Von Achim Simon
Haben Sie schon mal was von Kabotage gehört? Nein? Das ist nicht weiter schlimm, kann aber geändert werden. Ursprünglich stammt das Wort aus dem Französischen caboter und bedeutet soviel wie „ entlang der Küste fahren“. Mittlerweile meint Kabotage schlicht Transportdienst-leistungen innerhalb eines Landes, die von ausländischen Transportunternehmen erbracht werden. In der EU gibt es dafür klare gesetzliche Regelungen, wer wann und wie oft solche Dienst-leistungen innerhalb der EU durchführen darf.
Leider lädt diese an sich sinnvolle und freizügige Regelung zu Missbrauch ein. Insbesondere ost- europäische EU-Mitgliedsländer nutzen die Möglichkeiten in Ländern wie beispielsweise Deutschland Transportdienstleistungen weit unter westlichem Kostenniveau anzubieten. Die Gewerkschaft verdi und der Bundesverband Transport,Logistik und Entsorgung – BGL – haben daher ein Aktionsbündnis geschlossen, um das Lohn- und Sozialdumping zu stoppen.
Ein freier Markt in der EU für alle Akteure ist eine an sich vernünftige Idee und kann dem Kontinent in der globalisierten Welt zu einer starken Position im Wettbewerb verhelfen.
Waren effizient von A nach B zu bringen ist für Wohlstand und Wachstum von entscheidender Bedeutung. Nicht umsonst ist die Transport- und Logistikbranche die drittgrößten Wirtschaftsbranche in Deutschland aber auch in den anderen westeuropäischen Ländern ist die Branche ein Schwergewicht.
Doch ein freier Markt funktioniert nur, wenn die Wettbewerbsbedingungen fair sind und sich jeder an die Spielregeln hält. Ungleiche Wettbewerbsbedingungen haben sich im Laufe der Zeit hingegen in deutliche Marktverschiebungen hin zu osteuropäischen Ländern ausgewirkt. Ein besonders krasses Beispiel für Wett- bewerbsverzerrung , das jüngst in der Branche für großen Unmut gesorgt hat, bezeichnet der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Transport, Logistik und Entsorgung – BGL – Prof. Karlheinz Schmidt, schlicht als unverantwortlich:
„Das Fass zum Überlaufen gebracht hat jetzt die Anwerbung philippinischer Fahrer auf lettischen Fahrzeugen, die mittlerweile Transporte in der Bundesrepublik Deutschland und im grenzüber-greifenden Verkehr mit Deutschland ausführen. Normalerweise gilt in der EU die Regelung- und die ist verbindlich- wenn der nationale Arbeitsmarkt keine Arbeitnehmer hat, dass dann zunächst EU Bürger zum Zuge kommen bevor überhaupt Drittlandpersonal eingesetzt werden darf. Diesen Weg hat man einfach umgangen und hat sich hier Wanderarbeitende aus Ent- wicklungsländern geholt, die sogar noch das heimische Lohnniveau in Lettland unterbieten. Lettland hat immerhin fast 15% Arbeitslose und das ist eine Farce, was die EU sich hier leistet mit einer völlig unharmonisierten Gesetzgebung solche Schleusen zu öffnen, die nachher in Deutsch- land auf dem Markt durchschlagen und nicht in Lettland.“
Wie dramatisch die Folgen für heimische Transportdienstleister aber auch für den deutschen Staat sind, ist leicht benannt: Rund 20.000 heimische Arbeitsplätze in der Transportbranche sind in den letzten vier Jahren nach Branchenangaben verloren gegangen und für den deutschen Fiskus und den deutschen Sozialkassen ist ein Schaden von knapp 1 Milliarde Euro eingetreten.
Das Ergebnis dieses Lohn-und Sozialdumpings ist auch auf Deutschlands Straßen für jeden sichtbar: Mehr als ein Viertel aller LKW tragen osteuropäische Nummernschilder. Für sich genommen zunächst kein Problem aber hinter den meisten LKW aus Osteuropa sitzt ein Billiglöhner am Steuer, der oftmals im eigenen Land noch nicht mal von seinem Lohn leben kann.
Doch, warum ist das so? Fehlen die Instrumentarien zur Kontrolle der bestehenden Gesetze zur Kabotage?
Unter welch menschenunwürdigen Bedingungen in der Folge die ausländischen Fahrer in Deutschland ihre Ruhepausen und Wochenendfahrverbote verbringen, kann jeder selbst an deutschen Autobahnraststätten beobachten, betont Karlheinz Schmidt:
„Das ist einfach unglaublich: es fehlt das Geld, um den Rasthof zu besuchen, also verpflegt man sich selber, es wird Wäsche zwischen den LKW getrocknet, es wird gegrillt, es wird dort auch excessiv getrunken. Die Raststätten beklagen das große Müllproblem, was diese Fahrzeuge verursachen, die Fahrer haben keine Alternative, so kommen osteuropäische Fahrer einmal in zwei Monaten wieder nach Hause, werden mit dem Bus nach Hause gefahren, weil der LKW gar nicht mehr nach Hause geht, Philippinos kommen einmal im Jahr, vielleicht auch nur alle zwei Jahre mal nach Hause und die leben hier bei uns auf den Raststätten so wie die Wanderarbeiter in China. Das ist etwas wo wir sagen, das ist für Mitteleuropa und für die Bundesrepublik Deutschland, die sich als Sozialstaat rühmt, eine absolut unhaltbare Situation geworden.“
Die Wildwestzustände in der Transportbranche zwingen zum Handeln. Die stellvertretende verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis sieht in einem gesetzlichen und europaweit verbindlichen Mindestlohn einen brauchbaren Hebel, um das Lohndumping zu unterbinden:
„ Wir sind in Deutschland in der guten Situation, dass wir flächendeckend für die Speditions- und Logistikbranche Tarifverträge haben, allerdings sind nur noch wenige Arbeitgeber tarifgebunden und wenden diese Tarifverträge auch an und ein Mittel, um den Wettbewerb durch andere europäische Unternehmen zu verhindern, ist das Mittel des gesetzlichen Mindestlohnes, wir brauchen also in Deutschland erst mal mindestens eine Lohnuntergrenze, die überhaupt niemand mehr unterschreiten darf, und dann brauchen wir stärkere Kontrollen, es muss also geguckt werden, bekommen die Beschäftigten tatsächlich das Geld, was ihnen zusteht, dazu muss man deutlich mehr Kontrollpersonal zur Verfügung stellen als es bisher der Fall ist im Rahmen dieser Liberalisierung des Verkehrsgütermarktes.“
Dass man für mehr Kontrollen auch deutlich mehr Personal braucht, ist eine Binsenweisheit, wurde aber bislang von den politisch Verantwortlichen schlicht ignoriert.
Aber auch wir Konsumenten und Nutznießer von Transportdienstleistungen können einen Beitrag
zu besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen beisteuern, indem wir einfach nicht mehr nur wegschauen und uns über mit LKW verstopfte Straßen beklagen. Angesprochen fühlen sollten sich viele, meint auch BGL-Präsident Adalbert Wandt:
„Der Adressat ist die Politik, ist der Hauptauftraggeber, der Frachtzahler, vielleicht ist es sogar der eine oder andere Mitarbeiter in der Firma, vielleicht ist es auch ein ausländischer Mitarbeiter, ein Mitbewerber . Wir wollen schon ein bisschen Unruhe in den Markt tragen und uns nicht einfach damit abfinden, dass diese Entwicklung, der Verfall von Kulturen so weiter geht.“