von Uta Buhr
Fotos: Stefan Kock
Ein „Gothic“ an der Mundsburg! Kein Zweifel, noch stimmiger kann man dieses Glanzstück aus der Feder Oscar Wildes nicht auf die Bühne bringen. Das eigentlich für seine sehr hübschen, eher braven Bühnenbilder bekannte Theater hat sich diesmal an die Maxime gehalten, dass weniger oft mehr ist. Wer ein opulentes viktorianisches Dekor erwartet, wird von einem mit äußerst reduzierten Mitteln gestaltetes Szenario überrascht. Alles in allem eine sehr gelungene Inszenierung unter der Regie von Paul Glaser, dessen unverwechselbare dramaturgische Handschrift den Besuchern des TET bereits aus dem Ende April 2015 uraufgeführten Schocker „Thrill Me“ noch in Erinnerung sein dürfte.
„Das Bildnis des Dorian Gray“ ist wohl jedem Bildungsbürger und Theaterfan bekannt. Dennoch soll hier nicht auf eine längere Inhaltsangabe verzichtet werden: Lord Henry Wotton, ein ebenso eleganter wie zynischer Aristokrat, entdeckt während eines Besuchs bei dem berühmten Porträtmaler Basil Hallward das noch nicht vollendete Gemälde eines äußerst attraktiven jungen Mannes namens Dorian Gray.
Als er Dorian kennenlernt, ist er fasziniert von dessen Grazie und Schönheit und setzt alles daran, den unverdorbenen jungen Mann mit seinen hedonistischen Ansichten zu beeinflussen. Schönheit, so argumentiert er, sei wichtiger als Moral und Tugend. Dorian erliegt nach kurzer Zeit dem süßen Gift Lord Henrys und lässt sich von ihm zu lustvollen Ausschweifungen überreden, die ihn zu immer größeren Lastern und am Ende zu seiner Selbstzerstörung führen. Dorians erstes Opfer ist die hübsche unschuldige Schauspielerin Sybil Vane, die wegen seiner Herzlosigkeit Suizid begeht. Als er Reue zeigt, wird er von Henry Wotton davon überzeugt, dass er recht hatte, Sybil den Laufpass zu geben. Sybils Bruder James, ein Seemann, der in Australien sein Glück versuchen will, schwört Rache, erntet aber nur Hohn und Spott von Dorian und seinem „Mentor“, dem er auf seinem verhängnisvollen Weg in den Untergang immer höriger wird.
Inzwischen hat der Maler Basil Hallward Dorians Porträt vollendet. Die Veränderung im Wesen seines Modells entgeht ihm nicht. Deshalb rät er diesem, auf Distanz zu Henry Wotton zu gehen. Ohne Erfolg. Denn Dorian hat sich die Philosophie seines älteren Freundes inzwischen ganz zu eigen gemacht. Das einzige, was ihn interessiert, ist der Erhalt seiner äußeren Anziehungskraft. Ähnlich wie Faust schließt er einen Pakt mit dem Teufel. Statt seiner soll nur das Bildnis altern und die Spuren der Zeit und jene seines lasterhaften Lebens tragen, während er ewig jung und begehrenswert bleibt. Sein Wunsch geht in Erfüllung, denn auch der Umgang mit Prostituierten und Verbrechern sowie ständige Besuche in den Opiumhöllen Londons können seinem Äußeren nichts anhaben. Als er nach geraumer Zeit das in einen Abstellraum seines Hauses verbannte Porträt ansieht, ist er zutiefst schockiert. Ihm starrt ein von Ausschweifungen und Laster gezeichnetes Gesicht entgegen. Als Basil Hallward sich Zugang zu dem Bild erschleicht und vor Entsetzen davoneilen wird, ersticht Dorian den Mitwisser. Diesem Mord folgen weitere. Denn auch James Vane, der Bruder der verschmähten Schauspielerin Sybil, wird umgebracht. Am Schluss erkennt Dorian seinen Irrweg und zerfetzt sein Porträt mit dem Messer. Doch das Bildnis hat inzwischen eine zynische Eigendynamik entwickelt und tötet Dorian. Als die Dienstboten auf seinen Aufschrei hin herbeieilen, entdecken sie einen alten, von Runzeln und Schrunden entstellten Mann, den sie erst an seinen Ringen als den Hausherrn wieder erkennen. Das Bildnis aber ist unversehrt und zeigt einen makellos schönen jungen Dorian Gray, so wie ihn der Künstler Basil Hallward einst schuf.
