich mich so richtig, dass wir sonst so cleveren Hanseaten die Vermarktung unseres kostbarsten Kulturgutes ausgerechnet zwei unbedarften amerikanischen Boys überlassen haben. Wie reich könnte die Stadt, könnten wir alle doch sein. Und das Allerschönste: die immer weiter steigenden Kosten für die Elbphilharmonie wären dann gar kein Thema mehr!
Fotos: Michael Müller, Wikipedia