Von Uta Buhr
Eine Sternstunde am English Theatre of Hamburg an der Mundsburg: Premiere der Komödie “The Importance of Being Earnest” (Bunbury oder Ernst sein ist alles) von Oscar Wilde im ganz neuen Gewand.
Namen sind Schall und Rauch. Zumindest behauptet dies der Volksmund. In „Bunbury oder Ernst sein ist alles“, dieser „trivialen Komödie für ernsthafte Leute in drei Akten“, beweisen zwei junge Damen aus der britischen Oberschicht genau das Gegenteil. Denn Gwendolen und Cecily haben sich darauf kapriziert, keinem Mann ihr Herz zu schenken, der nicht auf den Namen Ernst (im Englischen Ernest) hört. Denn allein diesem Namen wohne echte Tiefe und Aufrichtigkeit inne. Wer seinen Oscar Wilde kennt, weiß natürlich, dass keiner der männlichen Protagonisten in dieser hinreißenden Komödie auf den Namen Ernst getauft ist und die Herren daher tief in die Trickkiste greifen müssen, um die Damen ihres Herzens doch noch für sich zu gewinnen.
„Bunbury or The Importance of Being Earnest“ wurde am 14. Februar 1895 im Londoner St. James-Theatre uraufgeführt, erntete viel Applaus und gilt seither als die beste Komödie ihrer Art in englischer Sprache. In vielen lustigen, fast schwankhaften Situationen wird hier die britische Gesellschaft auf die Schippe genommen, werden ihr Snobismus, spleeniges Verhalten und ihr Müßiggang gegeißelt. Die Handlung ist verwirrend: Algernon und Jack, zwei Lebemänner, geben sich hemmungslos ihrem Vergnügen hin. Während Algernon (kurz Algy) einen kranken Freund namens Bunbury erfunden hat, damit er sich hin und wieder aus London auf Jacks Landsitz zurückziehen kann, gibt Jack vor, einen Bruder Ernst/Ernest zu haben, den er gelegentlich in London besucht. Jack, von Haus aus Vollwaise und reicher Erbe, der in der Stadt in die Rolle seines fiktiven Bruders Ernst/Ernest schlüpft, verliebt sich ausgerechnet in Algys Kusine Gwendolen und macht ihr einen Heiratsantrag.
Ein perfekter Coup, denn diese will nur einen Mann namens Ernst/Ernest ehelichen. Als Algy unerwartet auf dem Landsitz in Hertfortshire auftaucht und vorgibt, Jacks Bruder Ernst/Ernest zu sein, trifft er auf die hübsche Cecily, Jacks Mündel. Beide sind sofort Feuer und Flamme für einander, zumal Cecily genau wie Gwendolen der Meinung ist, nur einen Mann namens Ernst/Ernest lieben zu können. Wie das Schicksal so spielt, taucht auch Gwendolen auf und fordert ihren Ernst/Ernest für sich ein, der in Wirklichkeit Jack heißt. Es scheint keinen Ausweg aus diesem Chaos zu geben, zumal die beiden jungen Frauen sich zuerst in die Haare geraten, sich dann aber gegen ihre Verehrer solidarisieren, nachdem sie erkennen mussten, wie diese sie an der Nase herumgeführt haben. Doch Oscar Wilde wäre nicht Oscar Wilde, hätte er nicht mit Geist und Witz einen eleganten Schlenker erdacht, der aus dieser
total verfahrenen Situation herausführt. Nach der Intervention durch die spleenige Lady Bracknell – Gwendolens Mutter und Algys Tante Augusta – und das Geständnis der Gouvernante Miss Prism, vor 28 Jahren einen Säugling in ihrer mit Romanmanuskripten vollgestopften Handtasche in der Garderobe der Victoria Station vergessen zu haben, kommt alles ins Lot. Das Kind war natürlich Jack, der, wie das eilig hervorgesuchte Taufregister beweist, eigentlich Ernest John heißt, somit der leibliche Sohn der Schwester Lady Bracknells und – ergo – der Traummann der hübschen Gwendolen ist. Am Ende finden gleich drei Paare zusammen: Algy und Cecily, Ernest und Gwendolen sowie Miss Prism und der Dorfgeistliche Reverend Chasuble, der dem alten Fräulein noch zu dem lange erhofften Eheglück verhilft.
