Wie entlockt man Tieren die Geheimnisse ihrer Lebensweise, wenn sie an Orten leben, die für Menschen unerreichbar sind? Dieser Frage konnte erst durch die Entwicklung sogenannter „Datenlogger“ nachgegangen werden, die in den 1960er-Jahren entwickelt und zuerst bei Robben und Pinguinen eingesetzt wurden, um deren Tauchverhalten zu entschlüsseln.
Aus vielen Forschungszweigen sind sie nicht mehr wegzudenken und die Einsatzmöglichkeiten werden ständig erweitert. „Der gläserne Vogel“ ist daher längst Realität.
Mit diesem Buch möchte das Autorenteam die Leserinnen und Leser zu einer Reise in die faszinierende Welt der gläsernen Vögel einladen. Sie zeichnen dabei anhand ausgewählter Forschungsprojekte und auf der Grundlage eigener Erkenntnisse aus der Vogelforschung den abenteuerlichen Weg vom ersten Logger-Prototypen bis zu den winzigen High-Tech-Geräten der heutigen Generation nach.
Der dadurch gewonnene Einblick in die spannende Welt der Naturwissenschaften soll gleichzeitig dabei helfen, brandaktuelle Themen wie Naturschutz, Klimawandel und Biodiversität besser zu verstehen und einordnen zu können.
Produktinformation: Tracking – der gläserne Vogel: Erkenntnisse, Berichte und Reportagen aus der Praxis
AULA-VERLAG, Wiebelsheim
120 Seiten, 119 farbige Abbildungen, 6 Karten,
broschiertes Buch, 16,5 x 23 cm
ISBN: 978-3-89104-860-3
Preis: 19.95 Euro
Über die Autoren:
Prof. Dr. rer. nat. Stefan Garthe studierte Biologie an den Universitäten Hamburg und Kiel. Nach der Promotion am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung GEOMAR und der Habilitation in Zoologie und Biologischer Meereskunde wurde er 2014 von der Universität Kiel zum Professor ernannt. Dort leitet er die Arbeitsgruppe Tierökologie, Naturschutz und Wissenschaftskommunikation. Von 2013-2018 war er Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft.
Dr. rer. nat. Ulrike Kubetzki studierte Naturwissenschaften und promovierte am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung GEOMAR. Sie ist als Wissenschaftlerin und Hochschuldozentin an der Universität Kiel tätig. An der Freien Journalistenschule in Berlin (FJS) schloss sie ein Zweitstudium zur Fachjournalistin für Wissenschaft und Kultur ab.
Welkoam iip Lunn! Willkommen auf dem roten Felsbrocken, der wie eine von Riesenhand erschaffene Trutzburg aus der tosenden Nordsee herausragt. In seinem neuesten Buch mit dem etwas sperrigen vollständigen Titel „Das Helgoland, der Höllensturz oder Wie ein Esquimeaux das Glück auf der Roten Klippe findet, obgleich die Dreizehenmöwen hier mit Rosinen gegessen werden“ führt uns Reimer Boy Eilers ohne Umschweife hinein in das Leben auf Helgoland am Anfang des 16. Jahrhunderts. Seitdem hat sich das Gesicht der Insel fundamental verändert. Anno dunnemals bestand sie lediglich aus zwei „Etagen“, dem Unter- und Oberland. Das Mittelland lag noch in ferner Zukunft. Es wurde erst nach 1945 von den Engländern „kreiert“ bei ihrem vergeblichen Versuch, „Hell-Go-Land“ auf immer und ewig im Meer zu versenken. Noch einmal Glück gehabt, Halunder! Deus vult. Und auch der monumentale leuchtend weiße Kalkfelsen, einst neben der Langen Anna ein weiteres Wahrzeichen der Insel, existiert nicht mehr. Er wurde vom seinerzeitigen Landesherrn gegen klingende Münze verscherbelt.
Bigotterie und Spökenkiekerei
Der auf den Helgoländer Hummerklippen aufgewachsene Lyriker, Romancier und renommierte Reiseschriftsteller Reimer Boy Eilers gilt als intimer Kenner der Geschichte seiner Heimat. In seinem 570 Seiten starken Opus entwirft er ein von Bigotterie und Spökenkiekerei geprägtes Sittengemälde einer im Korsett mittelalterlicher Moralvorstellungen verharrenden Inselgemeinde. Wäre den Insulanern auch ein Mord zuzutrauen für den Fall, dass sich ein Außenstehender nicht an ihre starren, seit Urzeiten tradierten Regeln hielte?
