Dieser Artikel erschien am 12. August in Schleswig-Holstein am Sonntag und am 25. August in der PAZ
Von Uta Buhr
Wenn Dolores ihre Gäste durch das südspanische Cartagena führt, leuchten ihre Augen. „Werfen Sie einen Blick auf unseren Seehafen. Im Altertum lieferten sich Römer und Karthager erbitterte Kämpfe um ihn wegen seiner einmaligen strategischen Lage.“ Ganz friedlich liegt er in der Morgensonne vor uns. Ein Fischerboot dümpelt im tiefblauen Wasser, und in der Ferne zeichnen sich die Konturen eines weißen Kreuzfahrtschiffes ab. Von denen kommen viele hierher, erzählt Dolores. Für ein paar Stunden gehen die Passagiere an Land und erliegen dem Charme der schönen Stadt, in der Antike und Moderne auf einzigartige Weise mit einander verschmelzen.
Cartagena hat drei bemerkenswerte Museen, die es unbedingt zu besuchen gilt. Da ist zunächst das in einem wunderschönen alten Gebäude der Calle Pescaderia untergebrachte„Museo Naval“ – ein Marinemuseum – das eine Reihe von Exponaten aufweist, die selbst an maritimer Technik nicht sonderlich interessierte Besucher begeistert. Während im „Museo Nacional de Arqueología Subacuática“ antike, aus dem Meer geborgene Funde zu sehen sind, stellt das „Museo Arqueológico Municipal“ – das Städtische Archäologische Museum – sensationelle, von Arabern, Römern, Karthagern und Westgoten hinterlassene Fundstücke aus. Wer die wechselvolle Historie Cartagenas verstehen will, tut gut daran, sich vor weiteren Unternehmungen hier entsprechend einzustimmen.
Beschützt von einer wehrhaften Stadtmauer und der hoch auf einem Felsen thronenden Burg „Castillo de la Concepción“, präsentiert sich Cartagena als Freilichtmuseum mit einer Fülle von Sehenswürdigkeiten. Hauptattraktion ist das Römische Theater aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, in dem sich Touristen aus aller Welt seit dem frühen Morgen ein Stelldichein geben. Während eine japanische Gruppe brav hinter ihrem mit einem riesigen roten Schirm bewaffneten Cicerone hertrottet, installiert ein amerikanisches Fernsehteam seine Kameras auf den Zuschauerrängen. Einen reizvollen Hintergrund zur Theaterkulisse bilden die Überreste der im spanischen Bürgerkrieg zerstörten Kathedrale „Santa Maria la Vieja“, die steil in den azurblauen Himmel ragen.
Dieses Szenario ist ein prächtiger Rahmen für die alljährlich stattfindende „Fecha Cartagena“, ein Fest, das den Konflikt zwischen Karthagern und Römern darstellt. Die einst vom phönizisch-punischen Herrscher Hasdrubal, einem Bruder des legendären Hannibal, 227 v. Chr. gegründete Stadt, wurde sechzehn Jahre später von den Römern erobert. Sie ging als Carthago Nova in die Geschichte ein und wurde später unter Imperator Diokletian zur Hauptstadt der Provinz Carthaginensis erhoben.
Die Bürger Cartagenas identifizieren sich bis heute stark mit ihrer römisch-punischen Vergangenheit und proben schon Wochen im Voraus für das große Ereignis im Spätsommer eines jeden Jahres. Schon am späten Nachmittag ziehen Scharen gut gelaunter Menschen in Richtung Hafen, um sich auf das große Ereignis vorzubereiten.
Nach Einbruch der Dunkelheit wird im mystischen Halbdunkel auf der Hafenbühne das Heilige Feuer entzündet. Die Zuschauertribünen füllen sich rasch mit den Einwohnern Cartagenas, die in den verschiedenartigsten Kostümierungen auftreten – Männer werfen sich in glänzende römische Rüstungen und Frauen übernehmen die Rollen orientalisch gewandeter Karthagerinnen. Andere wiederum gefallen sich als von Kopf bis Fuß in Felle gekleidete Barbaren, die weiland tapfer auf der Seite Karthagos kämpften. Die ganze Stadt spielt mit in diesem grandiosen Historienspektakel. Und selbst kleine Kinder, von denen manche schon in den Armen ihrer Eltern schlafen, sind auf dem Umzug durch Straßen und Gassen dabei. Begleitet wird der Tross von Pauken und Trompeten, von Flöten und Schalmeien. Ein herrliches Fest, dem auch viele Touristen nicht widerstehen können. Um authentisch zu erscheinen, tauschen sie Jeans und T-Shirt gegen die römische Toga oder eine elegante Tunika.
In diesem Jahr findet das faszinierende Schauspiel vom 20. bis 29. September statt. Seinen Höhepunkt erlebt es auf der Festwiese an der Stadtmauer, wo die entscheidende Schlacht zwischen Karthagern und Römern publikumswirksam dargestellt wird. Vielstimmige Schlachtrufe erschallen, Klingen werden gekreuzt und tote Helden vom Schlachtfeld getragen – bis zum Sieg der Römer. Unter dem Jubel der Zuschauer entlässt die siegreiche Armee ihre Gefangenen, wird die pax romana durch die Proklamation der römischen Gesetze zelebriert. Nachdem das Heilige Feuer erloschen und die letzte Rakete in den Himmel geschossen ist, begeben sich Römer, Karthager, Barbaren und Touristen einträchtig in eine der vielen urigen Bodegas Cartagenas oder in eines der großen Zelte am Stadtrand, um den Rest des Abends bei Wein und den Köstlichkeiten der Region feucht-fröhlich ausklingen zu lassen.
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Fotos: Uta Buhr