Hemingway – aus der Zeit gefallen?

Der Großschriftsteller wurde vor 125 Jahren, am 21. Juli 1899, geboren.

„Ich will als Schriftsteller gelten, nicht als ein Mann, der an Kriegen teilgenommen hat; oder als einer, der sich in Kneipen prügelt; oder als Schütze; oder als Pferdewetter; oder als Trinker. Ich will nichts als ein Schriftsteller sein und als solcher beurteilt werden.“

Wer das einst von sich gab, war einer, der seine Berühmtheit gerade auch diesen Attributen zu verdanken hat: Ernest Miller Hemingway (21. 7. 1899 – 2. 7. 1961). Seine mediale Selbstdarstellung, gepaart mit einem exzessiven Lebenswandel ließ ihn, nach vier Ehen, früh erkrankt, ausgelaugt und im Wahn aus dem Leben scheiden …

Key West

Eine „Bekanntschaft“ mit dem Ausnahmeautor machte ich, dem Zufall sei‘s geschuldet, in Key West, Florida. Als mir im Sloppy Joe’s, der Lieblingsbar „Papas“, ein handtuchgroßer Flyer von ihm mit Rahmen, um die Ohren flog. Recht derbe, denn Hurrikan Dorian war im Heranrauschen. In der Kneipe traf ich William Crown. Natürlich kam im Sloppy Joe’s das Gespräch auf Ernest, das später im Haus der Crowns bei seiner deutschstämmigen Frau Anne hitzig fortgesetzt wurde. Anne war eine glühende Verehrerin Hemingways. „William informierte mich, dass Sie schreiben – Bücher meine ich. Interessiert Sie Literatur?“, empfing mich Anne. Nun, mir blieb nichts anderes übrig, als ihre Frage zu bestätigen. Sie griff rückwärts auf den Beistelltisch, dann hielt sie The Old Man and the Sea in den Händen. „Ich liebe Hemingway und lese dieses Buch immer wieder. Besonders, wenn Naturgewalten außer Kontrolle geraten – wie bald.“

Ich war perplex, dass diese distinguierte Lady den Macho, Weiberhelden, Alkoholiker, von Publicitysucht getriebenen, verehrte, geradezu schwärmte: „Das Mannsbild, wie aus einer Eiche gemeißelt, finde ich einfach toll. Ich fühle sein Herz mit den Sehnsüchten und seinen Körper mit Verlangen und Ringen um literarische Anerkennung und Vollkommenheit. – Erzählen Sie, was lesen Sie?“ Ich warf die Hände hoch. Gewiss, eine Geste des Protestes und der Provokation. „Um Gottes willen, Hemingway! Der Langweiler mit seinen primitiven Sätzen und nichtssagenden Dialogen. Weltgeltung hat ihm allein sein Lebenswandel verschafft. Seine Figuren sind farblos. Der Plot seiner Geschichten zäh wie Melasse. Nein, ich mag Joseph Conrad, Somerset Maugham, Fredric Prokosch, Robert Ruark. Literaten, aus deren Federn gekonnte Diktion fließt.“

Anne, anfangs erschrocken über meine Reaktion, lachte jetzt und konterte ebenso emotional: „Conrad, dieser geschwätzige Pole. Ein Maulheld. Am Ende bediente er triviale Gemeinplätze, wie Maugham. Nach der zweiten Seite weißt du, wie die Geschichte ausgeht. Puh, wie ermüdend! Und Prokosch, der beschwor dunkles, archaisches Afrika, Sturm und Echo, eine Mixtur aus Klischees …“. Ich fühlte mich herausgefordert und fiel ihr ins Wort: „Herrje, sind The Green Hills of Africa, oder The Snows of Kilimanjaro große Literatur? Bei letzterem schlief ich beim Lesen und während des Films ein. Nein, zu Ernest habe ich keinen Zugang. Da wurde sein Mythos, nicht seine Kunst verlegt!“ Anne: „Ganz und gar nicht! Ihnen fehlt der Zugang, um zu erkennen, welche Kunst im Weglassen, welche Genialität im vermeintlich Banalen und der Einfachheit der Dialoge liegt. Hemingway schuf einen nie dagewesenen, vollkommen neuen Stil, der starke Bilder erzeugt. Einzigartig! Du musst dich seiner Forderung stellen, dich auf ihn einlassen.“ William hatte uns amüsiert gelauscht, meinte nun: „In Sachen Papa Hemingway ist meine Frau Expertin. Sie kann dir den Schriftsteller näherbringen.“

