Rezension zum Buch
Verzweifelte Hausfrauen? Erscheinungsformen der Macht in DESPERATE HOUSEWIVES
von Julia Langner. Mit einem Vorwort von Kay Kirchmann
Tectum, Marburg, 2009
Von Götz Egloff
Da gibt es also Hausfrauen. Und die Soziologie. Und die Psychologie. Und Macht. Die Medienwissenschaften. Und Fernsehserien… Eine davon, die Erfolgsserie DESPERATE HOUSEWIVES, nimmt Julia Langner, Universität Erlangen-Nürnberg, in ihrem Buch unter die Lupe und bündelt viele der genannten Schlagwörter in einer Tour-de-Force durch die verschiedenen Disziplinen. Nach einer gelungenen Einführung in die Historie des Machttopos mit Ausflügen zu Hobbes, Nietzsche, Foucault, Plessner, sowie in die psychologische Forschung von McCleland, führt die Autorin die Leser mittels eines, sozusagen Close Viewing in die beziehungsverstrickten Welten der Protagonistinnen Bree, Lynette, Gabrielle und Susan ein und zeigt auf, auf welche Art sich zeitgenössische Frauenbilder in einem aktuellen Fernsehformat darstellen. Und gibt damit Einblick, inwiefern sich diese im Lauf der Zeiten verändert oder eben nicht verändert haben. In jedem Fall ist dies höchst spannend.
Was sich verändert hat, das wird deutlich, sind die medialen Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Themen. Einst – und teilweise zurecht – vielgeschmähte Fernsehserien werden mittlerweile zum Reflektionsort gesellschaftlicher Zusammenhänge, zum Ort gesellschaftlicher Selbstbefragung (s. Kay Kirchmann im Vorwort). Dass in einer Serie wie HOUSEWIVES gesellschaftliche Paradigmenwechsel beobachtet werden können – und geschaffen werden können, ist bislang zwar kein Common Sense, jedoch nicht wirklich erstaunlich – schließlich handelt es sich hier um die Produktionen westlicher, sagen wir, Massenkultur-Produzenten. Für jene gilt: das Publikum muss erreicht werden. Dies gelingt auch den HOUSEWIVES.
In den meisten Fällen wird Macht allerdings im Rahmen von Geld- und Gewalt-Kontexten konstruiert, wie Langner ganz richtig feststellt. Somit wird ein klassischerweise als männlich codiertes Gefüge dargestellt. Anders bei den HOUSEWIVES: hier ist eine Verschiebung hin zu den eher weiblich codierten Erscheinungsformen der Macht zu beobachten, die den Einsatz von Geld und Gewalt zwar nicht ausschließt, diesen aber geradezu banal erscheinen lässt.
Sex gleich Macht? Ja und nein. Gewiss ein Instrument zur Durchsetzung von Interessen, mal planvoll eingesetzt, mal aus dem Moment heraus, mal aber auch ungefiltert-direkter Befriedigungswunsch – letzteres geht leider etwas unter: Triebkräfte, in der klassischen Psychoanalyse als Libido, Begehren oder Narzissmus konzeptualisiert, wirken in viele Richtungen. Dies ist nicht Gegenstand der Arbeit, darf aber gerne mitgedacht werden. Wie Langner jedoch klar darlegt, sind die Erscheinungsformen – und darum geht es ihr – der Macht sehr vielfältig. Über die dahinterliegenden Motivationen darf nachgedacht werden. Nietzsches Konzept des Willens zur Macht kommt dem sehr nahe, und auch Sartres Macht des Blickes, auf die Langner ebenso Bezug nimmt, ist ein ergiebiges Feld zur Bearbeitung interaktioneller Konstellationen.
Julia Langners meist phänomenologischer Ansatz bietet die Möglichkeit einer Wesensschau, mit der sich jenseits tieferer psychologischer Deutungsebenen den Interaktionen der Protagonisten gewidmet wird. Dies ist durchaus eine dankbare Aufgabe, da eine interpretatorische Theorieüberformung auf diese Weise vermieden wird. Somit ist Verzweifelte Hausfrauen? eine gelungene Arbeit, die zeigt, dass Medienwissenschaften nicht flach sein müssen, sondern reichhaltige Angebote zum Verstehen, Interpretieren und Sinnieren machen. Langners Darstellungen sind meist komprimiert und schnörkellos; in den allermeisten Fällen solide, immer mit Verve und Lust vorgetragen. Dies ist eine große Stärke ihres Buches, und obwohl das Sujet dies nahelegt, absolut nicht selbstverständlich.
Das bisweilen etwas Räuberpistolenhafte der HOUSEWIVES gerät vorzugsweise in den Hintergrund, sodass man glatt vergisst, dass Sex and the City die stärkere Serie ist – wenn Langner selbst auch mit Recht darauf hinweist, dass in Sex and the City zum Ende der kompletten Serie hin recht konventionelle Wege der Auflösung begangen werden. HOUSEWIVES wird eher in der Schwebe gehalten, so Langner, und entzieht sich somit fast subversiv herkömmlichen Zuschauererwartungen.
Wie die Altertumswissenschaftlerin Ivana Petrovic (2006, s.u.) unlängst wieder einmal aufgezeigt hat, ist das Verständnis historischer szenischer Darstellungen ungemein erhellend, um den Menschen in seinen historischen Bezügen besser zu verstehen, sowohl diachron als auch synchron. Es handelt sich somit bei dem als Gender Studies bezeichneten kulturwissenschaftlichen Ansatz oft implizit um Psycho- und Soziohistorie, Ansätze die den Menschen in seiner Bezogenheit auf andere Menschen zeigen und untersuchen. Auch Langner, die auch auf Petrovic verweist, nimmt an vielen Stellen implizit diese Perspektive ein. Um Nietzsche aufzugreifen, kommt die Wiederkehr des ewig gleichen eben immer wieder in neuen Formen daher, die auch immer wieder neu untersucht, decodiert werden müssen.
Der Tectum-Verlag, Marburg, hat einmal mehr einem gelungenen akademischen Werk ans Licht der Welt verholfen. Die Kulturwissenschaften sind im Zeitalter naturwissenschaftlicher Über-Dominanz gut beraten, ihre dringend notwendige Relevanz deutlich zu demonstrieren. Es wird für zukünftige Generationen von Kulturwissenschaftlern notwendig sein, solch einen libidinösen Zugang zu wissenschaftlichem Denken immer wieder herzustellen und zu erhalten, nicht zuletzt um weiterer Verblödung in Deutschland keinen Vorschub zu leisten. In dieser Hinsicht ist Langners Arbeit vorbildlich. Und es macht auch noch Spaß, diese zu lesen.
(s. Ivana Petrovic: Desperate Housewives, Sex and the City: Das Bild der Frau im Hellenismus. In: Giessener Universitätsblätter, 39, 2006, 25-36.)