Von Uta Buhr
Wiedersehen macht Freude! Dieses Stück, in welchem Sünder an der Tafel von Personen mit hohen moralischen Ansprüchen genau genommen nicht teilnehmen dürften, haben wir schon einmal gesehen. Allerdings vor so langer Zeit, dass wir uns nur noch bruchstückweise an die Handlung erinnern. Die vor witzigen Einfällen sprühende temporeiche Komödie des renommierten britischen Stückeschreibers Edward Taylor ist genau die richtige Antwort auf depressive Stimmungen im grauen Monat November, in dem Meldungen von neuen Attentaten auf unschuldige Menschen nicht abreißen wollen. Dennoch – im English Theatre darf und soll trotz allem herzlich gelacht werden.
„Carpe diem“ ist die Maxime von Jim Watt, dem jungen Karrieristen mit schicker Wohnung im Londoner Nobelviertel Chelsea. Alles läuft nach seinem Gusto, bis sein amerikanischer Boss sich bei ihm zum Dinner anmeldet. Soweit so gut. Doch bei Bill McGregor und seiner Frau Nancy handelt es sich um Mitglieder einer puritanischen Sekte mit äußerst strengen moralischen Prinzipien. Wilde Ehe eines der Angestellten? Fehlanzeige. Bei den McGregors gilt: Ein Mitarbeiter, der nicht ordnungsgemäß qua Heiratsurkunde verehelicht ist, fliegt entweder aus der Firma oder wird in eine Niederlassung an einem der unwirtlichsten Orte der Welt verbannt. So unlängst geschehen mit einem französischen Kollegen, der von Paris nach Afghanistan „versetzt“ wurde.“ Panik kommt auf bei Jim. Seit Jahren wartet seine langjährige attraktive Freundin Helen Foster auf seinen Antrag. Doch Jim will sich nicht binden und bittet Helen lediglich, an diesem Abend für den hohen Besuch zu kochen und auch noch seine Ehefrau zu spielen. Terri lehnt ab und rauscht empört davon. Jims kurzsichtige Kollegin Terri Pringle würde gern aushelfen, ist jedoch verhindert. Als eine auch eine dritte Kandidatin ausfällt, bleibt nur noch Edna Chapman, Jims mit einem deftigen Cockneyakzent gesegnete Putzfrau, die bereit ist, gegen ein entsprechend hohes Honorar an diesem Abend Mrs. Jim Watt darzustellen.
Die Weichen für die totale Katastrophe sind somit gestellt. Alles geht schief, was nur schief gehen kann, angefangen bei Ednas unpassender Garderobe, die zu allem Überfluss noch von einer äußerst abenteuerlichen Frisur gekrönt wird. Bill McGregor (gewohnt souverän dargestellt von James Walmsley) und Ehefrau Nancy (naiv-sympathisch Debbie Radcliffe), machen zunächst gute Miene zum bösen Spiel, bis plötzlich Helen auftaucht. Es tue ihr leid, vorhin weggelaufen zu sein, gesteht sie dem verwirrten Jim, der sich jetzt mit zwei „Ehefrauen“ konfrontiert sieht. Zu allem Überfluss steht auf einmal Terri als Gattin Nummer drei im Türrahmen, die es sich ebenfalls anders überlegt hat. Bill McGregor ist, wie nicht anders zu erwarten, aufs Höchste empört, droht Jim mit Sanktionen und ist drauf und dran die Party zu verlassen. Wenn da nicht Edna wäre, die über profunde Börsenkenntnisse verfügt und Bill zum Kauf von Aktien eines großen internationalen Konzerns rät, deren Kurs in schwindelerregende Höhen steigt. Diese guten Nachrichten treiben dem Moralapostel Bill McGregor, der zuvor getönt hatte, Geld sei nicht alles, Dollarzeichen in die Augen. Edna und Bill wechseln unentwegt zwischen Esszimmer und dem Computer in Jims Büro hin und her, um die ständig steigenden Kurse enthusiastisch zu kommentieren.
Inzwischen bahnt sich neues Unheil in der Küche an. Nachdem der Schnellkochtopf explodiert ist, trumpft Helen mit ihrem Takeaway vom Chinesen von gegenüber auf. Es wird zu Tisch gebeten. Ist nun alles in bester Ordnung? Mitnichten. Denn der große Boss aus Amerika hat seine Fassung wiedergefunden und zeigt sich erneut moralisch empört über Jims Lotterleben. Als Terri Pringle sich ihm jedoch als einen seiner One-Night-Stands während ihrer Assistentenzeit in New York zu erkennen gibt, versucht er, dies als unbedeutende Affäre herunterzuspielen. Da hat er jedoch die Rechnung ohne Gattin Nancy gemacht, die sich ihrerseits indigniert über den lockeren Lebenswandel ihres angeblichen Vorzeigegatten zeigt.
Um den Ehefrieden zu retten, gibt Bill schließlich klein bei, ernennt die geniale Börsenjobberin und ehemalige Putzfrau Edna zu seiner persönlichen Assistentin und verspricht Terri die Stellung, von der sie seit langem geträumt hat. Auch Jim wird befördert und scheint ernsthaft darüber nachzudenken, die schöne Helen nun doch zu heiraten. Am
festlich gedeckten Tisch sitzt jetzt neben Jim ein noch viel größerer Sünder – der ehebrecherische Bill McGregor. Ob Gattin Nancy ihm seinen Fehltritt wohl verzeihen wird? Und was ist mit der sittenstrengen American Church, die nur Mitglieder mit blütenreinen
Westen duldet?
Aber Schwamm drüber und viel Applaus für die sechs Schauspieler, von denen einige Hamburg-süchtig zu sein scheinen. Denn den bereits erwähnten, stets als Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle auftretenden James Walmsley kennen wir bereits aus verschiedenen Produktionen des TET ebenso wie Jan Hirst (unvergessen als strenge Nonne in John Patrick Shanleys Drama „Doubt“) und Debbie Radcliffe, die bereits eine gute Figur in „Anyone for Breakfast“ und in „Touch and Go“ machte. Die „Debütanten“ auf den Brettern des English Theatre – John Stoss in der Rolle des Hedonisten Jim Watt sowie Lucy Sinclair als hinreißende Helen und last but not least die die kurzsichtige Terri verkörpernde Toni Peach kamen beim Publikum gut an. Wir hoffen diese drei Mimen auch bald zu den Hamburg-Fans zählen zu dürfen.
Edward Taylor (Jahrgang 1931 in Essex), der „No Dinner für Sinners“ schrieb, ist ein speziell in Großbritannien bekannter Autor. Er arbeitet seit Langem für die BBC, die „Grand Old Lady“ unter den Rundfunkanstalten, produziert Sendungen und schreibt ebenso urkomische wie hochdramatische Stücke mit leichter Hand. „Murder by Misadventure“ sowie „Pardon me, Prime Minister“ sind nur zwei seiner hochgelobten Stücke.
“No Dinner for Sinners” läuft bis einschließlich 6. Februar 2016
Karten unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de
Nächste Premiere „Educating Rita“ von William Russell am 18. Februar 2016