Hemingways Lieblingsplatz im Restaurant La Terraza in Cojimar, Kuba

Dazu kam es auch, trotz meiner Bedenken: In der Whitehead Street 907 besuchten wir das stattliche Anwesen Ernest Hemingway Home & Museum. Der Schriftsteller lebte dort mit seiner Frau Pauline von 1931 bis zu seiner Scheidung 1940. Allerdings von regen Reiseaktivitäten unterbrochen. Nach dem eindrucksvollen Rundgang durch das zweistöckige Gebäude, angefüllt mit allerlei Exponaten, umschlichen von einer Vielzahl schnurrender Sechs-Zehen-Katzen – Hemingway züchtete und liebte diese Vierbeiner –, informierte Anne: „Hier entstanden Titel wie A Farewell to Arms, The Green Hills of Africa, oder To Have and Have Not.“ Dann erhielt ich von Ihr auf einmal lose Seiten einer neu entdeckten Kurzgeschichte des Meisters der Short Stories: Hunt as Luck. Ich überflog den Text. Ein echter Ernest. Es ging ums Fischen, Kräftemessen und ´ner Schlägerei … dabei kam mir der Gedanke: Papa H. taumelte hier in Key West, wie vielleicht auch in Kuba, Afrika, oder anderswo tropensüchtig zwischen Lethargie und Spannung. Thrill und Einsamkeit, führte das zu seiner eigentümlichen Erzählweise? Einigermaßen gelangweilt stecke ich die Seiten ein.

Tags drauf fragte Anne: „Ich hoffe, du hast Hunt as Luck gelesen?“ – „Eine typische Hemingway-Story mit dem eingeschobenen Hinweis des Anglers Carlos, der erzählt, dass im Donovan‘s ein betrunkener Cop aus Jux eine Gallego zusammenschlägt – kann damit nichts anfangen.“ – „Aber, aber, das ist doch gerade der Kern. Die Tragik der Geschichte! Ein selbstherrlicher Polizist, will einem Gringo gegenüber seine Macht demonstrieren, in dem er einen unbeteiligten Kubaner, einen Mitbürger, grundlos niederschlägt. Eine glänzend, lässig eingestreute Parabel bezüglich der Absicht, die die Angler im Schilde führen. Und gleichzeitig gibt Ernest die Zwiespältig seines Charakters preis.“ – „Verflixt, du hast recht, Anne! Ich muss Hemingway aufmerksamer lesen. Es ist an der Zeit, mich intensiver mit ihm zu befassen.“

Havanna

Die Möglichkeit bot sich 145 Kilometer südlich, in Kuba. Dort lebte Ernest, ebenfalls mit Unterbrechungen, 20 Jahre in seinem Domizil Finca Vigía. Ich war gekommen, um Havanna, Kuba und den Schriftsteller für mich zu entdecken und seinen Spuren im Inselstaat der Nach-Castro-Ära zu folgen. Dabei stieß ich auf seinen Brief von 1928 an Pauline: Ich habe mich oft gefragt, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen soll, und jetzt weiß ich es – ich werde versuchen Kuba zu erreichen. Doch es mussten noch Jahre vergehen bis er sich auf der Insel häuslich niederließ. Zuvor bezog er in Havanna ein Zimmer als Schreibstube und Liebesnest im Hotel Ambos Mundos. Ecke Calle Obispo fand er sein späteres Stammlokal La Floridita, den schönsten Ankerplatz in der Karibik. Ich trank an der Bar, auf „seinem“ Barhocker, einen Daiquiri. Hemingway brachte es auf selten weniger als zehn pro Abend. Und zwar von der Sorte „Papa Doble“ mit doppelter Menge Rum. Ich klapperte sie alle ab, die vielen Stationen seines Wirkens.

