Von Uta Buhr
Das neue Stück am English Theatre of Hamburg
So fabelhaft wie die Welt der Amélie, alias Audrey Toutou, die sich in ihrer Fantasie ein herrliches Dasein rund um den Montmartre auf den zarten Leib schneidert, stellt sich jene der Amanda Waslyk nicht dar. Der frühreife Teenager, der gerade einmal dreizehn Jahre zählt, hat Mühe, sich mit der Tristesse einer schmutzigen Stadt namens Beertown im „Kohlenpott“ Pennsylvanias zu arrangieren. Da Amanda häufig allein ist, erfindet sie einen Gefährten namens Randolph, der ihr nach Lust und Laune Gesellschaft leistet und jeweils in die Rollen der von ihr verehrten Romanfiguren schlüpft. Selbstverständlich ist Randolph nur für sie und das Publikum sicht- und hörbar.
Als der Vorhang sich hebt, verkörpert der imaginäre Freund – Amandas alter ego – den großen Gatsby. In Gestus und Habitus scheint der junge Mann just dem Buch seines Autors F. Scott Fitzgerald entsprungen zu sein. Zwischen dem jungen Mädchen in seiner braven Schuluniform und dem geckenhaft in strahlendes Weiß gekleideten Randolph entspinnt sich ein verschwörerischer Dialog, der darauf hinausläuft, jeden Mann, der auch nur das geringste Interesse an Amandas Mutter bekundet, sofort aus dem Haus zu ekeln. Arme Mum, denkt so mancher Zuschauer voller Mitleid.
Als ob Miriam Waslyk es als allein erziehende Mutter dieser reichlich komplizierten Tochter nicht schon schwer genug hätte. Zumal sie, die als Kellnerin mühsam ihr Geld verdient, auch noch künstlerische Ambitionen hegt, für die ihr viel zu wenig Zeit bleiben. Allerdings kann sie ihrer malerischen Leidenschaft ohnehin nur nachts frönen – dem guten alten Mond, der in voller, halber oder sichelhafter Schönheit die Wände des schlichten Heims der kleinen Familie schmückt.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt, wusste schon der geniale Satiriker Wilhelm Busch. Denn ganz gegen Amandas und Randolphs Willen betritt der ebenso sympathische wie gewitzte Warren Zimmerman die Szene. Warren in seiner Eigenschaft als Briefträger ist gleichzeitig ein „postillon d’amour“, der um die Gunst der attraktiven Miriam wirbt. Selbstverständlich versuchen Amanda und Randolph, der sich inzwischen in den ebenso berühmten wie gefürchteten Apachenführer Geronimo verwandelt hat, Warren aus dem Haus zu vertreiben. Dieser Versuch endet in heiter bis turbulenten Szenen. Doch Warren erweist sich als ebenbürtiger Gegner der beiden. Am Ende gewinnt er selbst das Herz der eifersüchtigen Amanda.
Jeder weiß, dass es ein hartes Stück Arbeit ist, die Geister, die man rief, wieder loszuwerden. Das muss auch Amanda erkennen, die Randolph wiederholt mit einem beschwörenden „Go away“, zu vertreiben sucht. In seiner Verzweiflung tritt dieser als furchtloser Samurai im Kimono auf und droht gar, Harakiri zu begehen, wenn Amanda ihm nicht folgt. Wer erleben will, ob es gelingt, Randolph wieder in das Schattenreich, dem er einst entsprang, zu verbannen, sehe sich „ Moon over the Brewery“ selbst an. Abgesehen von einigen Längen ist das Stück recht amüsant und wird zudem mancher Mutter aus der Seele sprechen, die sich mit ihrem pubertierenden Nachwuchs herumschlagen muss.
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass dieses Stück von Bruce Graham gegen all die dramaturgischen Feuerwerke, die wir in letzter Zeit auf der Mundsburger Bühne erleben durften, ziemlich abfällt. Kein Wunder, welcher Autor kann es schon mit einem William Shakespeare, einem D. H. Lawrence oder einem George Bernard Shaw aufnehmen. Dennoch, die Schauspieler gaben ihr Bestes, zeigten Spielfreude und komödiantisches Talent und holten aus dem Stück heraus, was es hergab. Allen voran Charlotte Croft , die keinen Tag älter als dreizehn wirkte und die schmollende, renitente Amanda überzeugend verkörperte. Beim Publikum kam das Stück offensichtlich gut an. Es dankte mit freundlichem Applaus, unter das sich auch einige Bravorufe mischten.
Autor Bruce Graham hat bereits eine Reihe von Bühnenwerken geschrieben, die in der angelsächsischen Welt große Erfolge feierten, bei uns jedoch noch ziemlich unbekannt sind. Er wurde mit vielen bedeutenden Preisen geehrt – darunter mit einem Award der Rockefeller Foundation und der Statuette der Princess Grace Foundation.
„ Moon over the Brewery“ läuft bis einschließlich 30. Juni 2012 – Karten unter
Telefon 040 – 227 70 89 – Online-Buchungen: www.englishtheatre.de
Anschließend geht das Theater in die Ferien und meldet sich im Herbst mit einer neuen Premiere zurück. Wir geben das neue Stück rechtzeitig an dieser Stelle bekannt.