Von Uta Buhr
Wem läuft bei dem Titel „Der Auspeitscher “ nicht ein kalter Schauer über den Rücken! Allerdings schält sich im Verlauf dieses von dem jungen amerikanischen Autor Matthew Lopez geschriebenen Dramas erst langsam heraus, was es mit der Peitsche und anderen Sadismen auf sich hat.
Wir schreiben das Jahr 1865. Der amerikanische Bürgerkrieg ist gerade blutig beendet worden, die Südstaatler vernichtend von den Yankees geschlagen. An einem stürmischen Herbstabend kehrt Caleb DeLeon in sein einst prächtiges, durch die Kriegswirren verwüstetes Elternhaus in Richmond/Virginia zurück. Zerbrochene Oberlichter, durch die der kalte Wind pfeift, leere Bilderrahmen und mit rohen Latten vernagelte Fenster vermitteln das Bild der totalen Niederlage des ehemals so stolzen Südens, der durch seine Baumwoll- und Indigofelder unermesslich reich wurde. Und dies durch die Sklavenarbeit unzähliger schwarzer Menschen, die einst aus Afrika hierher verschleppt wurden. Zu den Opfern gehören auch die beiden schwarzen „man servants“, die dem schwer verletzten Caleb zur Seite stehen. Besonders Simon, der ältere von beiden (großartig dargestellt von Declan Wilson) hält in unverbrüchlicher Treue zu seinem alten „Master“ und amputiert sogar mit primitivsten Mitteln das rechte von einer Kugel durchbohrte Bein Calebs. Kollege John, ein aufmüpfiger junger Mann, der gegen das Verbot der weißen Herren lesen und schreiben lernte und dieses „gefährliche“ Wissen an seine schwarzen Brüder und Schwestern weitergab, ist weniger loyal und würde gern das Weite suchen. Doch die Angst vor der marodierenden Soldateska in den Straßen hält ihn zurück. Stattdessen „organisiert“ er Lebensmittel und sichert somit das Überleben der drei Protagonisten
dieses dramatischen Kammerspiels. Auch Whiskey fließt in Strömen, ohne dessen betäubende Wirkung Caleb seine Schmerzen kaum ertragen könnte.
Die Notgemeinschaft des Trios scheint dank der Besonnenheit Simons, der jeden Streit zwischen Caleb und John im Keime erstickt, zu funktionieren. Bereits in jungen Jahren hatte dieser den Glauben von Calebs jüdischer Familie angenommen und verinnerlicht, sich stets strikt an die mosaischen Gesetze und die Feiertage Israels in Ehren gehalten. Besonders das Passah-Fest, das den Auszug der Juden aus Ägypten zelebriert, liegt ihm am Herzen. Während dieses mit Kerzen, Gebeten und einem rituellen Glas Wein begangenen Friedensfestes brechen alte Wunden wieder auf. Die Illusion vom harmonischen Zusammenleben von Schwarz und Weiß in den prunkvollen Herrenhäusern vor dem Bürgerkrieg verflüchtigt sich angesichts der Aussagen von John, der von seinem Master wegen fortgesetzten Ungehorsams regelmäßig zum „Whipping Man“ geführt wurde, der ihn mit einer Peitsche blutig schlug. Und selbst Caleb wurde schuldig, indem er dem Menschenschinder sein Werkzeug aus der Hand nahm, um persönlich die Strafe an dem hilflosen John zu vollziehen. Auch Simons Rücken ist von unzähligen Narben gezeichnet. Aber er hat seinem Herrn vergeben. Als er jedoch erfährt, dass seine geliebte Frau Elizabeth mit der gemeinsamen Tochter Sarah von Calebs Vater an einen anderen Plantagenbesitzer verkauft wurde,
erinnert auch er sich voller Hass an die ihm zugefügten Demütigungen. Sarah war zudem von Caleb schwanger, was Master DeLeon dazu bewog, sich schnellstens von der Sklavin und ihrer Mutter zu trennen. Simon trifft diese Nachricht bis ins Mark. Die Gewissenlosigkeit seines ehemaligen Dienstherrn lässt ihn jegliche Loyalität gegenüber dessen schwer verletztem Sohn vergessen.
Mit seinen wenigen Habseligkeiten bricht er auf, um seine Familie zu suchen. Caleb und John überlässt er einem ungewissen Schicksal.
„The Whipping Man“ geht an die Nieren, zumal das Thema äußerst aktuell ist. Zwar gibt es keine staatlich verordnete Prügelstrafe mehr, wie sie im Süden des ante bellum gang und gäbe war. Aber die jüngsten Konflikte zwischen Schwarz und Weiß im US-Bundesstaat Missouri sprechen eine beredte Sprache.
Der erst 33jährige Matthew Lopez gehört trotz seiner Jugend zu den erfolgreichsten amerikanischen Stückeschreibern. „The Whipping Man“ schlug in den USA ein wie eine Bombe und wurde bereits nach seiner Premiere 2011 im New Yorker Manhattan Theatre Club monatelang vor ausverkauftem Haus gespielt. „Zoe’s Perfect Wedding“, „The Sentinels“ und The Legend of Georgia“ sind weitere Erfolgsstücke aus der Feder des jungen Autors, der als Sohn eines Puerto Ricaners und einer polnisch-russischen Mutter in Florida aufwuchs.
Dem Glückwunsch verschiedener Hamburger Rezensenten an Regisseur Clifford Dean, dieses nicht leicht verdauliche Stück auf die Bühne gebracht zu haben, schließen wir uns ohne Abstriche an. Zudem ist es ihm wieder gelungen, drei wunderbare Mimen auf die Bretter des English Theatre zu verpflichten: Declan Wilson mit dem wunderbaren Bassbariton als Simon, „crazy John“, anrührend verkörpert von John Nyati, sowie Rich Dolphin, der seine Rolle als verwundeter „Held in Grau“ intensiv ausspielt. Während der Aufführung hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Am Schluss brausender Applaus.
„The Whipping Man“ läuft bis einschließlich 8. November 2014 Karten unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.english-theatre.de
Nächste Premiere: „Anyone for Breakfast?“, die mitreißende Komödie von Derek Benfield, am 20. November 2014