Cojimar

Schließlich begab ich mich nach Cojimar. Dort lag einst Papas Motorjacht, die PILAR. Dort lebte auch sein Skipper Gregorio Fuentes und die vielen Fischer, deren Gesellschaft Ernest so genoss. Von Cojimar aus startete er, um möglichst die kapitalsten Marline, Schwertfische, Thunfische oder Haie zu angeln. Im Ort ist Papa noch heute präsent, als großer Fischer, Gönner, Autor und einer der ihren. Hat er den Fischern doch mit Der alte Mann und das Meer ein Denkmal geschrieben. Nach einem gediegenen Essen im La Terraza auf Papas Lieblingsplatz, unter einem Foto, das ihn im Gespräch mit Fidel Gastro zeigt – es gab Schalentiere, die der Schriftsteller auch gern aß – stach ich mit Enzo Hermandez und seinem Fischkutter in See.

Golfstrom

Wir cruisten auf dem Golfstrom im Kielwasser Hemingways auf Fangfahrt. Kurs: Ost-Süd-Ost. Ich saß im Kampfstuhl und hatte einen mords Fisch am Haken. Kämpfte mit dem Burschen. Herrje, war das aufregend und anstrengend – caramba, so musste sich Ernest gefühlt haben! Als Herr über ein wehrhaftes Tier, das es zu besiegen galt. Es war ein Thunfisch, fast zwei Meter lang … und plötzlich war er weg, hatte sich losgerissen. Auch gut!

Später tuckerten wir durch ein Gebiet, in dem Ernest Jagd auf deutsche U-Boote unternommen hatte. Dafür wurde seine PILAR eigens umbaut. Sein Drang an Kriegsgeschehen teilzunehmen war einfach unstillbar! Ich fragte Enzo: „Hatte Papa Erfolg mit der U-Boot-Jagd?“ Der Kubaner lachte. „Er hatte nicht eines gesehen! Die Abende nach erfolgloser Suche endeten bisweilen an Bord mit Saufgelagen, Kartenspielen und Prügeleien. Hemingway aber fühlte sich wohl, konnte er doch wieder mal Mut und Verwegenheit unter Beweis stellen.“ Sein Spätwerk Insel im Sturm erzählt von der Begebenheit als dramatisches Spiegelbild seiner selbst, das er 1945 entwarf, es ist aber erst 1971 überarbeitet, erschienen.

Zurück in Havanna

Am Ende einer langen Reise kreuz und quer durch Kuba verabredete ich mich mit Professor Juan Utiva, einst Dozent für amerikanische und kubanische Literatur. Zur Zeit schlug er sich in Havanna als Fremdenführer durch. Wir trafen uns im Ambos Mundos. Dort, wo wir uns Wochen zuvor kennengelernt hatten.

Hotel Ambos Mundos, Foyer. Hemingways erste Bleibe in Havanna

Bei einer Cohiba und Cuba Libre fragte er neugierig: „Na, und wie resümierst du deine Spurensuche? Hat sich die Sichtweise auf den Schriftsteller verändert?“ In Erwartung der Frage schloss ich meine Augen, versetzte mich auf den Kampfstuhl Ernest‘s PILAR und den des Fischkutters und antwortete: „Hmm – genetische Disposition, die merkwürdige Erziehung – Mutter Grace steckte ihr Knäblein für Jahre in Mädchenkleidung, Vater Clarence machte ihn in der Natur zum Raubein – und traumatische Erlebnisse, darunter der Selbstmord seines Vaters, haben ihn zu einer extremen, ja tragischen Person werden lassen. Einer Person, die in ihrer Besonderheit Regeln sprengte. Schon richtig, den Ruhm als Schriftsteller erwarb er durch neuartige Erzählweise des Weglassens und Minimierens. Und das erklärte er mit seiner Eisbergtheorie: entscheidende Situationen nicht detailliert auszubreiten, sondern Löcher zuzulassen, die der Leser durch Fantasie selbst schließen soll. Also, Hemingway wollte nicht nur einen erheblichen Teil seiner Story unter der Wasserlinie lassen, sondern zusätzlich schmucklos, mit wenig Adjektiven, präsentieren. Mir ist die karge Sprache zu wenig!“

