erschienen in der PAZ
Von Dr. Manuel Ruoff
Wilhelms I. und Augustas Silberne Hochzeit brachte der »Wacht am Rhein« in Krefeld den Durchbruch
„Die Wacht am Rhein“ erhielt erst ein halbes Jahrzehnt nach dem Tode ihres Textdichters jene Melodie, mit der wir sie kennen und mit der sie berühmt wurde. Vor 160 Jahren dirigierte deren Komponist das entscheidende Chorkonzert, das dem Lied den Durchbruch brachte.
Das deutsche Kaiserreich hatte im Gegensatz zu Weimarer Republik, Drittem Reich, Bundesrepublik und DDR keine offizielle Nationalhymne. Bei feierlichen Anlässen wurde das preußische „Heil dir im Siegerkranz“ gesungen. Hierbei handelte es sich jedoch eher um ein Symbol Preußens als des Reiches. Zudem scheint die Melodie aus dem Ausland zu kommen.
Eher schon als inoffizielle Nationalhymne kann vor diesem Hintergrund „Die Wacht am Rhein“ bezeichnet werden, bei der Text wie Melodie – wie beim „Deutschlandlied“ – unzweifelhaft von Deutschen stammen. So wie der Komponist der „Deutschlandlied“-Melodie schon längst tot war, als der Text zu ihr entstand, war auch der Textdichter der „Wacht am Rhein“ bereits nicht mehr am Leben, als die uns heute geläufige Melodie verfasst wurde. Und so wie beim „Deutschlandlied“ entstand auch der Text der „Wacht am Rhein“ außerhalb des Deutschen Bundes im deutschsprachigen Ausland. Nichtsdestotrotz stand jedoch bei beiden Textdichtern die Wiege in den Grenzen des Alten Reiches beziehungsweise Deutschen Bundes.
Wurde August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im braunschweig-lüneburgischen Fallersleben geboren, so kam Max Schneckenburger 1819 im württembergischen Talheim bei Tuttlingen zur Welt. Wie sein Vater wurde er Kaufmann. Der Beruf verschlug ihn ins schweizerische Bern, wo er ab 1834 eine kaufmännische Lehre in der Drogerie „Reuther & Blau“ absolvierte. Zwei Jahre später wurde er Mitarbeiter der dortigen Eisengießerei „Johann Jacob Schnell“. Dort stieg er zum Geschäftsführer auf. 1841 siedelte er ins nahe Burgdorf über und gründete im darauffolgenden Jahr mit Jakob Rudolf Schnell eine Eisengießerei mit dem Namen „Schnell und Comp.“
Schneckenburger hatte jedoch nicht nur eine kaufmännische Ader von seinem Vater, die seine Berufswahl bestimmt hatte, sondern auch eine poetische von Seiten seiner Mutter. 1837 gab der Kaufmann sein Debüt als Dichter. Wie viele andere deutsche und französische Poeten ließ auch Schneckenburger die Rheinkrise von 1840 zur Feder greifen. Die Forderung des französischen Ministerpräsidenten Adolphe Thiers nach dem linksrheinischen Deutschland und dem Rhein als Frankreichs Grenze bewirkte unter Deutschlands patriotischen Literaten eine förmliche Rheinliedbewegung. Vor diesem Hintergrund entstanden Hoffmann von Fallerslebens „Deutschlandlied“, Nikolaus Beckers mehr als 70-mal vertontes Gedicht „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“ und Max Schneckenburgers „Die Wacht am Rhein“.
Ende November 1840 schrieb Schneckenburger an seine Frau: „Auf mehrfaches Bestürmen meiner Freunde habe ich ein ,Rheinlied‘ gedichtet, das dieselben nun componiren und drucken lassen wollen. Ich denke, daß es Dich vielleicht ein bischen interessirt, weil’s von Deinem Männle ist. Später erhältst die Musik dazu, hier einstweilen der Text.“
Hinsichtlich der Musik setzte Schneckenburger auf den aus Darmstadt stammenden Berner Organisten Johann Jakob Mendel. Einer entsprechenden Bitte Schneckenburgers kam Mendel, der sich durch das Lied angesprochen fühlte, bereits in der ersten Dezemberwoche des Jahres 1840 nach. Schneckenburger fand Mendels Arbeit „prachtvoll“ und noch 1840 erschien „Die Wacht am Rhein von M. Sch., für den Männerchor componirt von J. Mendel, Organist und Gesanglehrer in Bern“.
Andere fanden Mendels Vertonung offenkundig weniger prachtvoll, denn mit dieser Melodie blieb dem Lied der große Erfolg versagt. 1849 starb Schneckenburger in Burgdorf, ohne dass es seinem Werke gelungen wäre, aus dem Schatten von „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“ herauszutreten.
Vier Jahre nach Schneckenburgers Tod erhielt der Herausgeber Wilhelm Greef in Moers das Lied zur Aufnahme in seine „Männerlieder“ zugesandt. 1854 übergab er es dem Freund und Dirigenten der Krefelder Liedertafel Karl Wilhelm mit der Bitte um eine Neuvertonung. Wilhelm kam der Bitte gerne nach und Greef nahm das Ergebnis in seine „Männerlieder“ auf. Zum ersten Male zur Aufführung gelangte es am 11. Juni 1854 in Krefeld in einem großen Konzert aus Anlass der Silbernen Hochzeit des damaligen preußischen Prinzen- sowie späteren Königs- und Kaiserpaares Wilhelm und Augusta. 100 Sänger trugen die Neuvertonung unter der Leitung des Komponisten vor. Das war der Durchbruch. Die Stimmung war durch den Krimkrieg wieder antifranzösisch und Wilhelms Melodie tat ihr Übriges.
Einen Höhepunkt erreichte die Popularität der „Wacht am Rhein“ im Deutsch-Französischen Krieg, doch die ganze Kaiserzeit über wurde es gerne gesungen. Spätestens seit die Freundschaft mit Frankreich deutsche Staatsdoktrin ist, ist das Lied verpönt, ein „No-Go“, um es neudeutsch zu sagen. Schade um die zeitlos schöne Musik.