Von Uta Buhr
Ubi beni, ibi patria! Wo es dem Römer gut ging, war er zu Hause. Besonders gefiel es ihm in der vom Imperium romanum eroberten Provinz Pannonia. Die fruchtbare ungarische Tiefebene bot den verwöhnten Bürgern Roms unter vielem anderen eine ganz besondere Kostbarkeit – sprudelnde Quellen heilenden Wassers. Erstaunlicherweise taucht in keiner der ausschweifenden Erzählungen römischer Literaten und Berichterstatter der Heilsee von Héviz auf.
Könnte es sein, dass jene, die sich in seinen Fluten aalten, diesen Geheimtipp um keinen Preis weitergeben wollten?
Umso erfreulicher ist der Umstand, dass wir Heutigen diese randvoll mit wohltemperiertem Thermalwasser gefüllte „schönste Badewanne der Welt“ nach Belieben nutzen können. Fast 50.000 Quadratmeter Wasserfläche, an den Rändern dekorativ mit Lotusblumen und Seerosen bedeckt, warten auf die Badegäste. In diesen Temperaturen, die im Sommer bis auf 35 Grad Celsius ansteigen, schwimmt man nicht, sondern gleitet sanft in einem bunten Gummireifen dahin. Das Thermalwasser, das aus 38 Metern Tiefe hervorsprudelt und sich alle zwei Tage komplett erneuert, erweist sich als wahrer Jungbrunnen für all jene, die täglich im See Entspannung suchen. Länger als 30 Minuten pro Bad sind indes wegen des hohen Mineraliengehalts nicht angesagt. Das alkalische mit Schwefel und Radon angereicherte Nass eignet sich vorzüglich zur Linderung rheumatischer und arthritischer Leiden und zur Heilung von Haut- und Frauenkrankheiten. Das Ritual läuft folgendermaßen ab: Eine halbe Stunde Rundherumgenuss im Wasser und eine längere Ruhepause auf dem Rasen. Anschließend geht es für eine begrenzte Zeit erneut in den See. Hier werden müde Knochen wieder munter und gestresste Seelen im Nu aufgeheitert. Die anmutigen, reich mit Blumen geschmückten Badehäuschen rund um den See mit ihren spitzen roten Dächern rufen nostalgische Gefühle an die k&k-Epoche seligen Angedenkens hervor, als der Doppeladler der österreichisch-ungarischen Monarchie noch über dem Land der Magyaren schwebte.
„Unser Wasser heilt alles, selbst gebrochene Herzen“, scherzt ein feuriger Ungar, seines Zeichens Badearzt, der mit seiner Bemerkung so Unrecht gar nicht hat. Wer in Héviz kurt und sich in einem der vielen guten bis erstklassigen Hotels kulinarisch und medizinisch verwöhnen lässt, vergisst sehr schnell seine Probleme und genießt den Aufenthalt in vollen Zügen. Beste Beispiele für den Jungbrunnen Héviz sind die beiden Damen aus Dortmund, die nun schon seit über zehn Jahren jedes Jahr eine mehrwöchige Kur in „Bad“ Héviz absolvieren. Wobei „absolvieren“ nicht das richtige Wort ist, meinen sie. Sie residieren stets im 5-Sterne-Hotel „Lotus Therme Hotel & Spa“, dieser in einen 17 Hektar großen Hotelpark eingebetteten Luxusherberge, die durch ihr stilvolles Ambiente besticht. Wir buchten unseren Aufenthalt im „Hotel Europa fit.“ Es hat zwar „nur“ vier Sterne, ist jedoch großzügig geschnitten und bietet neben der traditionellen Hévizer Therapie alle erdenklichen Balneo-Anwendungen wie Unterwassermassage, Heilgymnastik und Gewichtsbsbad. Letzteres bedarf einer Erklärung: Beim Gewichtsbad geht es nicht, wie häufig irrtümlich angenommen, um Gewichtsreduzierung, sondern um eine Anwendung, die Wirbel und Gelenke durch das Anhängen von Gewichten wieder in die richtige Position bringt und – ergo – für Schmerzlinderung sorgt.