„Das heißt, dein kritischer Blick auf den Autor ist geblieben?“ – „Das will ich so nicht sagen, Juan. Es ist mir jedoch klarer geworden, dass Ernest trotz seiner Verdienste um Sprache und Ausdruckskraft seine Weltgeltung nicht ohne die Vermarktung seines Lebensstils errungen hat. Er trieb ein exorbitant gutes Marketing: mied Journalisten, bepöbelte, oder verjagte sie – bis auf wenige Ausnahmen – einerseits, fütterte sie andererseits ständig mit spektakulären Abenteuern. Hauptsache El Papá blieb im Gespräch. Die Männerwelt, die einst Hemingway, den Hochseefischer, Großwildjäger, Schlachtenbummler, Verführer, Boxer, Macho, Stierkampf-Fan, Abenteuer und weiß Gott was noch alles ‚verschlang‘, ist als sein Konsument so gut wie ausgestorben, und seine bisweilen vulgären Beschreibungen übers Kräftemessen, Tieretöten, zu Kampfhandlungen, finden bei Frauen im Allgemeinen wenig Anklang. Ein bekannter Verleger ließ einmal verlauten: Ein Hemingway würde heute nicht verlegt werden. Nach heutiger Betrachtung sei er aus der Zeit gefallen. Fürwahr, Statements wie dieses von ihm mag man nicht hören: Ich schieße gern mit der Büchse, und ich töte gern, und Afrika ist genau der Ort, wo man das tut.“

„Begnadete Künstler bergen doch häufig Gegensätzliches in ihren Charakterzügen: Geniales, Soziales und Asoziales!“, meinte der Professor. – „Das stimmt. Bei Hemingway irritiert mich seine Philosophie, damit ist er eben nicht als überzeugender Repräsentant des Humanismus zu nennen!“ – „Dennoch, für die allermeisten Kritiker ist er der Pionier und Meister der Short Story und Reformer des amerikanischen Romans. Er warf Erlebtes auf den Amboss, um es neu zu schmieden – das ist ihm gelungen! Und nicht von ungefähr erhielt er 1953 den Pulitzer-Preis, ein Jahr später den Literaturnobelpreis.“ – „Schon richtig. Auch mich fasziniert der Autor. Aber muss ich ihn mögen? Schade, dass sein Lebenswandel über sein Schreibtalent dominierte. Der Mythos über seine Literatur, das bedaure ich.“

Der Professor vehement: „Nein, nein, zu seiner Literatur gehört nicht nur die Schreibkunst, sondern vor allem was er war, um authentisch zu sein, den Leser zu überzeugen. Litt er doch bald unsäglich an seiner Unfähigkeit zu formulieren; Erlebtes in richtige Worte zu fassen.“ – „Keine Frage“, bestätigte ich, „im frühen körperlichen und geistigen Verfall sah er nur noch den Freitod als Erlösung …“ Mich unterbrechend, ergänzte Juan Utiva: „ … indem er in der Diele seines Hauses in Ketchum, am 2. Juli 1961, einem Sonntag, morgens, um sieben Uhr mit einer doppelläufigen Schrotflinte der Qual, seiner von Widersprüchen und Selbstzweifeln gemarterten Seele ein Ende setzte.“

Utiva seufzte hörbar. Wir schwiegen nachdenklich. Nach einer Weile stand er auf und ging. Ich rief ihm nach: „Danke und salud y adiós!“ Dabei fielen mir Worte des Schriftstellers David Herbert Lawrence ein: Mr. Hemingways Skizzen sind exzellent: Kurz, wie das Anzünden eines Streichholzes, das Anzünden einer intensiven Zigarette, und dann ist es vorbei. Seine junge Liebesaffäre endet, als wenn man eine abgebrannte Zigarette wegwirft. Es macht keinen Spaß mehr – Alles ist zum Teufel gegangen. Und – was Ernest einst seinem Freund Aaron Edward Hotchner anvertraute: Hotch, wenn ich nicht unter meinen eigenen Bedingungen leben kann, dann ist für mich das Leben unmöglich. Verstehst du das? So habe ich immer gelebt, so muss ich leben – oder nicht mehr leben.

