Von Dr. Manuel Ruoff
Als Kriegsminister führte er das Zündnadelgewehr ein
Ein Spezifikum der Technik ist, dass es bei ihr unbestreitbar einen Fortschritt gibt. Als Ingenieur im weiteren Sinne selber Techniker, war sich Gustav von Rauch dieser Tatsache bewusst. Und als Kriegsminister führte er das im preußisch-österreichischen Kräftemessen von 1866 so wichtige neuartige Zündnadelgewehr ein.
Abgesehen vom Sonderfall Technik stand Rauch Neuem allerdings kritisch gegenüber. Der am 1. April 1774 in Braunschweig geborene Preuße gilt denn auch trotz der von ihm beförderten militärischen Modernisierung als letzter Vertreter der politischen Restauration.
Innovation und Kreativität waren dem bedächtigen, auf die Verteidigung des Status quo bedachten Zauderer fremd. Mit Fleiß, Ordnung und Akribie verstand er es, das einmal Gelernte auf ihm gestellte Aufgaben anzuwenden. Der große preußische Militärreformer Gerhard von Scharnhorst bescheinigte ihm, „seine Geschäfte mit seltenem Eifer“ zu versehen und schrieb ihm: „Ohne Ihre Ordnungsliebe, Betriebsamkeit, Menschenkenntnis und Einsicht würde der mir bestimmte Wirkungskreis schlecht verwaltet werden.“ Verwaltung war Rauchs Stärke, nicht Gestaltung. Rauch war nicht der Typ, der mit Hurra in neue Sphären vorstieß. Als Angriff angesagt war, hat Rauch mehr als einmal gefehlt. Die Verteidigung des Bekannten und vermeintlich Bewährten war seine Stärke.
So lobte der von der Konvention von Tauroggen bekannte General Ludwig Yorck von Wartenburg denn auch bezeichnenderweise Rauchs Ordnung in der Defensive, wenn er nach dem Gefecht bei Königswartha-Weißig am 19. Mai 1813 schrieb: „Vorzüglich erwähne ich auch bei dieser Gelegenheit den Chef meines Generalstabes, den Obrist von Rauch, dem ich die Ordnung, mit welcher der nächtliche Rückzug durch die Defiléen vor sich ging, ganz besonders zuschreiben muss.“ Ansonsten soll Yorck, so zumindest sein Biograph Johann Gustav Droysen, Rauch eher „langweilig“ gefunden haben.
Wenn Rauch Vertrauen und Achtung seiner Untergebenen besaß, dann lag das außer an seiner von Scharnhorst konstatierten Menschenkenntnis und großem Wohlwollen gegenüber seinen Mitarbeitern auch an seiner Ordnung, an ihrer ordentlichen Behandlung durch ihn. Rechtlichkeit und Unparteilichkeit werden in diesem Zusammenhang ausdrücklich als Tugenden von ihm genannt.
Menschenkenntnis und der ihm eigene Defensivgeist kennzeichneten auch seinen Umgang mit Vorgesetzten. Vorsichtig war er darauf bedacht, bei seinen Anträgen nie die Grenzen des Erreichbaren zu überschreiten.
Wir stoßen nun in das Feld der Spekulation vor, aber angesichts des Wesens und Wirkens Rauchs ist die Mutmaßung erlaubt, dass es bei ihm denn auch weniger Freude an technischen Neuerungen als die Neigung zum Festhalten an eingefahrenen Gleisen war, was ihn den Beruf des Militäringenieurs ergreifen ließ. Vor ihm hatte bereits sein Vater diesen Berufsweg eingeschlagen und an der Potsdamer Ingenieurakademie (Ecole de génie) hatte er diesen zum Lehrer.
Das Ende von Rauchs Ausbildung fiel in die Zeit der drei Teilungen Polens. Preußen expandierte in den polnischen Raum und Rauch wurde zur Erschließung und Verteidigung der neu erworbenen Gebiete eingesetzt. Er beteiligte sich an Landesaufnahmen und Befestigungsarbeiten und nahm auch an der Niederschlagung des Kosciuszko-Aufstandes 1794 teil. Über eine Tätigkeit als Adjutant des Generalquartiermeisters und Chefs des Ingenieurkorps kam er nach Berlin und in den neugebildeten Generalstab.
