Stille Nächte in Oberndorf

Dieser Artikel erscheint am 21. Dezember in der PAZ

Von  Uta Buhr

Weiße Weihnacht
Weiße Weihnacht

Weil die Mäuse die Orgel der Pfarrkirche St. Nikolaus angeknabbert und diese somit unbespielbar gemacht hatten, wurde der Weihnachtsgottesdienst im österreichischen Oberndorf im Jahre 1818 mit Gitarre und zwei Singstimmen zelebriert. Soweit die populärste  Version über die Entstehung von   „Stille Nacht, heilige Nacht.“  Heute kommen jedes Jahr  am Heiligen Abend ganze Busladungen mit Touristen aus aller Welt an den Ort, wo zum ersten Mal das „ewige Lied“ erklang.

„Ja mei!“ Die junge Frau im feschen Dirndl holt tief Luft. Einen solchen Ansturm auf ihren Souvenirshop und das angeschlossene Heimatmuseum hat sie selten erlebt. Eine Gruppe Japaner unter Führung einer energischen Dame mit rotem Schirm drängt sich schwatzend vor den randvoll mit Andenken gefüllten Vitrinen und Stellagen. Hier werden  Rauschgoldengel und Mokkatassen in allen Farben des Regenbogens  angeboten neben Bechern,  auf denen die Gedächtniskapelle abgebildet ist. Der Renner sind zierliche Porzellanglöckchen, aus denen silberhell die „Stille Nacht“ perlt. Dem Kitsch sind keine Grenzen gesetzt. Rund um das Jahr  fahren Urlauber mit der Regionalbahn von Salzburg nach Oberndorf. Knapp 30 Minuten dauert die Fahrt an jenen Ort, der sich im Laufe der Zeit von einer schlichten Schiffersiedlung zu einem veritablen Wallfahrtsort gemausert hat.

Krippenspiel Advent
Krippenspiel Advent

Besonders im Fernen Osten erfreut sich „Stille Nacht, heilige Nacht“ großer Beliebtheit und wird dort mit Inbrunst gesungen. Entstanden ist  das berühmteste Weihnachtslied der Welt hier in Oberndorf, dem 5.500-Seelenort an der Salzach. Nachdem die Besucher ihre Mitbringsel – unter anderem CDs, Postkarten und Schneekugeln mit integrierter Spieluhr – in Plastiktüten verstaut haben, geht es hinauf zur anmutigen Stille-Nacht-Gedächtniskapelle, die auf der Spitze eines Hügels thront. In einer Nische hängen die eher bescheidenen Porträts von Pfarrer Joseph Mohr und Lehrer Franz Xaver Gruber.  „Viele Legenden ranken sich um die Entstehung dieses Dauerbrenners“, erklärt ein Reiseführer seiner Gruppe aus Bayern. Am bekanntesten aber ist die Geschichte von den Mäusen, die die Orgel der St. Nikolauskirche anknabberten, so dass sie am Weihnachtsabend des Jahres 1818 nicht mehr bespielbar war. Ein Ersatz musste her für die Gläubigen der Gemeinde. Weihnachten ohne weihevolle Musik. Undenkbar. Da fiel dem katholischen Pfarrer Joseph Mohr noch rechtzeitig sein sechsstrophiges Gedicht ein, das in der Schublade seines Arbeitszimmers schlummerte. Die passende Melodie komponierte der Lehrer Franz Xaver Gruber aus dem benachbarten Arnsdorf. Ein wahrer Geniestreich!

Leuchtende Augen
Leuchtende Augen

Und so sang der Geistliche den Tenor, begleitet vom Schulmeister,  der ihn mit seinem wohlklingenden Bariton und der Gitarre begleitete. Die Gemeinde war begeistert.  Dichtung oder Wahrheit? Eine schöne anrührende Geschichte  allemal. Bereits kurz nach der „Premiere“ in St. Nikolaus  trat die Stille Nacht ihren Siegeszug rund um den Erdball an. In über hundert Sprachen und Dialekte wurde das Lied inzwischen übersetzt und von Missionaren gleichermaßen unter den Bewohnern ferner Südseeinseln und bei den Inuit am Polarkreis verbreitet. Selbst in Suaheli wird es unter der glühenden Sonne Afrikas gesungen.

 Oberndorf  liegt im nördlichen Flachgau des Salzburger Landes. In der Weihnachtszeit präsentiert sich der kleine Ort als rechtes Musterdorf. Schmucke, reich mit Tannengrün dekorierte Häuser säumen die Straßen und engen Gassen. Überall funkeln bunte Lichter. Verirren kann sich keiner. Auch in der früh hereinbrechenden Dunkelheit weist der Wasserturm, das höchste Gebäude weit und breit, dem Fremden schon aus der Ferne den Weg. Die kleinen Boote an den Ufern der  Salzach erinnern an jene Zeit, als Oberndorf eine Schiffersiedlung war. Die Menschen waren einst bitterarm. Regelmäßig trat die reißende Salzach über die Ufer und überschwemmte die Umgebung. Auch die

Heilige Nacht
Heilige Nacht

einstige Pfarrkirche St. Nikolaus wurde so stark unterspült, dass sie abgerissen werden musste, weil das Geld für ihre Sanierung fehlte.  „Dirndl heirat koan Schöffmann, du heiratst in d’Not. Hast im Summa koan Mann und im Winta koan Brot.“ So wurden die jungen Mädchen einst von ihren Müttern vor der Ehe mit einem Hungerleider gewarnt. Als Broterwerb spielt das Schifferhandwerk heutzutage keine Rolle mehr. Die leichten, aus Fichte und Buche gebauten Boote dienen nur noch dem Freizeitvergnügen.

Zum Oberndorfer Pflichtprogramm gehört ein Besuch im Nachbarort Arnsdorf, wo  Franz Xaver Gruber weiland als Lehrer, Messner und Organist der Gemeinde diente. In seiner einstigen Wohnung treten sich die Besucher fast auf die Füße.  Während sie  sein wurmstichiges Schulpult bestaunen und sich darüber wundern, dass in dem kargen Klassenraum auch heute noch Kinder unterrichtet werden, intoniert das Glockenspiel an der gegenüberliegenden Kirche – na was wohl –  „Stille Nacht, heilige Nacht!“  Das ist ein Signal für die japanischen Touristen. Ganz ungezwungen gruppieren sie sich  vor dem Portal und schmettern aus voller Kehle: „Kiyoshi konoyoru, hoshiwa hikari“

Stille Nacht
Stille Nacht

Aber so richtig feierlich wird es hier erst am Abend des 24. Dezember eines jeden Jahres nach Einbruch der Dunkelheit, wenn Oberndorf in einer Märchenlandschaft aus schimmerndem Schnee versinkt und  in den Bäumen die Eiskristalle glitzern. Dann versammeln sich Tausende von Menschen aus aller Herren Länder rund um die Gedächtniskapelle. „Da steh’n die Leut’ von überall her. Und ein jeder singt’s Lied in seiner eigenen Sprach’. Des rührt ans Herz“, bekennt die gestandene Wirtin eines Gasthauses und wischt sich eine heimliche Träne aus dem Auge.

www.stillenachtland.at

Fotos: salzburgerland.com