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Buchcover: Der Autor auf Hemingways Barhocker trinkt einen „Papa Doble“ (Daiquiri) in seiner einstigen Stammkneipe Floridita, Havanna

Wer mehr über Hemingways Leben und Wirken in Key West und auf Kuba erfahren möchte, dem sei das Buch „Kuba, Hemingway, eine Cohiba + ich“, genannt. Es ist im Buchhandel, oder unter cropp1@web.de direkt vom Autor zu beziehen. Verlag Expeditionen, 302 Seiten, gebunden mit Lesebändchen, illustriert mit Farbfotos, ISBN 978-3-947911-55-4; € 22,- (D)

Kuba – Ein Reiseführer auf den Spuren Ernest Hemingways

Mutti mit Cohiba

„Kuba, Hemingway, eine Cohiba + ich“ von Wolf Cropp liest sich wie ein Vademecum durch die wechselvolle Geschichte der karibischen Zuckerinsel, angereichert mit akribisch recherchierten Episoden aus der Vita des amerikanischen Schriftstellers Ernest Hemingway. Hier ist dem Autor der perfekte Spagat zwischen Reiseführer und Biografie gelungen.

 

Cropp beginnt seine weit ausgreifende Geschichte in den Keys, dem äußersten Zipfel der Vereinigten Staaten. Zunächst in Key West gestrandet, wie er im Eingangskapitel schreibt, schaut er, ein Lager aus der Flasche trinkend, auf den Golf von Mexiko und die mit vielen kleinen Eilanden gesprenkelte Straße von Florida. Hier ließ sich Hemingway auf Empfehlung seines Schriftsteller-Freundes John Dos Passos 1928 nieder. Das Ambiente seines aus Muschelkalk im amerikanischen Kolonialstil erbauten Wohnhauses – heute Museum – hat ihn offenbar zu Höchstleistungen inspiriert. Denn hier schrieb er „Wem die Stunde schlägt“ und „Die grünen Hügel von Afrika“, die weltweit zu seinen berühmtesten Werken wurden. Zudem frönte er in Key West der Hochseefischerei, seinem liebsten Hobby neben der Jagd. Aus Gesprächen, die Cropp mit Aficionados Hemingways vor Ort führte, ist unschwer zu entnehmen, dass er nicht zu „Papas“ Bewunderern zählt. Seine Sprache sei primitiv, die Plots nicht selten langweilig, findet Cropp. Eine Einschätzung, die die Rezensentin seines Buches über Kuba und Hemingway weitgehend teilt. Hemingways ausschweifendes Leben – man denke nur an seine zahllosen Liebschaften – war hingegen hoch interessant und füllte jahrelang die Seiten einschlägiger Publikationen.

An der Fassade Camilo Cienfuegos

Endlich landet Cropp auf Kuba. Er führt den Leser durch das laute quirlige Havanna, dessen bröckelnde Fassaden entfernt an die einstige Pracht der reichsten spanischen Kolonie erinnern. Das Straßenbild wird auch heute noch von den bonbonfarbenen amerikanischen Straßenkreuzern dominiert, die die Oberschicht des korrupten Bastista-Regimes zurückließ, bevor Fidel Castro mit seinen Genossen als „El Máximo Lider“ das Ruder übernahm. Von der anfänglichen Euphorie ist nichts geblieben. Mangelwirtschaft, wohin man schaut, leere Regale in den Läden. Und – Ironie der Geschichte – selbst der Zucker wird der Bevölkerung der Zuckerinsel in fast homöopathischen Dosen zugeteilt. Umso erstaunlicher berührt die Fröhlichkeit der Kubaner, deren Leidensfähigkeit unendlich zu sein scheint.

