erschienen in der PAZ
Von Dr. Manuel Ruoff
Elisabet Boehm schuf eine Selbsthilfeorganisation, die den Mitgliedern bieten sollte, was sie selber vermisst hatte
Elisabet Boehm wurde am 27. September 1859 mit dem berühmten goldenen Löffel im Munde in Rastenburg geboren. Ihr Vater war der Domänenpächter und Reichstagsabgeordnete Hermann Steppuhn. Mütterlicherseits stammte sie aus einer Kaufmannsfamilie. Es schien absehbar, dass sie niemals einer Erwerbsarbeit würde nachgehen müssen. Eine schwere Erkrankung in frühester Kindheit ließ ihre liberalen Eltern sie zusätzlich schonen. Die kleine Elisabet wollte ihre üppige Freizeit zum Lernen nutzen, aber das war einfacher gesagt als getan. Erst ab dem zehnten Lebensjahr erhielt sie Unterricht und das von häufig wechselnden Gouvernanten, die weder willens noch in der Lage waren, ihr viel beizubringen. Für anspruchsvolle Gespräche fehlte ihr der Partner. Nolens volens wurde Elisabet zur Autodidaktin, verschlang alles Schriftliche, das ihr in die Hände kam. Schon damals zeigte sich ihre soziale und pädagogische Ader, hatte sie doch das Bedürfnis, ihr erworbenes Wissen mit den Instleutekindern zu teilen.
1880 tat sie das, wofür sie ausgebildet war und was zu dem wenigen gehörte, was von ihr erwartet wurde. Sie heiratete und zwar Otto Boehm. Der vormalige Fähnrich war zwar der Sohn eines wohlhabenden ostpreußischen Gutsbesitzers, doch konnte er ihr nicht das sorgen- und arbeitsfreie Leben bieten, für das sie ausgebildet worden war. Nach der Heirat zog das junge Paar auf das heruntergewirtschaftete, verkommene Gut Lamgarben in der Nähe ihrer Geburtsstadt Rastenburg. Dort kam sie allein mit der Fähigkeit zum Repräsentieren, zum standesgemäßen Einkleiden und zur Konversation nicht weiter. Nun merkte sie, wie sehr ihr als Gutsfrau eine landwirtschaftliche Ausbildung fehlte.
Unabhängig von ihrem persönlichen Schicksal sollte Elisabet Boehm auch vor ihrem zeitgeschichtlichen Hintergrund gesehen werden. Denn auch sie war ein Kind ihrer Zeit. Mit der Begründung der Landfrauenbewegung bewegte sie sich an der Schnittstelle zwischen der aufkommenden Frauenbewegung auf der einen Seite und der zunehmenden Organisation der Landwirte auf der anderen. Sie organisierte die landwirtschaftlichen Frauen oder die weiblichen Landwirte, ganz wie man will.
So las sie wie ihre Schwester Tony mit „Neue Bahnen“ das Organ des 1865 gegründeten „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“, des ersten Frauenvereins in Deutschland überhaupt. Nachdem eine zugezogene Baronin einen örtlichen Vaterländischen Frauenverein ins Leben gerufen hatte, war Elisabet Boehm mit Verve bei der Sache. Dort lernte sie das Organisieren.
Doch nicht nur die Frauen, auch die Landwirte begannen sich zu organisieren. Nachdem Leo von Caprivi die von seinem Vorgänger als deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident, Otto von Bismarck, 1878 begonnene Schutzzollpolitik gelockert hatte, gründete sich 1893 der Bund der Landwirte. Elisabet Boehm bejahte diese Organisation. Umso mehr störte es sie, dass die Frauen draußen bleiben mussten. Gleiches galt für die in dieser Zeit gegründeten Landwirtschaftskammern.
1898 schritt sie zur Tat. Ausgehend von einem Lesekränzchen, einer noch durchaus zeittypischen Form weiblicher Selbstorganisation, gründete sie ein halbes Jahrzehnt nach Gründung des Bundes der Landwirte sozusagen als weibliches Pendant oder weibliche Ergänzung in Rastenburg den ersten landwirtschaftlichen Hausfrauenverein. Primärer Sinn und Zweck dieses Selbsthilfevereins war es, den Mitgliedern das zu geben, was sie selber vermisst hatte, als sie nach ihrer Heirat als junge Gutsfrau nach Lamgarben gekommen war. Dazu gehörte vor allem eine landwirtschaftliche Bildung beziehungsweise Ausbildung.
Dazu gehört aber auch, einen Vertriebsweg zu schaffen für die Produkte der damaligen Domänen der Landfrauen, sprich Gartenbau und Geflügelzucht. So wurden nicht nur Land-, sondern auch Stadtfrauen in den Verein aufgenommen. Das hatte nicht nur das hehre Ziel, die Gegensätze zwischen Stadt und Land zu überbrücken, sondern auch das eher profane, Handelsbeziehungen herzustellen zwischen den Landfrauen mit ihren Produkten auf der einen Seite und den Stadtfrauen, die ihre Familien gesund ernähren wollten, auf der anderen. Boehms Verein nannte diesen modernen Ansatz unter Ausschaltung des schlecht funktionierenden und teuren Zwischenhandels in seinem Statut: „Vermehrung der Werterzeugung des ländlichen Haushaltes durch erleichterten Absatz und Versorgung des städtischen Haushaltes mit guter, frischer Ware durch erleichterten Einkauf“. Zu diesem Zwecke richtete der Verein eine Verkaufsstelle ein, die gleichzeitig als Mittelpunkt des Vereinslebens fungierte.
Nach dem Rastenburger Vorbild gründeten sich nun auch anderswo landwirtschaftliche Hausfrauenvereine mit entsprechenden Verkaufsstellen. Den Anfang machte 1900 Bartenstein, wo Elisabet Boehms Schwester Marta die Vereinsgründung initiierte. 1903 folgten Lötzen, Gumbinnen, Insterburg, Gerdauen, Cranz und Königsberg und im darauffolgenden Jahr Treuburg, Goldap, Osterode und Rößel. 1905 bildeten 14 Vereine einen ostpreußischen Landesverband. Weitere Landesverbände bildeten sich dann auch in Westpreußen, Schlesien, Pommern, Posen und Schleswig-Holstein. Diese sechs Verbände schlossen sich 1913 zum preußischen Landesverband zusammen. Dieser wiederum schloss sich 1916 mit mittlerweile gegründeten anderen Landesverbänden zum Reichsverband landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine zusammen. Vorsitzende dieses Reichsverbandes wurde Elisabet Boehm.
Gerade auch im Ersten Weltkrieg kam dem Verband große Bedeutung für die Versorgung der Zivilbevölkerung zu. Boehm achtete auf konfessionelle und parteipolitische Neutralität und so konnten sie und ihre Vereine auch im neuen politischen System nach der Novemberrevolution weiterarbeiten.
Als 1934 ihre Organisation in den Reichsnährstand überführt wurde, trug Elisabet Boehm zumindest auf Reichsebene schon keine Verantwortung mehr. Und als 1948 sich die Landfrauen in ihrem Geiste im bis heute existierenden Deutschen Landfrauenverband neu organisierten, war Boehm schon nicht mehr am Leben. 1929 war Elisabet Boehm nach über drei Jahrzehnten an der Spitze des Reichsverbandes zurückgetreten. Aus diesem Anlass verlieh ihr die Königsberger Albertina noch im selben Jahr als erster Frau die Ehrenbürgerschaft. Am 30. Mai 1943 starb Elisabet Boehm in Halle, wohin sie 1925 übergesiedelt war.