erschienen in der PAZ
Von Dr. Manuel Ruoff
Vor 160 Jahren starb mit August Borsig eine typische Gründerpersönlichkeit der deutschen Industrialisierung im 19. Jahrhundert
Der „Lokomotivenkönig“, wie August Borsig bezeichnenderweise von Alexander von Humboldt genannt wurde, gründete den größten Lokomotivenproduzenten Europas und den neben Baldwin Locomotive Works in den USA größten der Welt.
Zunächst schien es so, als würde Johann Friedrich August Borsig in die Fußstapfen seines Vaters treten. Der am 23. Juni 1804 in Breslau als zweites von fünf Kindern geborene Schlesier erlernte das Zimmererhandwerk. Daneben besuchte er die Kunst-, Bau und Handwerkschule seiner Geburtsstadt. Ein Stipendium ermöglichte ihm ab 1823 den Besuch des Königlichen Gewerbe-Instituts in Berlin.
Jedoch grau ist alle Theorie und so wechselte er 1825 zur damals berühmten Maschinenbauanstalt und Eisengießerei F. A. Egells. Eine seiner ersten Aufgaben, den Zusammenbau einer Dampfmaschine im schlesischen Waldenburg, erfüllte er derart überzeugend, dass ihm sein Arbeitgeber bereits 1827 die Stelle eines Faktors, Werkmeisters, Betriebsleiters anbot. Er übernahm die Leitung der Neuen Berliner Eisengießerei. Der Anstellungsvertrag garantierte ihm für acht Jahre ein jährliches Einkommen von 300 Talern. Er konnte nun heiraten und tat es auch. 1828 führte er Louise Pahl, die Tochter des Küsters der Sankt-Hedwigs-Kirche, vor den Traualtar. Aus der Ehe ging im darauffolgenden Jahr sein einziger Sohn und späterer Nachfolger Albert hervor.
Borsig nutzte die Zeit, um sich den Ruf eines erstklassigen Fachmannes im Dampfmaschinenbau zu erwerben und das Startkapital für die Selbstständigkeit zu sammeln. 1837 gründete er in Nachbarschaft seines alten Arbeitgebers am Oranienburger Tor eine Eisengießerei und Maschinenbau-Anstalt. Anfänglich produzierte er primär Maschinen für die damals blühende Runkelrüben-Zucker-Fabrikation. Doch schon früh wurde die Eisenbahn sein Auftraggeber. So wird die Gründung seines Unternehmens am ersten gelungenen Guss für gusseiserne Schienenstühle für den Bau der Eisenbahn Berlin–Potsdam festgemacht. Der erste Großauftrag waren neben gusseisernem Schienenzubehör 116200 Schrauben für diese Bahnlinie. Schon wenige Jahre später wagte er sich an eine bis dahin britische Domäne, den Bau von Lokomotiven – und das auch noch nach eigenen Plänen und nicht etwa in Lizenzfertigung. Nachdem er 1839 erstmals für die Berlin-Potsdamer Eisenbahngesellschaft Lokomotiven repariert hatte, konnte er 1841 das erste in seinem Unternehmen gefertigte Exemplar der Berlin-Anhalter Eisenbahn ausliefern. Zu Werbezwecken veranstaltete er eine Wettfahrt von Berlin nach Jüterbog, in der er diese erste „Borsig“ gegen eine Lok des legendären Hauptbegründer des Eisenbahnwesens, George Stephenson, antreten ließ. Sein Produkt obsiegte. August Borsig hatte sein Metier gefunden.
Ihm gelang es, in Preußen eine monopolähnliche Stellung zu erringen. So baute er in seinem Todesjahr von den 68 neuen preußischen Lokomotiven 67. Exporterfolge kamen hinzu. Fünf Jahre nach der ersten wurde bereits die 100. Maschine ausgeliefert. Kurz vor seinem Tod konnte er noch die 500. feiern.
Mit der Expansion des Eisenbahnnetzes wuchs auch Borsigs Unternehmen. 1847 begann er mit dem Bau des Eisenwerkes in Moabit, das ein Puddelwerk, ein Stabeisen- und Blechwalzwerk sowie einen Schmiedebetrieb mit Dampfhämmern umfasste und 1849 den Betrieb aufnahm. 1850 erwarb er die aus der Preußischen Seehandlungs-Sozietät hervorgegangene Maschinenbauanstalt in der Kirchstraße in Berlin-Moabit. Um den Kohlebedarf zu decken, schloss er 1854 mit Carl Franz Wolfgang Graf von Ballestrem einen Pachtvertrag, der ihm beziehungsweise seinem Unternehmen die längerfristige Nutzung von Kohlefeldern im oberschlesischen Biskupitz eröffnete. Um günstig an große Mengen Stahl heranzukommen, schloss er Lieferverträge auf Gegenseitigkeit mit Alfred Krupp: Kruppstahl für Borsigs Lokomotiven gegen moderne Danmpfhämmer aus dem Hause Borsig für Krupps Essener Stahlwerk.
Auch in der Mitarbeiterzahl spiegelte sich die Expansion wider. Mit ungefähr 50 Arbeitern hatte er 1837 angefangen. 1847 waren es bereits 1200, 1858 dann 2800.
Wie manchem Neureichen wurde auch Borsig eine gewisse Neigung zum Prunk nachgesagt. Mit der sogenannten Villa Borsig in Berlin-Moabit erfüllte er sich einen Traum. Geld gab er aber auch als Mäzen für Kunst aus sowie für soziale Einrichtungen zugunsten seiner Mitarbeiter. So richtete er für seine Arbeiter eine Krankenkasse, eine Sterbekasse, eine Sparkasse, eine Kantine und einen Unterrichtsraum sowie ein Bad mit Schwimmbecken ein. Wie bei so vielen anderen Wirtschaftsgrößen, welche die Industrialisierung Deutschlands im 19. Jahrhundert hervorbrachte, ist es auch in diesem Falle eine Frage des politischen Standpunktes des Betrachters, ob er hierin eher den Ausdruck sozialen Verantwortungsgefühls oder eine weitblickende Form der Mitarbeiterbindung sieht.
Auch ansonsten wäre es falsch, das Werk des „Lokomotivenkönigs“ auf Dampfloks zu reduzieren. Denn auch als Eisengießer und Baumeister machte er sich einen Namen. So gehört das Fontänenpumpwerk von Schloss Sanssouci ebenso zu seinen Konstruktionen wie die Kuppeln der Potsdamer Nikolaikirche und des Stadtschlosses in Berlin. August Borsigs Leben war also durchaus intensiv und produktiv, aber es währte nicht lang. Gerade einmal 50 Jahre alt, verstarb die Gründerpersönlichkeit, die wie so viele vergleichbare jener umtriebigen Ära wirtschaftliche mit technischer Begabung verband, am 6. Juli 1854 an den Folgen eines Schlaganfalls in Berlin.