Von Dr. Manuel Ruoff
Vor 100 Jahren weihte der Deutsche Kaiser Wilhelm II. die Marineschule Mürwik ein
Am 21. November 1910 wurde sie eingeweiht, am Ende des Zweiten Weltkrieges machte Karl Dönitz sie zum Sitz der Reichsregierung, und heute bildet die Deutsche Marine an ihr ihre Offiziere aus – die Rede ist von der Marineschule Mürwik.
So lange sich das Deutsche Reich in der Tradition Preußens noch primär als Landmacht begriff, genügte das 1888 fertiggestellte heutige Landtagsgebäude Schleswig-Holsteins den Anforderungen an die Ausbildungsstätte der Offiziere der Kaiserlichen Marine. Als allerdings 1898 mit dem ersten Flottengesetz die Aufrüstung der Flotte begann, war das nicht mehr der Fall. Statt 70 bis 80 mussten pro Jahrgang nun 200 Seekadetten ausgebildet werden. Da zudem die infanteristische Grundausbildung der Kadetten zukünftig auch an der Marineschule stattfinden sollte, war es mit kleinen Erweiterungsbauten nicht getan.
Der Staatssekretär des Reichsmarineamtes Admiral Alfred von Tirpitz schlug einen Neubau in Mürwik bei Flensburg vor. Dort verfügte die Marine bereits über Terrain und Tirpitz hielt das Gelände für geeignet, dort nach angelsächsischem Vorbild ein deutsches Annapolis oder Dartmouth zu schaffen. Annapolis ist der Sitz der United States Naval Academy, Dartmouth des Britannia Royal Naval College. Von Tirpitz nach seiner Meinung gefragt, pflichtete der Chef der Bildungsinspektion, Vizeadmiral Volkmar von Arnim, seinem Chef bei. Zum einen sei das bisherige Gebäude für die zukünftigen Herausforderungen viel zu klein und zum anderen böte der Standort Kiel Gefahren für die Moral des Offiziersnachwuchses. Mürwik hingegen sei weit genug von der nächsten Stadt entfernt, um die Zöglinge unter Kontrolle zu halten, aber nahe genug an Flensburg gelegen, „um die materielle Versorgung und Unterhaltung der Anstalt von vornherein als gesichert ansehen zu können“. Am 22. Juni 1903 billigte Kaiser Wilhelm II. die von Tirpitz vorgeschlagene Verlegung nach Mürwik.
Analog zu heutigen Gemeinden freute sich auch Flensburg über den geplanten Truppenstandort und die damit verbundene Kombination aus Investitionen, Kaufkraft und Arbeitsplätzen. Am 9. März 1905 schenkte der Magistrat dem Marineamt ein 15 Hektar großes Areal am Steilufer der Flensburger Förde unter der Bedingung, dass die Marineschule bis zum 1. April 1909 dorthin verlegt werde. Zwei weitere Hektar erwarb die Marine käuflich.
Zur Verwirklichung kam letztendlich ein Entwurf des Baurates Alfred Kelm von der Marinebauverwaltung in Kiel aus dem Jahre 1905. Im selben Jahr wurde in Dartmouth das neue Gebäude des Britannia Royal Naval College fertiggestellt. Beide Bauten weisen eine gewisse Ähnlichkeit auf: Sie sind weitgehend symmetrisch, wobei jeweils an einen schlossartigen Mittelteil mit einem Turm zu beiden Seiten flachere Flügelbauten anschließen, was zu einer breiten, eindrucksvollen Front führt. Allerdings sind Baustil wie Baumaterialien im Falle Mürwiks sehr norddeutsch. Manche fühlen sich bei dem aus Granit und Ziegeln gefertigten Bau an der Förde an die Marienburg an der Weichsel erinnert. Ganz bewusst wurde hier an Traditionen des Deutschordensstaates und der Hansestädte angeknüpft und damit die geringe Tradition der Hochseeflotte überspielt. Das Anknüpfen an hansische Traditionen war auch insoweit sinnig, als die Marine wie die Hansestädte Bürgersöhnen besondere Betätigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten bot.
1907 wurde der Grundstein gelegt. Bis 1909 wurde man zwar nicht fertig, aber 1910 war es dann so weit. Am 21. November legte der von der Seeseite mit dem Depeschenboot „Sleipner“ anreisende Kaiser vor dem Neubau an. Vom Anleger aus begab sich Wilhelm II. über die Treppenanlage hinauf zur Schule. In der Turnhalle wurde die Ausbildungsstätte dann eingeweiht. Der Monarch verlas eine an den Offiziersnachwuchs gerichtete Kabinettsorder. Eine im Programm eigentlich nicht vorgesehene Ansprache folgte. Anschließend ließ sich der Souverän vom Direktor durch die Marineschule führen, um dann wieder auf dem Wege zu entschwinden, auf dem er gekommen war. Der Kaiser ist inzwischen Geschichte; das „rote Schloss am Meer“ hingegen dient nach wie vor seinem ihm vor 100 Jahren zugedachten Zweck – und ein Ende ist nicht in Sicht.