Die Inszenierung von Julian Woolfort fällt ganz aus dem üblichen Rahmen und zeigt uns einen Oscar Wilde in völlig neuem Gewande. Der ebenso begabte wie einfallsreiche Regisseur aus London vollführte einen gewaltigen Zeitsprung und versetzte die erstmals 1895 aufgeführte Komödie in das Jahr 1958. Kitschig-bunte Tapetenmuster, ausladende Sofas und neckische Nierentischchen schaffen eine herrlich plüschige Atmosphäre. Die zauberhaften Kleider der beiden jungen Gesellschaftsdamen Gwendolen und Cecily – wunderbar zickig-affektiert gespielt von Francesca Bailey und Joanna Sawyer – unter denen gestärkte Petticoats wippen und Hütchen à la Jacky Kennedy sowie das unvermeidliche Handtäschchen getragen werden, führen den Zuschauer zurück in eine entspannte Epoche, in welcher die obligatorische Teestunde durch kein Handygeklingel oder das Geklapper eines Computers gestört wurde. Ein erstklassig mit den jungen Mimen Joel Sams als Algernon (Algy) Moncrieff und George Evans in der Rolle des John (Jack) Ernest Worthing besetztes Stück.
Ein von Julian Woolford regelrecht bis in den kleinsten Part „durchkomponiertes“ Werk. Hervorzuheben ist die Darstellung der hochnäsigen und berechnenden Lady Bracknell durch Julia Barries, die ihr Herz für Cecily in dem Augenblick entdeckt, als sie von ihrem beachtlichen jährlichen Einkommen erfährt. Ihre schaurige Garderobe und die bis an die Ellbogen reichenden Handschuhe erinnern lebhaft an die älteren Mitglieder der königlichen Familie. Absicht oder Zufall? Honi soit qui mal y pense! Ein großes Kompliment auch an Judith Street als schrullige Miss Prism und Graham Hoadly, der gleich zwei Rollen verkörpert, die des leicht trotteligen Geistlichen Reverend Chasuble sowie „manservant“ Lane. Last but not least sei noch Adrian Palmer erwähnt, der als das Urbild des steiflippigen britischen Butlers in die Annalen des English Theatre eingehen könnte.
Wer hätte gedacht, dass man selbst einem Oscar Wilde auch noch eines draufsetzen kann!
Die witzig-skurrilen Gesangseinlagen, begleitet von der Ukulele, beweisen dies auf das Eindringlichste. Dieses im 19. Jahrhundert von einem Portugiesen erfundene viersaitige gitarrenartige Instrument, das sich besonders auf Hawaii größter Beliebtheit erfreut, kommt voll zum Einsatz. Hier wird unter anderem die Jagd nach einem Gurkengemüse bei Mondschein von mehreren Schauspielern inbrünstig besungen, angeführt von Adrian Palmer als Duke Yuke.
Fazit: Eine rundherum gelungene Inszenierung um den Helden Ernst/Ernest. Dieser Begriff hat sowohl im Deutschen als auch im Englischen eine doppelte Bedeutung: Da ist zunächst der Vorname Ernst/Ernest, gefolgt vom Adjektiv ernst/earnest, das soviel wie ernsthaft/seriös bedeutet. Eine Sternstunde im English Theatre of Hamburg! Das Stück wird während seiner Laufzeit dem Haus stets volle Sitzreihen bescheren.
Ein paar Worte über den Autor: Oscar Wilde wurde am 16. Oktober 1854 im irischen Dublin in eine großbürgerliche Familie mit literarischen Ambitionen hineingeboren. Nach einem Studium an der britischen Elite-Universität Oxford, wo er bereits durch seinen scharfen Witz auffiel, begann er seine schriftstellerische Laufbahn mit dem viel beachteten Gedicht „Ravenna.“ Es folgten Erzählungen und Romane – beispielsweise „Der glückliche Prinz und andere Erzählungen“ und „Das Bildnis des Dorian Grey“ sowie eine Reihe von Theaterstücken, die auch heute noch regelmäßig aufgeführt werden: „Lady Windermeres Fächer“, „Ein idealer Gatte“ und „Bunbury oder Ernst sein ist alles.“ In allen seinen Werken setzt sich Wilde mit der britischen Gesellschaft, zu der er selbst zählte, ebenso kritisch wie satirisch auseinander. Mit seiner spitzen geistreichen Feder machte er sich nicht nur Freunde, blieb jedoch lange Zeit der Liebling der Londoner High Society, bis ihn sein homosexuelles Verhältnis zu einem jungen Adligen zu Fall brachte. Das prüde viktorianische Zeitalter betrachtete gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern als Todsünde und verfolgte diese strafrechtlich. Das gefeierte Genie Wilde landete im Gefängnis und starb völlig verarmt 1900 im Alter von gerade 46 Jahren im Pariser Exil. Das Leben des Mannes, der unvergessliche Komödien schuf, endete selbst als Tragödie.
Ein guter Rat: Sofort Karten anfordern unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89! Online-Buchungen unter www.englishtheatre.de. Das Stück ist so hinreißend, dass ganze Scharen von Besuchern ins Theater strömen. „The Importance of Being Earnest“ läuft bis einschließlich 27. April 2013. Nächste Premiere: „Big Boys“, eine Komödie von Rich Orloff, am 9. Mai 2013