Die tropische Pracht Kubas fasziniert

Während seiner Erkundungstour kreuz und quer über die Insel gerät der Autor in manche prekäre Lage. Während eine „patrulla de policiá“ Cropps Papiere peinlich genau in Augenschein nimmt, versuchen ein paar Insulaner – allesamt arme Teufel – ihn mit einer angeblichen Hilfeleistung beim Reifenwechsel am gemieteten Renault über den Tisch zu ziehen. 500 US-Dollar her oder… Da kann der Autor nur das Hasenpanier ergreifen und weiterfahren in Richtung Santa Clara, dem Wallfahrtsort der Verehrer des Helden aller Linken dieser Welt, Che Guevara, dem man in diesem armseligen Ort ein monumentales Denkmal errichtet hat. Obwohl an den Händen dieses Revoluzzers – seines Zeichens Humanmediziner – das Blut vieler unschuldiger Menschen klebt, wird er auch fünfzig Jahre nach seinem gewaltsamen Tod verehrt wie ein Heiliger. Das Che gewidmete Lied „Hasta siempre comandante“ – auf immer um ewig, Kommandant – hat sich zu einer Art Nationalhymne entwickelt. Der Geist Guevaras lebt weiter auf der Insel und manifestiert sich in diesem Diktum: “Man trägt die Revolution nicht auf den Lippen, um von ihr zu reden, sondern im Herzen, um mit ihr zu sterben.“ Doch die meisten Kubaner haben die Nase gestrichen voll von derart inhaltlosen Parolen und Castros ständig wiederholtem Aufruf: „Revolución o muerte.“ Die Menschen wollen nicht für eine Ideologie sterben, sondern ein besseres Leben in einem Land, das die Natur so reich beschenkt hat. Liebevoll beschreibt Cropp die tropische Pracht Kubas in all ihren Facetten und dokumentiert in jeder Zeile, wie eingehend er sich mit der Fauna und Flora der Insel beschäftigt hat.

Über Santa Ifigenia geht es heute zum berüchtigten Guantánamo, einem trostlosen Ort mit real existierenden sozialistischen Plattenbauten. „1903 besetzte die amerikanische Marine die südöstlich gelegene Bucht, seitdem gibt es Streit,“ resümiert Cropp lakonisch. Wohin der letztlich führte, wissen wir aus Beschreibungen von Folterungen in diesem von den Amerikanern betriebenen Straflager, das trotz aller Beteuerungen bis heute nicht aufgelöst ist und nur noch alte und kranke Insassen beherbergt. Verlassen wir dieses Schandmal fehlgeleiteter Politik und wenden uns der fast unberührten Natur zu, die der Autor nach seiner Exkursion in die Niederungen menschlicher Unbelehrbarkeit aufsucht. Seine Naturbetrachtungen gehören zum Lesenswertesten des Buches. Wer hatte je zuvor von dem Monte-Iberia-Fröschchen gehört, das mit seiner Größe von 10 Millimetern auf einer Fingerkuppe Platz hat? Ob Riesenspitzmaus oder seltene Vogelarten wie der Zuzun, ein kolibriartiges Vögelchen, das gerade einmal 1,8 Gramm auf die Waage bringt, Cropp hat diese kleinen Wunder der Wildnis im Visier und lässt uns an seiner Begeisterung teilhaben. Während seiner Wanderung unter 40 Meter hohen Königspalmen, Drachen- und Trompetenbäumen droht ihm keine Gefahr. Denn Giftschlangen und Vogelspinnen sind auf Kuba unbekannt.

Auf zur Schweinebucht! Wer denkt da nicht an die gescheiterte Invasion der Amerikaner im Jahre 1962. Ein Desaster für den seinerzeit amtierenden Präsidenten John F. Kennedy. Diese Episode darf in keinem Buch über Kuba fehlen. Cropp hakt sie kurz ab und begibt sich geradeswegs ans Wasser. Denn an diesem Tag ist eine Tauch- und Beobachtungstour angesagt, die zur Laguna de las Salinas führt. Hier gilt es an Deck eines Bootes Delfine und Haie zu beobachten. Die kabbelige See tut diesem Vergnügen keinen Abbruch.