Hals- und Beinbruch
Kaum hatte Kapitän Hans Andahlsen aus Amsterdam den Fuß auf das Oberland gesetzt, stürzte er von einer Treppe in die Tiefe und brach sich neben seinem Hals auch die Beine. Unfall oder Mord? Für den jungen Fischer und Robbenjäger Pay Edel Edlefsen und seinen Jagdfreund John Quivitoq McLeod, Esquimaux von der „Frostinsel“, genannt das „Menschenkind“, steht fest, dass der wackere Seemann einem Verbrechen zum Opfer fiel. Denn wozu sonst die Eile der Insulaner, ihn bei Nacht und Nebel in den „wilden Dünen“ inmitten der Wasserleichen auf dem Friedhof der Namenlosen zu verscharren? Was viel schwerer wiegt: Der Mann ging in die Grube ohne – horribile dictu – die Sakramente der Heiligen Kirche empfangen zu haben. Eine Höchststrafe für jeden Christenmenschen jener Zeit. Nichts Geringeres als ewige Verdammnis erwartete die arme Seele. Misericordia!
Gegen den erklärten Willen seines Vaters Boje Edlef, seines Zeichens Fischerhauptmann und hoch angesehener Ratsherr, beginnen Pay Edel und John ihre Recherchen, um den Tod des Holländers aufzuklären. Sie können sich keinen Reim darauf machen, warum der Hauptmann sich so vehement gegen ihr Vorhaben sträubt. Hat er etwas zu verbergen? Aber die beiden Hobby-Detektive lassen sich nicht einschüchtern und bohren mutig weiter. Sich gegen die Obrigkeit oder ihre Vertreter aufzulehnen, geht in der Regel böse aus. Die erste Lektion erhält Pay Edel, als ihm ein besonders hinterhältiger Zeitgenosse einen kräftigen Schlag auf den Schädel verpasst. Gottlob ist Freund John zur Stelle, der ihm mit einer Pütz Seewasser wieder auf die Füße hilft. Soweit die Rahmenhandlung.
Familienaufstellung
Die Rezensentin bekennt, dass sie anfänglich von den sich überschlagenden Ereignissen und jenen für Nichtfriesen seltsamen Namen überfordert war. Daher geht ihr Dank an den Autor, der sich der Mühe einer akribischen Aufzählung sämtlicher Namen der handelnden Personen einschließlich ihrer Berufe oder gesellschaftlichen Stellung auf Seite 555 unterzogen hat. Da wird die gesamte Sippe der Edlefsens vorgestellt, die aufgrund der Position des Familienoberhauptes und ihres relativen Wohlstands neben der Familie des Gouverneurs zum Insel-Adel gehört. Heute würden wir von „Promis“ sprechen. Des Weiteren erfahren wir, dass „Menschenkind“ John neben seinem Beruf als Robbenjäger der Bursche des Gouverneurs ist. Und ganz nebenbei auch der Geliebte von Pay Edels Schwester Petrine Anna, genannt Trine. Genau wie heute gab es seinerzeit schon Untergangspropheten von der Sorte eines Pedder Reymers, der, weilte er heute noch unter uns, sicherlich erstaunt wäre, dass die Welt sich immer noch dreht. Ganz wichtig: Der Barbier und Alchimist Bard Frederichs fungierte sicherlich in Personalunion als Bader und Barbier, der sich ebenfalls als „Kusenklempner“ bewährte und wohl auch den Versuch unternahm, Gold aus Dünensand zu extrahieren. Es spricht für die Halunder, dass sie sich der zahmen Möwe Graumariechen annahmen, die sie zärtlich „Ole Rappsnut“ nannten. Die Liste wäre unvollständig, wenn der Klerus in Gestalt des Kirchherrn Neocurrus von St. Nikolai keine Erwähnung fände. Ob die Heilige Ursula mit ihren elftausend Jungfrauen überhaupt existiert hat, steht in den Sternen. Es gibt aber ein Gemälde von ihr, auf welchem sie milde auf die Gläubigen herabschaut. Dies war lediglich ein kurzer Einblick in die „Personalakte“. Der geneigte Leser möge sich bei der Lektüre zwecks besseren Verständnisses der Vorkommnisse eingehender mit ihr befassen. Mal so unter uns: Mancher Insulaner, der auf ersten Blick ganz harmlos wirkt, hat eindeutig Dreck am Stecken. Der aufmerksame Leser findet das bei der Lektüre schnell heraus.