Machen wir uns nichts vor. Stark angegriffene Knochen und Gelenke können auch mit dem stärksten Thermalwasser und der besten medizinischen Behandlung nie wieder in einen dauerhaft gesunden Zustand zurückversetzt werden. Hier geht es um Schmerzfreiheit über einen längeren Zeitraum. Deshalb läuft die Héviz-Kur auch unter dem Motto „Urlaub vom Schmerz.“ Die zwei bereits erwähnten Freundinnen aus Dortmund wissen dies. Deshalb kuren sie auch jedes Jahr in Héviz und leben zu Hause mehrere Monate völlig schmerzfrei. Mehr geht wirklich nicht!
Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass Ungarn europaweit führend auf dem Sektor Gesundheitstourismus ist. Die natürlichen Ressourcen Thermalwasser und Heilschlamm bilden die Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung durch erstklassiges medizinisches Personal. Jeder, der eine Kur antritt – wie kurz auch immer – wird obligatorisch von einem Badearzt untersucht, der genau festlegt, was dem Patienten gut tut. Hinzu kommt, dass Ärzte, Pfleger und Hotelpersonal sehr gut Deutsch sprechen. Keiner ist also gezwungen, das sehr schwierige ungarische Idiom zu erlernen. „Es reicht schon“, so eine charmante junge Ungarin „wenn Sie alle das Wort Egészségedre kennen – das heißt Prost – auf die Gesundheit.“ Recht hat sie, zumal es in Ungarn wunderbare Weine gibt, mit denen man auf die Gesundheit anstoßen sollte. Denken wir nur an das berühmte Eger Stierblut.
In diesem Jahr feiert ein Pionier des ungarischen Gesundheitstourismus sein zwanzigjähriges Jubiläum. Interessant ist
der „Gründungsmythos“ von Mutsch Ungarn-Reisen. Der Seniorchef des Unternehmens hatte vor dieser Zeit mit Tourismus gar nichts am Hut gehabt. Bis ihn eine schmerzende Wirbelsäule nach Héviz in die heilenden Fluten des Sees trieb. Woraufhin Herr Mutsch beschloss, Leidensgenossen dabei behilflich zu sein, ihre Schmerzen ebenfalls im Hévizer Heilwasser zu lindern. Eine Rechnung, die für die Kunden des Unternehmens bis heute aufgeht (www.mutsch-reisen.de )
Aber was wäre eine Kur ohne einen gelegentlichen Tapetenwechsel. Lediglich einen Steinwurf entfernt von Héviz liegt die zauberhafte Barockstadt Keszthelely ( Kestei ausgesprochen), beherrscht vom Stammschloss der alten ungarischen Adelsfamilie Festetics. Der Ort selbst ist von südländischer Heiterkeit – Cafés und Biergärten laden zum Verweilen, Fußgängerzonen zum Bummeln ein. Ein weiterer Traum ist der Balaton – der Plattensee – mit 78 Quadratkilometern der größte See Mitteleuropas, auf dem man tagelang an Bord von Ausflugsdampfern herumschippern kann.
Nach Abschluss der Héviz-Kur fühlen wir uns wie neugeboren. „Kommen Sie doch einmal im Winter wieder“, rät ein Badearzt uns zum Abschied. „Das Klima in diesem Teil Westungarns ist durchgehend milde. Und sollte einmal Schnee fallen – was für eine Wohltat, in seinem Reifen auf dem Heilsee zu treiben und den Anblick der wie mit Puderzucker bestreuten sanften Hügel rund herum auf sich wirken zu lassen.“ Denn selbst im Winter fällt die Wassertemperatur nicht unter 23 Grad.“
Und dies noch zum Schluss: Der Heilsee von Héviz ist nicht der einzige seiner Art auf der Welt. Es gibt noch ein weiteres riesiges, ebenfalls bis zum Rand mit Thermalwasser gefülltes Gewässer. Das befindet sich auf Neuseeland. Die Crux – das Wasser bringt es auf eine Temperatur von 90 Grad Celsius. Aber wer möchte sich schon bei lebendigem Leib sieden lassen. Da treiben wir doch lieber jedes Jahr zwischen Lotusblumen und Seerosen auf dem Heilsee von Héviz und betrachten die Schäfchenwölkchen am azurblauen Himmel über uns. Einfach paradiesisch!