Von Johanna Renate Wöhlke
Keine Rezension, nur ein kleiner Gedankenspaziergang in die Unwelt der Kritik
Ich habe ein Buch gelesen. Dieses Buch hat es in sich und bei mir Spuren hinterlassen. Es trägt den Titel „Künstler beschimpfen Künstler“, ist ein Reclam Taschenbuch, wurde von Peter Dittmar herausgegeben und kostet 7 Euro und 90 Cent, gebraucht bei Amazon schon billiger zu haben. Es ist schon einige Jahre auf dem Markt und in meinem Bücherschrank. Erworben habe ich es damals im Shop der Hamburger Kunsthalle.
Das Buch ist eine Sammlung kritischer Zitate von Künstlern über Künstler. Vier Jahre im Bücherschrank und erst jetzt so richtig ins Bewusstsein gesickert – das ist eine lange Zeit. Es wäre falsch, daraus zu schließen, dass es ein heimischer Ladenhüter ist. Es gehört zur Kategorie der „longseller“: kaufen, lesen, in den Bücherschrank stellen, immer wieder mal rausholen, reinschauen und abwarten, welche Geschichte dieses Buch und ich noch haben werden. Vielleicht kennen sie das, und es gibt auch in ihrem Leben so ein Buch mit Langzeitwirkung.
Warum also nun jetzt dieses aktualisierte Interesse? Ich habe im Laufe der vergangenen Jahre viele Künstler und ihre Werke kennengelernt. Das hat mich immer wieder vor die Frage gestellt: Mag ich das Bild? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum? So richtig wollte mir eine Antwort oft nicht gelingen. Voller Ehrfurcht habe ich gebildeten Menschen gelauscht und ihre Beiträge gelesen, deren Kunstverständnis und Kunstwissen groß und öffentlich anerkannt ist, nachgefragt wird. Mehr ärgerlich als amüsiert habe ich zur Kenntnis genommen, dass es in der Kunst nicht anders ist als sonst im Leben: Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist groß.
Besonders aber hat mich immer wieder erstaunt, wie sehr auch Menschen, deren Lebensliebe ihre ureigene Kreativität ist, die Kreativität der anderen einem strengen Regelwerk unterziehen, die eigene aber nicht. Das Buch „Künstler beschimpfen Künstler“ hat mich versöhnt und entspannt. Es hat mir gezeigt, dass Kritik zwischen Kreativen nicht besonders ist, weil sie genauso wie die Kreativität des Künstlers selbst hoch kreativ ist, will sagen: Durch die Augen des eigenen Werkes gesehen, scheint es schwierig zu sein, sachliche Distanz zu gewinnen, die in Akzeptanz münden könnte. Dafür gibt es das liebenswerte Wort „menscheln“, von dem ich nie wirklich sicher bin, ob es ein Verb oder ein Adjektiv sein soll.
Appetithäppchen aus dem Buch „Künstler beschimpfen Künstler“ könnten in diesem Zusammenhang für Sie folgende sein:
Der Maler Édouard Manet schreibt an den Maler Claude Monet: „Monet, Sie sind doch mit Renoir befreundet. Raten Sie ihm doch, einen anderen Beruf zu ergreifen. Sie sehen ja selbst, die Malerei liegt ihm nicht.“
Ein anderes Beispiel: Georg Baselitz über Albrecht Dürer: „Für mich ist Dürer überhaupt Studienratskunst.“
Ein weiteres Beispiel: Asmus Jacob Carstens über Michelangelo: „Michelangelo ist der Vater des schlechten Geschmacks in der Baukunst, die unter seinen Nachfolgern bis auf unsere Zeit sich immer verschlimmert hat.“
Ein letztes Beispiel: Max Liebermann über Paul Cézanne: „Ist das nicht merkwürdig, dass die Präzeptoren der heutigen Malerei Cézanne und van Gogh sind? Zwei Geisteskranke?“
Auf 153 Seiten jagt ein solches Zitat das andere. Ich empfehle die Lektüre zur Desillusionierung und Entwicklung der eigenen Fähigkeit, ein Kunstwerk nicht mit dem Menschen zu verwechseln, der es geschaffen hat.
Fazit:
Mensch, verzweifle nicht an der Kritik anderer. Sie wird dir immer und ewig im Nacken sitzen. Sie wird dein Leben begleiten, wo immer du auch bist und dich niemals ausruhen lassen, denn: Nichts ist dem Menschen so wichtig wie seine Kritik am Mitmenschen. Also härte ab. Am besten, du beginnst damit noch dann, wenn du in den Windeln liegst. Es wird dir gut tun, glaube mir. Du wirst befreit und offen durchs Leben gehen, jeden Tag durchatmen können und nicht ängstlich in die Zeit schauen und dich fragen: Mache ich das, was ich gerade mache, auch wirklich richtig?
Sicher scheint nur der Spruch einer alten Bäuerin zu sein, den ich nicht vergessen werde: Ein Kilo Fleisch macht eine gute Brühe. Aber hier pfeife ich mich sofort zurück. Das gilt natürlich nicht für alle und ist damit wieder einmal der kreativen Kritik preisgegeben. Die „Brühe des Lebens“…das wäre nun wieder eine weiterführende Betrachtung wert. An anderer Stelle als hier.