Und so geht die Moritat weiter
Wir begleiten Pay Edel und John Kapitel für Kapitel weiter auf ihrer
Suche nach dem Mörder oder den Mördern des holländischen Kapitäns Hans Andahlsen. Bis zum Showdown zieht sich die Geschichte noch eine Weile hin. Beide müssen noch eine Strecke eines nicht ungefährlichen Weges zurücklegen. Allgegenwärtig sind Rasmus und Klabautermann, zwei von Seeleuten im höchsten Maße respektierte Meeresgeister, die, wie jeder von ihnen weiß, launisch und manchmal sogar bösartig sein können. Aber auch freundlich und verständnisvoll. Je nach Wetterlage. Wer Wind und Gezeiten erbarmungslos ausgeliefert ist, muss stets auf der Hut sein. Aber auch auf festem Boden lauert Unheil von Landsknechten, die nichts Gutes im Schilde führen, sowie anderen Spitzbuben und Räubern, die überall ihr Unwesen treiben. Und dies, obgleich Klaus Störtebeker, der Berühmteste der Zunft, bereits tot ist. Im Jahre des Heils 1401 verlor er seinen Kopf auf dem Hamburger Grasbrook, nachdem hanseatische Pfeffersäcke ihn und seine Likedeeler zur Strecke gebracht hatten.
Ende gut – alles gut?
Bevor das Verbrechen an Kapitän Andahlsen endgültig aufgeklärt ist, wartet die Nordsee, die Mordsee noch mit einer Reihe infernalischer Stürme und anderer Unbill auf. Doch die Mühen der beiden Spürnasen Pay Edel und John haben sich gelohnt. Die am Ende festgenommenen Missetäter werden in Ketten abgeführt. Die Moral von der Geschicht‘: Verbrechen lohnt sich nicht.
Und so widerfährt dem gemeuchelten Kapitän am Ende doch noch Gerechtigkeit. Er erhält unverzüglich ein christliches Begräbnis. Requiescat in pace. Friede seiner Asche. Aniken Frederichs, genannt „die reine Seide“, die ihr süßes Geheimnis so lange hütete, bekommt ihr Erbstück in Form des Hutes von Kapitän Hans Andahlsen. Er wird der ledigen Mutter mit den gar nicht freundlichen Worten überreicht: „Es gehört nun ihrem Bastard.“ Hatten aufgeweckte Leser in dem forschen Seemann nicht schon früh einen Schwerenöter vermutet?
Eine letzte drängende Frage: Was wurde aus unseren beiden Helden, die trotz aller Hindernisse den brisanten Fall um den holländischen Kapitän lösten? Das, liebe Leser, müssen Sie nun selbst herausfinden, indem Sie diesen tollen Wälzer bis zum Schluss konsumieren. Viel Spaß bei der Lektüre!
Epilog
Dieser Krimi gehört nicht in die Schublade der herkömmlichen „Whodunnits.“ Das trotz aller Dramatik mit einer gehörigen Portion Humor gewürzte Buch zeichnet sich vor allem durch einen heute nur noch selten zu findenden wohlklingenden sprachlichen Duktus aus. Besonders gelungen sind die Naturbeschreibungen. Eine Kostprobe: „Von Westen rollen die immergrünen Wogen gegen die Insel. Sie peitschen die Klippen und zermürben den Felsen, der ihnen alljährlich seinen Tribut zollt. Ein Stück bricht ab und stürzt in die Flut. Dort vollendet die mahlende See ihr Werk.“
Des Weiteren verhelfen die zahlreichen eleganten Grafiken und Sinnsprüche, die jedes Kapitel einleiten, zu einem besseren Verständnis dieses sehr komplexen Werkes. Die meisten der Verse sind in friesischer Sprache verfasst. Keine Angst – die hochdeutsche Übersetzung steht gleich darunter. Die Rezensentin hat bei der Lektüre versucht, die Texte im Original zu verstehen, bevor sie in vielen Fällen auf die Übersetzung zurückgreifen musste. Dies war eine Hommage an ihre geliebte friesische Großmutter Dede Wolff, die sich mit ihren Geschwistern stets in ihrem heimatlichen Idiom unterhielt.