Mit seinem einzigen Roman persiflierte Oscar Wilde die verwöhnte britische High Society des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Er, der einstige Liebling dieser dekadenten Gesellschaft, äußert sich hier sarkastisch über deren Jahrmarkt der Eitelkeiten und die Spiegelfechtereien endloser inhaltsleerer Diskussionen. Wer hoch aufsteigt, fällt oft sehr tief. Das musste auch der einst von der führenden Klasse Englands gefeierte Autor erfahren. Als seine homosexuelle Beziehung zu einem junge Adligen publik wurde, verurteilte eine selbstgerechte Gesellschaft ihn wegen „Unzucht“ zu zwei Jahren Zwangsarbeit. Die Folgen führten letztlich zu seinem frühen Tod. Mit nur 46 Jahren starb Oscar Wilde völlig mittellos in seinem Pariser Exil.
Dieser Dorian Gray gehört zu den Sternstunden des English Theatre. Die eingangs erwähnte Inszenierung ist ein großer Wurf. Die Möblierung besteht lediglich aus einer in eine imaginäre Dachkammer führenden Treppe, die – je nach Bedarf hin und hergeschoben wird – und ein paar Gegenständen, die als fester Bestandteil eines eleganten viktorianischen Haushalts gelten. Vor dem geistigen Auge des Zuschauers entsteht das Bild Londons im ausgehenden 19. Jahrhundert mit seinen an manchen Tagen undurchdringlichen Nebel – auch pea soup genannt. Rauchschwaden wabern über die Bühne und verstärken die ohnehin unheimliche Atmosphäre. Es ist das London von Jack the Ripper, der Anno dazumal sein blutiges Handwerk im in erster Linie von Prostituierten, Zuhältern und ähnlichen düsteren Figuren bewohnten Stadtteil Whitehall ausübte. Und in diesem Szenario tummelt sich ein Ensemble großartiger, handverlesener Schauspieler. Vier Mimen stellen das gesamte Spektrum dieses facettenreichen Stückes dar. Emily Byrt glänzt gleich in sieben Rollen. Sie spielt den Part der verletzlichen Sybil Vane ebenso virtuos wie den der hochnäsigen Lady Agatha oder der schlichten Mrs. Leaf. Dabei wechselt sie nahtlos vom hochgestochenen Oxford English in die Niederungen des Cockney Slangs sowie in die etwas schwerfällige Yorkshire Mundart. Wunderbar – Note eins! Großes Lob gebührt auch Timothy George, der nicht nur den hedonistischen Lord Henry Wotton darstellt, sondern sich auch in weitere Rollen – darunter die der Mrs. Vane – mühelos hineinfindet. Auch Edmund Sage-Green wird allen Rollen gerecht, die ihm auf den Leib geschrieben sind. Neben dem sympathischen Basil Hallward verkörpert er fünf zusätzliche Rollen – u. a. die der Duchess of Harley. Selten sah man eine vielseitigere Theatertruppe. Bleibt noch der Hauptdarsteller des Stückes, der den schwierigen Part des Dorian Gray übernimmt. Andrew Horton ist nicht nur in physischer Hinsicht die Idealbesetzung des Dorian. Er spielt diesen innerlich zutiefst gespaltenen Menschen mit einer Intensität, die einem unter die Haut geht.
Bleibt nur noch zu sagen: Das ist ganz großes Theater. Paul Glaser hat ein glückliches Händchen bei der Auswahl seiner Schauspieler bewiesen und erneut gezeigt, wie man einem alten und wohlbekannten Stoff neues pulsierendes Leben einhaucht. Großes Kompliment und standing ovation!
„The Picture of Dorian Gray“ läuft bis einschließlich 14. April 2018
Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.english-theatre.de
Nächste Premiere „I love you, you’re perfect, now change“, ein Musical von Joe DiPietro und Jimmy Roberts am 26. April 2018