Unter Krokodilen auf Sumpfsafari

Eine Sumpfsafari in einem unwegsamen Gelände, in dem sich Krokodile von stattlicher Größe tummeln, ist ein Erlebnis besonderer Art. Hier ist äußerste Vorsicht geboten, denn die Echsen sind erstaunlich gewandt und schnell. Der Legende nach haben die Taino, Kubas Ureinwohner, in den Sümpfen ihr Gold vergraben, um es vor den gierigen Konquistadoren in Sicherheit zu bringen. Ob der sagenhafte Schatz immer noch tief im Schilf unter den langen Wurzeln ewig blühender Seerosen schlummert? Die Begegnung mit den „Kroks“ verläuft ohne Zwischenfall. Und so verabschiedet sich dieser ereignisreiche Tag „mit einem grandiosen Sonnenuntergang. bei dem der Feuerball wie eine flammende Orange im Röhricht versinkt, Wasser und Himmel in mystisches Lila taucht.“ Poetischer kann man „eines langen Tages Reise in die Nacht“ nicht beschreiben.

Hemingways Wohnzimmer in Finca

Obwohl der Autor bekanntermaßen kein Fan Hemingways ist, kommt er am Ende seines Kuba-Aufenthaltes wiederum an Papa nicht vorbei. Die aufregende Fangfahrt im blauen Strom erinnert an das Opus Magnum Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ und trägt demgemäß folgendes Zitat des Schriftstellers im Titel: „Der letzte Ort der Freiheit, den es gibt, ist das Meer.“ Cropp als ein mit den Wassern aller Meere gewaschener Fahrensmann ist kein ambitionierter Fischer, aber kann der Versuchung nicht widerstehen, auch einmal einen großen Fisch zu fangen. Bald hat er einen kapitalen Thunfisch am Haken. Nach einem langen Kampf mit diesem Meeresbewohner ist er fix und fertig und fragt sich nach dem Sinn der Übung. Was hat der Fisch ihm getan? Hat er nicht Besseres verdient als den Tod?

Versunken in voluminösen Kunststoffledersitzen eines Cadillac

Szenenwechsel. Dort, wo das Abenteuer Kuba begann, findet es auch sein Ende – in Havanna. „Gerade versinke ich in den voluminösen Kunststoffledersitzen eines Cadillac mit steilen Heckflossen. Eingequetscht zwischen einer Hausfrau mit vollen Tüten und einem Liebespaar. Der Dinosaurier ist mindestens 70 Jahre alt und nennt sich Taxi Particular.“ Wer schon einmal auf Kuba mit einem solchen Ungetüm auf den engen Straßen unterwegs war, weiß, wovon der Autor spricht. Das ist Lokalkolorit pur! Noch ein paar Tage auf der Insel und Cropp muss die Heimreise antreten. Ein Abschied, der wehmütig stimmt. Salud y adiós.

Mit „Kuba, Hemingway, eine Cohiba + ich“ hat Wolf Cropp wieder ein exzellent geschriebenes Buch vorgelegt, das jedem empfohlen wird, der Kuba besuchen oder aus der Ferne kennenlernen möchte. Bemerkenswert sind nicht nur die Beschreibungen von Land, Leuten und der einzigartigen Natur der Karibikinsel, sondern auch die geschichtlichen und ethnischen Bezüge, die ein paradiesisches Fleckchen Erde prägen, auf das vor nunmehr über fünfhundert Jahren ein Europäer zum ersten Mal seinen Fuß setzte. Mit den bekannten Folgen.

„Kuba, Hemingway, eine Cohiba + ich“ von Wolf Cropp, erschienen im Verlag Expeditionen, 304 Seiten, ISBN 978-3-947911-55-4, kostet 22 Euro

Fotos dieses Beitrags: Wolf-Ulrich Cropp