:::::::::::
Reimer Boy Eilers: Das Helgoland, der Höllensturz oder Wie ein Esquimeaux das Glück auf der Roten Klippe findet, obwohl die Dreizehenmöwen hier mit Rosinen gegessen werden, Kulturmaschinen Verlag, 2019
Für meine friesische Großmutter Dede Wolff war Helgoland „das schönste Fleckchen Erde auf der Welt.“ Sie setzte regelmäßig aus ihrem heimatlichen Husum über und verbrachte ihre Sommerfrische, wie man seinerzeit noch sagte, auf „der Insel.“ Denn nirgendwo sonst sei die Luft so rein, das Wasser so klar und der Blick so weit, schwärmte sie und empfahl jedem in der Familie mindestens ein paar Tage im Jahr auf dem Roten Felsen. Rüm hart, klaar kiming“ lautet der berühmteste inselfriesische Wahlspruch: Reines Herz, weiter Horizont.
Eine Seefahrt, die ist lustig
Oma hatte wie immer recht. Denn wir genossen wunderbare erholsame Urlaubstage auf Helgoland, sobald die Einheimischen wieder Gäste bei sich aufnehmen konnten. Die Unterkünfte waren seinerzeit noch sehr bescheiden. Doch das störte uns nicht. Das Abenteuer Helgoland begann bereits auf einem der Bäderschiffe, die wir an den Hamburger Landungsbrücken bestiegen. Nachdem ein lautes Tuten die Abfahrt verkündete, ging es los. Zunächst an den grünen Hängen der Elbe entlang und wenig später hinaus auf das offene Meer. Da herrschte Stimmung unter den Passagieren, mit denen wir aus voller Kehle „Eine Seefahrt, die ist lustig,“ sangen. Kam Wind auf, war es für manche an Bord vorbei mit lustig. Die gingen dann „Fische füttern“ und kehrten mit grünlichen Gesichtern zurück. Uns machte das bisschen Geschaukel nichts aus. Denn wir Hanseaten sind doch von Geburt an seefest, und das selbst bei Windstärke 10. Oder etwa nicht? Ein Erlebnis war das Ausbooten bei der Ankunft. Die Börteboote warteten bereits auf uns. Während wir behände hineinglitten, bedurften die „älteren Semester“ der Hilfe muskulöser Arme. „Nu mal ganz sutje. Eile mit Weile,“ beruhigten die Männer mit den Schiffermützen all jene, die sich nicht trauten und Angst hatten, über Bord zu gehen.
Die Seele baumeln lassen rund um die Lange Anna
Nachdem die Rucksäcke ausgepackt waren, stiegen wir die vielen Treppen zum Oberland hinauf. „Mal nachsehen, ob die Lange Anna noch steht“, pflegte mein Bruder zu sagen. Nachdem dies geklärt war und wir dem fast 50 Meter hohen Steinkoloss an der Nordmole unsere Reverenz erwiesen hatten, ging es unverzüglich auf die Düne. Auf diesem kilometerlangen schneeweißen Sandstrand aalten wir uns in der Sonne und schwammen mit unseren Freunden um die Wette. Zuweilen auch mit den Seehunden. Einmal wurde mein Bruder von einem besonders großen Kaliber gebissen. Tja, die ansonsten sanften Riesen mögen es gar nicht, wenn man sie zwickt. Also immer Abstand halten. Dann kommt man gut mit ihnen aus. Abends kehrten wir todmüde in unsere Unterkunft zurück, in der die Wirtin uns köstlichen fangfrischen Fisch servierte. Unbeschwerte Ferientage, an die ich noch immer voller Nostalgie zurückdenke.
Wat mutt, dat mutt – Halunder krempeln die Ärmel hoch
Die Engländer hatten sich nach 1945 vergeblich bemüht, „hell-go-land“ in der Nordsee zu versenken. Die Insel – eine Friesin von echtem Schrot und Korn – überstand die Bombardements, und die Halunder begannen zügig mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat, nachdem sie diese 1952 wieder in Besitz nehmen konnten. Zwar entstanden in der Folgezeit keine Prachtbauten und eleganten Villen, die einst den Charme der Insel ausmachten. Eine alte Insulanerin erinnerte sich vor Jahren noch voller Wehmut an das einzigartig schöne Kurhaus, das heute nur noch auf vergilbten Postkarten zu bewundern ist. „Wat vorbi is, is vorbi“, seufzte sie. Tempi passati.
