Von Immo Wernicke
…keine Erinnerung an 200 Jahre Friedensmacher in Paris und Wien 1814/15
Die Bundesregierung gedachte 2014 in vielen Veranstaltungen des Beginns des ersten Weltkriegs 1914, auch im deutschen Bundestag. So begleitete Bundesaußenminister Franz Walter Steinmeier Ausstellungen und Vorträge im Historischen Museum in Berlin und lud zur Diskussion mit Christopher Clark über sein Buch „Die Schlafwandler“ (Sleepwalkers: How Europe Went to War in 1914) ein. Ebenfalls im Historischen Museum in Berlin, aber auch in der russischen Botschaft wurde im Jahr zuvor gefeiert. Die Bundesregierung erinnerte an das 200 jährige Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig zwischen Frankreich und den Siegern Preußen, Russland und Österreich 1813.
Die Sachsen machten zwar in Leipzig mit, doch wie die polnischen Gäste konnten sie nicht so richtig mitfeiern „unsere Vorväter waren wieder einmal auf der „falschen“ Seite“!
Ähnlich wie Clark’s Schlafwandler von 1914 verdrängt die Politik die Erinnerung an die europäischen Friedensmacher von 1814/15. Vor 200 Jahren, im Frühjahr 1814 wurden der „Traite de Paix entre le Roi (Louis XVIII) et les Puissances Allies“ und die Einberufung des Wiener Kongresses beschlossen. Die Friedensverträge von Paris 1814/15 bildeten die Grundlage für die Verhandlungen zwischen den Repräsentanten aller europäischen Staaten, deren Ergebnisse völkerrechtlich verbindlich in die Akte zum Wiener Kongress 1815 aufgenommen wurden.
Eine herausragende Rolle als Moderator zwischen den Annexionsabsichten vor allem Russlands, aber auch Frankreichs und Preußens spielte unbestritten Fürst v. Metternich. Kritiker bemängeln die Kongressbeschlüsse als „Restauration und Reaktion“. Sie übergehen, dass das alte „Sacrum Imperium Romanum“ mit seinen sich selbstverwaltenden Reichstädten, den Reichsständen und den Kurbistümern keineswegs restauriert wurde. Verfilmungen wie „Der Kongress tanzt“ aus 1931 und 1955 sind populär, haben aber nur Unterhaltungswert.
Indes wertet der französische Historiker und Autor Thierry Lentz in einem ZEIT-Interview den Wiener Kongress als einen Vorläufer des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen „Es gibt zwei große Leistungen des Kongresses: Die Neuordnung Europas und die Schaffung eines internationalen Rechts…“. Vereinbart wurden seinerzeit die Sicherung des Friedens in Europa und die einvernehmliche Festlegung der europäischen Grenzen. Eine auf christlichen Grundwerten beruhende „Belle Alliance“ wurde gegründet. Die vom Historiker Franz Herre als Vorläufer der NATO gedeutete Allianz sollte den Frieden im Innern und Äußeren dauerhaft sichern und erneute militärische Auseinandersetzungen in Europa durch gegenseitigen Beistand verhindern. Fast alle europäischen Staaten traten bei, auch Frankreich, das Osmanische Reich nicht. Die Allianz hielt einige Jahrzehnte.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Ukrainekrise, des Ost-West-Wirtschaftskrieges, der ungelösten Konflikte zwischen der Russischen Föderation mit der Republik Moldau (Transnistrien), mit den Kaukasus-Staaten und einer möglichen Bedrohung Finnland‘s und Schweden‘s (allesamt nicht in der NATO) wären die aktuell handelnden Politiker angehalten, sich der Friedensmacher 1814/15 zu erinnern, um nicht in die Situation der Schlafwandler von 1914 zu geraten. Bislang haben die Krisen in Europa noch keine Persönlichkeit hervorgebracht wie vor 200 Jahren den Fürsten v. Metternich, den Franz Herre in seiner gleichnamigen Biographie als „Staatsmann des Friedens“ würdigt. Selbst der ehemalige Sicherheitspolitiker Henry A. Kissinger schloss sich diesem Urteil an.
Bild 1: Europas Grenzen 1815 nach den Vereinbarungen des Wiener Kongresses, Map: Public domain – The International Commission and Association on Nobility Dec. 2014
Bild 2: Der Wiener Kongress 1815, gezeichnet von Jean Baptiste Isabey (1767-1855), in Kupfer
gestochen von Jean Godefroy (1771-1839) | Public Domain