Von Uta Buhr
Dieser Artikel erschien in folgenden Medien: Schleswig-Holstein am Sonntag am 11. September, Rheinische Post am 28. September und PAZ am 22. Oktober 2011
Am 22. Oktober dieses Jahres wäre der weltberühmte Pianist und Komponist Franz Liszt 200 Jahre alt geworden. Grund genug, einige Stationen seines wechselvollen Lebens in seiner ungarischen Heimat nachzuzeichnen.
Gergely Bogányi hebt entsetzt die schmalen Pianistenhände. Nein, Franz Liszt einen Superstar oder gar Popstar zu nennen, wäre ein Vergehen an seinem Genie. Ein schrecklicher Begriff, findet er, der heutzutage auch Leute einschließt, die keinerlei künstlerische Begabung besitzen. Recht hat er. Der große schlanke Mann – 37 Lenze jung – ähnelt mit seinen schulterlangen Haaren und der charakteristischen Nase nicht nur seinem großen Vorbild, sondern spielt auch das Piano forte wie ein Gott. Gerade intoniert er im Franz-Liszt-Museum (ehemals Nationale Ungarisch-Königliche Musikakademie) in der Vörösmatystraße 35 auf der Pester Seite die berühmten „Consolations“ auf einem alten Boesendorfer, den schon Liszt bespielte.
Der Künstler, zurzeit die Nummer eins in Ungarn und inzwischen auch weltweit berühmt, ist kurz vorbei gekommen, um dem einstigen Wohnsitz seines Idols einen Besuch abzustatten. Die nostalgisch plüschigen, mit schweren Eichenmöbeln, Kanapees, einer Reihe schöner Porträts und mehreren Klavieren ausgestatteten Räume, die Liszt während seiner Lehrtätigkeit von 1860 bis 1866 bewohnte, sind das Herzstück der Liszt-Route kreuz und quer durch Budapest. Ehrfurchtsvoll verharren die Besucher vor dem kunstvoll geschnitzten Hausaltar, an dem der Meister jeden Tag zu beten pflegte.
„Franz Liszt war ein tief religiöser Mensch“, betont Zsófia Bittó, während sie ihre Gäste zur Innerstädtischen Pfarrkirche begleitet, in der der Virtuose oft die Orgel spielte. „Und tätige Nächstenliebe war eine Selbstverständlichkeit für ihn.“ Als im Jahre 1838 die Donau über ihre Ufer trat und weite Teile Pests unter Wasser setzte, eilte Liszt sofort aus Paris herbei und half mit Benefizkonzerten die Not der Bevölkerung zu lindern. Seine Wohltätigkeit ging sogar soweit, dass er Tochter Cosima trotz der enormen Einnahmen aus seinen zahlreichen Tourneen lediglich „sieben Taschentücher“ hinterlassen haben soll, wie diese nach seinem Tode ironisch bemerkte.
Die Route führt weiter über den Alten Fischmarkt zur Staatsoper, die eine Statue des Liszt Ferencz – so sein ungarischer Name – in einer steinernen Muschel schmückt. Ehemalige Residenzen in schönen alten Häusern der Belle Epoque liegen am Wegesrand mit Gedenktafeln neben den Eingängen. Per Seilbahn geht es hinauf nach Buda. Auch hier wohnte der umtriebige Musiker in einem der zahlreichen, liebevoll restaurierten Stadtpalais. Letzter Besichtigungspunkt ist die imposante Matthiaskirche auf der Fischerbastei. Zur Krönung von Kaiser Franz Joseph I. und seiner Sisi zu König und Königin von Ungarn im Jahre 1867 durfte Liszt zwar die Messe komponieren, jedoch als „Ausländer“ nicht aktiv als Musiker auftreten. Er nahm, neben der Orgel sitzend, an der Zeremonie teil, erzählt Zsófia Bittó während einer Kaffeepause in der Konditorei „Ruszwurm.“ Mit dem Besuch der ältesten, ganz im Biedermeierstil gehaltenen Konditorei Budapests neigt sich die Tour ihrem Ende zu.
Wer die bequeme „Raaberbahn“ benutzt, erreicht in zweieinhalb Stunden Sopron (Ödenburg) einen weiteren Höhepunkt auf der Spurensuche nach dem Genie Franz Liszt. Diese von einem völlig intakten mittelalterlichen Kern geprägte Stadt an der österreichisch-ungarischen Grenze erlangte im Sommer 1989 Heldenstatus, als sie Tausenden von DDR-Bürgern das Tor in die Freiheit öffnete. Hier gab Franz Liszt im zarten Alter von neun Jahren sein erstes Klavierkonzert. Hier wurde das Wunderkind von der Kritik gefeiert. Ein stets mit Blumen geschmücktes Standbild vor dem Stadttheater ehrt einen der größten Söhne Ungarns. Wer die engen Gassen und kleinen Nebenstraßen durchstreift, in denen sich ein schönes Haus, ein anmutiges Palais an das nächste schmiegt, versteht, warum Sopron gleich nach Budapest als die beliebteste Stadt Ungarns gilt. Auch sie ist in diesem Jahr von Kopf bis Fuß auf Liszt Ferencz eingestellt. Sogar eine Torte wurde zur Erinnerung an ihn kreiert – eine wahre Kalorienbombe aus Schokolade und Sahne, gekrönt von einer Haube aus Orangenmousse. Unwiderstehlich!
Nur einen Steinwurf von Sopron entfernt in Raiding steht das Haus, in welchem 1811 Franz Liszt das Licht der Welt erblickte. Um diese Zeit hieß der Ort noch Doborján und gehörte zu Ungarn. „Is doch eh wurscht“, lacht ein bärtiger Mann namens Josef, der seine Gäste durch die Ausstellung in dem geräumigen, weiß getünchten Haus führt. „Vater Ungar, Mutter Österreicherin. Alles k&k bis 1918.“ Obwohl Liszt sich Zeit seines Lebens als Ungar fühlte, sprach er nur wenige Worte seines heimischen Idioms. „Er war halt von früher Jugend an ein internationaler Künstler und auf der ganzen Welt zu Hause “, erklärt Josef. Von der liebevoll konzipierten Ausstellung mit vielen Bildern aus der frühen Jugend des Virtuosen geht es auf direktem Wege in den 2006 erbauten Konzertsaal. Die hier veranstalteten Konzerte setzen der „Lisztomanie“ – übrigens ein von Heinrich Heine geprägter Begriff – in diesem Jahr die Krone auf. Während eines Rundgangs durch den 850-Seelen-Ort wird der Spaziergänger von den schönsten Kompositionen des großen Meisters begleitet. Liebestraum und Ungarische Rhapsodie wetteifern mit dem Plätschern der Brunnen und dem Gezwitscher der Vögel in den alten Bäumen.
www.ungarn-tourismus.de und www.raiding.at
Fotos. Uta Buhr