Die Insulaner sind pragmatische Menschen, die immer schon im Jetzt und Heute lebten. Genau das bewiesen sie, als sie in den frühen Fünfzigern in die Hände spuckten und ihre Insel neu erstehen ließen, auf der nach den Zerstörungen kein Stein auf dem anderen mehr stand. Inzwischen haben sich alle an die neue Bauweise gewöhnt, die in ihrer schlichten Zweckmäßigkeit an die Architektur des Bauhauses erinnert. Die seit geraumer Zeit unter Denkmalschutz stehenden Gebäude, über die hochmütige Städter einst die Nase rümpften, erhielten einen Anstrich in leuchtenden Farben. Mit ihren blumengeschmückten Balkons und Fenstersimsen wirken sie adrett und einladend. In den ostereierbunten Hummerbuden, die wie Perlen auf einer Schnur die Uferpromenade zieren, sind heute Galerien, kleine Läden und Imbisse untergebracht, die Fischbrötchen und andere Leckereien anbieten.
Anpassung an die sich verändernden Verhältnisse lautet das Zauberwort
Sagen wir es gerade heraus. Was wäre Helgoland ohne den visionären Hotelier und „Entwickler“ Detlev Rickmers? Der agile Mann im besten Alter entstammt einer alteingesessenen Helgoländer Familie, deren Wurzeln bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden können. Diese Tradition verpflichtet. „Rickmers Insulaner“, das erste Haus und „Vollhotel“ am Platze, erfreut sich seit seiner Entstehung größter Beliebtheit bei den Touristen. Die Zimmer sind freundlich und komfortabel ausgestattet, der Service erstklassig. Beeindruckend ist die Kunstgalerie im Erdgeschoss mit ihrer Vielzahl an Helgoland-Gemälden bekannter Künstler, die der Hausherr gern seinen Gästen zeigt. Detlev Rickmers betreibt in seiner Funktion als Gesellschafter der Rickmers Hotelbetriebs KG auf der Insel 23 Vermietungsobjekte, die insgesamt 260 Zimmer umfassen. Für das Jahr 2022 rechnet er trotz der Corona-Maßnahmen, die auch Helgoland empfindlich trafen, mit einem Umsatz von zehn Millionen Euro. Chapeau! Angesichts der Klagen vieler Hoteliers ist dies eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht.
Rickmers weist stets auf die Geschichte der Insel mit ihren vielen Brüchen unter verschiedenen „Besatzern“ hin. Eine Zeitlang hatten die Dänen das Sagen, dann die Briten und schließlich das Deutsche Reich unter Wilhelm Zwo, der die Insel 1890 gegen die britische Oberhoheit über das ostafrikanische Sansibar und Witu tauschte. In erster Linie ging es um die Handelsrechte in Ostafrika. Ein ganz schlechtes Geschäft in den Augen des seinerzeitigen Reichskanzlers Fürst Otto von Bismarck, der mit bissiger Ironie kommentierte, Seine Majestät habe eine Hose gegen einen Knopf getauscht.
Die Halunder mussten sich stets neu erfinden und sich an die wie auch immer schwierigen Zeitläufte anpassen. Wer die zauberhafte „Historie von der schönen Insel Helgoland“ des berühmten Kinderbuchautors James Krüss gelesen hat, der ganz nebenbei Detlev Rickmers‘ Onkel war, weiß, wovon die Rede ist. Denn die Insel durchlief im Laufe ihrer langen bis in die Steinzeit zurückreichenden Geschichte Phasen des Wohlstandes und bitterer Armut. Waren die Netze mit Heringen gut gefüllt, ging es den Insulanern gut. Zogen die Schwärme sich aus unerfindlichen Gründen zurück, mussten die Gürtel enger geschnallt werden. So spielt das Leben.