Dort lieferte er nach dem Ausbruch des Vierten Koalitionskrieges einen Beweis seiner defensiven Grundeinstellung, als er statt eines offensiven Vorgehens gegen die napoleonische Armee Maßregeln empfahl, die zur Teilung der eigenen Kräfte in die bei Jena und Auerstedt vereinzelt geschlagenen Heerhaufen führten. Nach der Doppelniederlage konnte er sich nach Preußen absetzen und fungierte erst beim vergeblichen Versuch, Danzig zu entsetzen, und dann beim Gouverneur Königsbergs Ernst von Rüchel als Generalstabschef.
Nach der Beendigung des Vierten Koalitionskrieges durch den Tilsiter Frieden wurde Rauch Scharnhorsts Kriegsministerum zugeteilt. Als sein Minister erst aus Rücksicht auf die französischen Besatzer aus der Schusslinie genommen wurde und dann nach dem Ausbruch der Befreiungskriege 1813 fiel, übernahm Rauch von diesem die Leitung des Ingenieurkorps und des Generalstabes. Als Generalstabschef diente Rauch erst Yorck und dann Gebhard Leberecht von Blücher. Und wieder verleitete seine defensive Grundeinstellung Rauch zu einem schlechten Rat. So riet er vom Übergang über die Elbe bei Wartenburg, die den Sieg der Alliierten in der Völkerschlacht bei Leipzig ermöglichte, mit der Begründung ab, dass der Zustand der schlesischen Festungen nicht gut genug sei, um im Falle des Misslingens das Heer genügend sicher zu stellen. Trotz dieses schlechten Rates wurde Rauch 1813 vorübergehend faktischer Leiter des Kriegsministeriums.
Rauch war jedoch eher der Typus Zuarbeiter und nach dem Ersten Pariser Frieden übernahm im August 1814 Hermann von Boyen das Kriegsministerium. Rauchs Stärke war eben weniger die Schaffung neuer Formen, wie es so schön heißt, sondern die Ordnung verworrener und verwickelter Verhältnisse. Als Chef des Ingenieurkorps und Generalinspekteur der Festungen leitete er in der Friedensperiode nach den napoleonischen Kriegen den Aufbau der preußischen Befestigungslinien an Rhein, Elbe und Oder-Weichsel. Als Leiter der Seewehr-Kommission entwickelte er 1824 die Pläne zur Küstenverteidigung, aus denen nach seinem Tod 1848 die preußische Marine hervorging.
Als typischer Vertreter des preußischen Konservatismus und der Befreiungskriegsteilnehmer stand Rauch für ein gutes Verhältnis zur konservativsten der fünf Großmächte, zu Russland. Die Sympathie beruhte aus Gegenseitigkeit. Die russischen Zaren schätzten den Preußen. Wiederholt nahm er am preußisch-russischen Ingenieur- und Planaustausch teil. Auf Wunsch des Zaren Alexander I. besichtigte er 1822 die Festungen in Russland und auf Einladung von dessen Nachfolger Nikolaus I. später auch jene in Kongresspolen. Auch nahm Rauch als Abgesandter seines Landes an Nikolaus’ Krönung teil.
Zum Ende seines Lebens wurde Rauch dann noch einmal formell, was er interimistisch und faktisch bereits in den napoleonischen Kriegen kurz gewesen war, Leiter des Kriegsministeriums. Nach dem Tode des Kriegsministers Job von Witzleben, den er vorher schon vertreten hatte, wurde er am 30. Juli 1837 dessen Nachfolger. Allerdings fing Rauch Ende 1838 selbst an zu kränkeln und bat deshalb Anfang Februar 1841 um seinen Abschied, der ihm noch im selben Monat gewährt wurde. Einen guten Monat später, am 2. April 1841, starb er in Berlin.
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