Bericht des Schriftstellers und Vorsitzenden der Hamburger Autorenvereinigung, Gino Leineweber, von einem internationalen Schriftstellerkongresses in Islamabad, Pakistan.
Als ich die Einladung bekam, wollte ich es erst nicht wahrhaben. Ein Treffen von Schriftstellern und Intellektuellen in Islamabad. In der Hauptstadt Pakistans, dem Land, das im Focus der Öffentlichkeit mit Terrorismus und instabilen politischen und sozialen Verhältnissen verbunden wird. Ein Land, in dem man vor Anschlägen nicht sicher ist, und in der Tat wurde die Konferenz aus Sicherheitsgründen zweimal verschoben, von Oktober auf November 2009 und schließlich auf die Zeit vom 14. bis 16. März 2010. Zwei andere Schriftsteller aus Deutschland, die ebenfalls eingeladen waren, sagten aus unterschiedlichen Gründen ab. Ich aber folgte der Einladung.
Das Motto der Konferenz war Sufismus und Frieden (Sufism and Peace). Über Sufismus hatte ich vor vielen Jahren gelesen, und wusste, dass der Sufismus eine Vielheit mystischer Traditionen umfasst, die den Islam als ihre höchste Wahrheit betrachten. Die Lehre wird als eine Offenbarung der esoterischen Wahrheit des Islams gesehen. Alle Teilnehmer hatten zum Thema einen Vortrag zu halten, der später in einer Anthologie veröffentlicht werden sollte. So wie im Jahre 1995, in dem bereits eine Konferenz mit demselben Titel stattfand. Sie war von Benazir Bhutto, der im Dezember 2007 ermordeten pakistanischen Politikerin, die 1995 Premierministerin war, initiiert worden. Die Idee zu einer zweiten Konferenz stammt ebenfalls von ihr, und der Vorsitzende der PAL (Pakistan Academy of Letters), der Pakistanischen Schriftstellervereinigung, Fahkar Zaman, der 1995 Kultusminister unter Benazir Bhutto war, verwirklichte jetzt die Vision der großen Dame der pakistanischen Politik. Wie wichtig diese Konferenz nicht nur für die PAL war, zeigt das große Medieninteresse, dass während der gesamten Dauer der Tagung zu beobachten war und besonders der Besuch des Pakistanischen Präsidenten, Asif Ali Zardari, des Witwers Benazir Bhuttos und des Bildungsministers Pakistans, Sardar Assef Ahmed Ali.
Die Konferenz war ein beeindruckendes Treffen von 80 Schriftstellern und Intellektuellen aus 35 Ländern sowie 200 pakistanischen Kollegen. Es gab die unterschiedlichsten Vorträge zum Thema, aber alle bewegten sich auf hohem Niveau, und im Anschluss an die einzelnen Sitzungen gab es einen interessanten internationalen Gedankenaustausch.
Meine Erwartungen, durch die Teilnahme an dieser Konferenz neue Erfahrungen zu sammeln, anregende Gespräche zu führen und außergewöhnliche Kollegen kennenzulernen, erfüllten sich. Etwas anderes kam hinzu. Ich lernte viel über die Kultur des Landes, über die Stadt Islamabad und die heutige Situation Pakistans. Das hat nicht zuletzt auch mit dem Sufismus zu tun. Seine Ideen und Vorstellungen nehmen einen bedeutenden Raum in der Kultur des Landes ein. Die großen Meister des Sufismus sind Teil der pakistanischen Kultur. An Hunderten von Schreinen in ganz Pakistan werden sie verehrt. Die bunten, mit Musik untermalten Heiligenfeste ziehen regelmäßig eine Vielzahl von Besuchern an. Deshalb leidet die Bevölkerung des Landes besonders darunter, Opfer terroristischer Anschläge zu sein, die auf eine fundamentalistische Richtung des Islam zurückzuführen ist. Ein Sieg der Taliban würde die Islamische Republik Pakistan ins religiöse Mittelalter zurückführen und eine absolute Änderung der Gesellschaftsstruktur des Landes bedeuten. Aber nicht nur die Taliban lehnen den Sufismus ab. Musik, Tanz und die unorthodoxen Sinnsprüche, die Teil des Sufismus sind, und den mystischen Aspekt in den Islam weben, sind in den Augen vieler moderner Muslims Teufelswerk. Der Sufismus hätte wenig mit dem Islam zu tun, heißt es bei Ihnen, und so ist es kein Wunder, dass es viele islamische Staaten gibt, in denen er nicht praktiziert werden darf, wie beispielsweise und nicht besonders verwunderlich, im Iran. Aber auch, und das ist schon verwunderlich, in der Türkei. Ich traf während der Konferenz auf einen türkischen Professor, der in Istanbul Sufismus unterrichtet, und mir berichtete, die Ausübung der Lehre indes sei verboten.
Pakistan hat sich mir, aufgrund vieler Gespräche mit den pakistanischen Teilnehmern der Konferenz, als ein Land präsentiert, dessen kulturelles Selbstverständnis durchaus tolerante und liberale Aspekte umfasst. Besonders letzteres meine ich nicht im Sinne unserer westlichen Demokratien. Es gibt viele Bereiche, in denen das gesellschaftliche Leben und Handeln, die Ein- und Ansichten nicht mit unseren übereinstimmen. Dabei will ich gern einräumen, dass Schriftsteller nicht repräsentativ sind, um ein gültiges Meinungsbild der Gesellschaft zu erzeugen. Aber wenn die Schriftsteller eines Landes gehört werden, und das werden sie anscheinend in Pakistan, dann verbreitet sich ihr Gedankengut. Das hat sich mir nicht islamisch fundamentalistisch gezeigt.
Besonders beeindruckend in diesem Zusammenhang war der Vortrag des pakistanischen Präsidenten, der, weder im Lande selbst noch im Ausland, unumstritten, sich ausdrücklich dem Sufismus verbunden fühlt, und in einer Tagung wie dieser eine große Chance sah, die kulturelle Entwicklung des Landes zu fördern. Das habe ich allerdings nicht so verstanden, hin zur westlichen Kultur, und ich glaube auch nicht, dass wir dies erwarten dürfen oder sollten, denn dass unsere Kultur von manchen von uns im Westen als das Zentrum der Welt angesehen wird, heißt nicht, dass dies auch tatsächlich so ist.
Die Tagung in Islamabad wird mir unvergessen bleiben, und ich bin außerordentlich dankbar dafür, eingeladen worden zu sein, und hoffe, dass die Kontakte mit dem einen oder der anderen über die Tagung hinaus bestehen bleiben.