Zurück ins Jetzt und Heute
Während andere Hoteliers in der Zeit der Pandemie jammerten, investierte Detlev Rickmers in den letzten zwei Jahren 12 Millionen Euro in sein Unternehmen. Ein mutiger Schritt, der sich auszahlt. Mit den „Storytels“ Häusern ist ihm ein großer Wurf gelungen. Sie alle erzählen, wie der Name sagt, eine eigene Geschichte. Die Sujets umfassen u.a. Architektur, Segelsport und Themen der Zeitgeschichte. Besonders originell ist das im Stil der fünfziger Jahre eingerichtete „Storytels“ mit den typischen Nierentischchen, plüschigen Cocktailsesseln sowie kitschig gerahmten Spiegeln, bei deren Anblick man „sehkrank“ werden kann. Das der Literatur geweihte Haus hoch oben auf den Hummerklippen ist eine Hommage an James Krüss. Erwähnenswert sind noch die in verschiedenen Häusern untergebrachten „Hochsee-Apartments“, 1-Zimmer-Objekte sowie Ferienwohnungen, die auf den drei „Etagen“ der Insel – Unter-, Mittel- und Oberland – liegen.
Das Beste aus dem Lockdown gemacht
Während des bundesweiten Lockdowns brachten viele Insulaner all das in Ordnung, wozu während der Saison einfach die Zeit fehlte. Hierzu gehört auch das Insel-Museum in der Nordseehalle. Das einst triste Kabinett mit einer Ansammlung verstaubter Objekte wurde in einen übersichtlich strukturierten „Showroom“ mit einer Vielzahl interessanter Exponate umgestaltet. Auf der in mystisches Halbdunkel getauchten Fläche wird die Historie Helgolands anschaulich dargestellt. Die gedämpfte Ausleuchtung spiegelt den Inselcharakter perfekt wider. Denn lag nicht von jeher etwas Mystisches über diesem Buntsteinfelsen, den die Römer während ihrer Eroberungszüge aus respektvoller Entfernung betrachteten? Der Geschichtsschreiber Plinius erwähnt in seinen Schriften einen weithin leuchtenden „Heiligen Hain“ mitten im Meer. Klaus Störtebeker sah die Insel wesentlich pragmatischer als Versteck für die Beute, die er und seine Likedeeler vorbeifahrenden Schiffen „abgenommen“ hatten.
Das Museum rückt einige prominente Persönlichkeiten mit Schautafeln in den Fokus, die Helgoland im 19. Jahrhundert besuchten. Der Weltreisende und Entdecker Alexander von Humboldt gehört ebenso in diese Reihe wie August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Heinrich Heine, der „göttliche Spötter“, der den Friesen Fischblut in den Adern attestierte und ihren Tee als eine Brühe aus Seewasser bezeichnete. Hoffmann von Fallersleben hingegen fand Gefallen an den Halundern, zu denen er eine „Inselfahrt aus Liebeskummer“ unternahm, die ihn zu seinem „Lied der Deutschen“ inspirierte. Es wurde im Verlag Hoffmann & Campe publiziert, der auch die Werke Heines herausgab.
Fazit: All dies und mehr bietet der Rote Felsen, der heute so bequem mit dem Katamaran „Halunderjet“ zu erreichen ist. Da sitzt der Passagier in seinem Sessel, liest oder geht an Deck, lässt sich die würzige Nordseeluft um die Nase wehen und steigt entspannt an der Mole aus, wo er freundlich mit einem „Welkoam iip Lunn“ empfangen wird. Stress wie wir ihn gerade auf den Flughäfen und in überfüllten Zügen erleben, ist ein Fremdwort auf der Insel, die ihr größter Sohn James Krüss mit folgenden Worten besang: „Irgendwo ins grüne Meer hat ein Gott mit leichtem Pinsel, lächelnd wie von ungefähr, einen Fleck getupft – die Insel.“ Das ist Lyrik, die nachklingt wie Musik. Womit das Diktum von Tacitus „Frisia non cantat“ ein für alle Mal widerlegt ist!
PS: Als Urlaubslektüre ist neben der „Historie von der schönen Insel Helgoland“ von James Krüss das fast 600 Seiten starke Opus des gebürtigen Halunders und Fahrensmannes Reimer Boy Eilers „Das Helgoland – der Höllensturz“ zu empfehlen. In dem Buch, das im frühen 16. Jahrhundert spielt, geht es um einen holländischen Kapitän, der bei einem Absturz von einer Klippe im Oberland zu Tode kommt. Unfall oder Mord. Das ist hier die Frage. Eine spannende Lektüre, die in anschaulicher Weise das Leben auf dem Felsen vor fast 500 Jahren schildert. Es ist im Verlag „Kulturmaschinen“ erschienen und kostet 19 Euro.