erschienen in der PAZ
Von Dr. Manuel Ruoff
Erst das Aufbauwerk Friedrich Wilhelms I. ermöglichte es seinem Sohn und Nachfolger, Preußen zur Großmacht zu machen
Nicht ohne Grund gilt der am 14. August 1688 in Cölln bei Berlin geborene Friedrich Wilhelm I. als Preußens größter „innerer“ König. Er formte Preußen zu einem vormodernen Einheitsstaat mit einer starken Armee, geordneten Finanzen sowie einer effektiven und „sauberen“ Verwaltung.
Das Repräsentationsbedürfnis seines Vaters, des ersten preußischen Königs Friedrich I., teilte er ebenso wenig wie die Intellektualität seiner Mutter, der Königin Sophie Charlotte. „Mehr scheinen als sein“, das Lebensmotto seines Vaters, lehnte er ebenso vehement ab wie „L’art pour l’art“ und die Wissenschaft um ihrer selbst willen. Bezeichnenderweise machte er als König seinen als eitel geltenden Hofgelehrten Jacob Paul von Gundling zu seinem unfreiwilligen Hofnarren, den er selbst noch über den Tod hinaus Hohn und Spott preisgab.
Beide Elternteile wirkten auf Friedrich Wilhelm I. eher abschreckend denn als nacheifernswerte Vorbilder. Positiv prägend wirkten da eher seine streng calvinistischen Erzieher. Friedrich Wilhelm I. wurde zu einem sehr gläubigen Menschen. Sein Ethos war in hohem Maße vom Calvinismus geprägt, aber auch vom lutherischen Pietismus, wie ihn August Hermann Francke im Waisenhaus in Halle an der Saale gelehrt und gelebt hat. Wie überhaupt bei Friedrich Wilhelm die alles andere als selbstverständliche Kombination zu konstatieren ist, dass er große Gläubigkeit mit einer für seine Zeit bemerkenswert ausgeprägten religiösen Toleranz verband. „Ich bin gut reformirt“, schrieb er 1722, „glaube aber, daß ein Lutheraner eben so gut selig werden kann, und der Unterschied nur von den Predigerzänkereien herkomme.“ Und selbst Katholiken sollen in seinem Staate immerhin mehr Toleranz genossen haben als etwa in den Niederlanden oder England.
Wie kaum ein anderer Preußenkönig verkörperte Friedrich Wilhelm I. das preußische Arbeitsethos. Er arbeitete nicht, um zu leben, sondern umgekehrt. Die wenigen Freuden, die er sich gönnte, lassen sich schwerlich als snobistisch bezeichnen. Er rauchte gern und aß viel. Allerdings begnügte er sich mit einfacher Kost und viel Gemüse. Schon etwas aufwendiger war seine Leidenschaft für die Jagd – die ihm denn auch bisweilen religiöse Skrupel bescherte. Sein bekanntestes und teuerstes Hobby aber war das Militär. Die Militarisierung der preußischen Gesellschaft geht primär auf ihn zurück. Wenn Friedrich Wilhelm I. mit seinem starken Glauben im Gegensatz zu seinem Sohn mit dessen starkem Sarkasmus auch weder die Ambition noch das Talent besaß, seinen Staat zu einer gleichberechtigten Großmacht zu machen, so verschaffte er ihm doch eine jenen der Großmächten ebenbürtige Armee. Sie nutze dann sein Nachfolger, um mit den anderen Großmächten auch auf anderem Gebiete gleichzuziehen. Das unterschied Vater und Sohn: Der Vater liebte seine Armee, dem Sohne war sie nur Mittel der Außenpolitik.
Friedrich Wilhelms Hang zum Militär zeigte sich bereits in seiner Jugend. So kontrollierte er, statt im Schlosspark zu spielen, lieber die Bekleidung und Bewaffnung der Schildwachen. Und Fronturlaub war für ihn kein Urlaub von der Front, sondern ein Urlaub, den er an der Front bei den Soldaten verleben durfte.
Doch auch eine andere für Friedrich Wilhelm und seine Regentschaft so typische Eigenschaft zeigte sich bereits beim jungen Prinzen. So machte der Prinz aus dem von seinem Vater zum zehnten Geburtstag erhaltenen Gut Wusterhausen einen Musterbetrieb, so wie er später aus dem im Alter von 24 Jahren von seinem Vater erhaltenen Königreich Preußen einen Musterstaat machte. Die Tatsache, dass Friedrich Wilhelm bereits als junger Prinz mustergültige wirtschaftliche Zustände anstrebte, spricht dafür, dass Effizienzsteigerung ihm nicht nur ein notwendiges Übel war, um sich eine überdimensionierte Armee leisten zu können.
Überhaupt wäre es grob und undifferenziert, wollte man sein Tun und Handeln ausschließlich auf seine Liebe zum Militär zurückführen. Dem steht alleine schon sein starker Glaube als weitere Antriebskraft entgegen. So eiferte er nicht einem Soldaten, sondern mit Francke einem Theologen nach, wenn er als Landesvater versuchte, nach dem Vorbild des Halleschen Waisenhauses Streben nach Wirtschaftlichkeit und wirtschaftlicher Tragfähigkeit mit Fürsorge für die vermeintlich von Gott anvertrauten Zöglinge zu vereinen.
Nichtsdestotrotz wird gerade von preußenkritischer Seite gerne versucht, Friedrich Wilhelms unbestreitbar fortschrittliche Leistungen auf den Feldern der Finanzpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Schulpolitik, der Gesundheitspolitik, der Hochschulpolitik und des Staatsverwaltung damit abzuqualifizieren, dass sie nur aus der Not geborene Mittel zum Zwecke der Aufrüstung gewesen seien.
Der Spieß ließe sich jedoch auch umdrehen. So wäre es beispielsweise sinnlos gewesen, einen prosperierenden Musterstaat aufzubauen, ohne diesen gegenüber den Begehrlichkeiten neidischer Nachbarn zu verteidigen. Oft genug hatte Friedrich Wilhelm als Prinz erleben müssen, dass ein wehrloses Preußen Opfer seiner Nachbarn geworden war. Seine Interessen wurden ignoriert und seine Neutralität beispielsweise im Großen Nordischen Krieg missachtet.
Die von Friedrich Wilhelm I. bewerkstelligte Modernisierung des Staates diente somit nicht nur der Aufrüstung, sondern umgekehrt auch die Aufrüstung der Absicherung der Modernisierung des Staates. Si vis pacem, para bellum (Wenn Du den Frieden willst, rüste zum Kriege), sagt der Lateiner. Nicht jeder, der zum Kriege rüstet, will den Krieg. Und Friedrich Wilhelm I. wollte ihn definitiv nicht.