Fotos von Sonja Zander
Eindrucksvolle Aufführung des Dorfman-Dramas im Hamburger Sprechwerk.
Es gehört zu den meistgespielten Stücken der jüngeren Weltliteratur, und das wird es auch
bleiben, so lange Diktaturen ihre Opfer fordern und diese versuchen, in einer neu gewonnenen
Demokratie die an ihnen vollbrachten Grausamkeiten zu verarbeiten. Das kann Versöhnung
aber auch Rache bedeuten, die geradezu arc haische Ausmaße erreichen kann wie in eben
diesem Theaterstück „Der Tod und das Mädchen“ des Chilenen Ariel Dorfman. Der in die
USA emigrierte Autor schrieb sich seinen Frust über die in seiner Heimat erlittene Willkür
von der Seele, in dem er seine eigenen Empfindungen mit dem schon aus dem Mittelalter
verbundenen Sujet verband, das in Franz Schuberts Streichquartett „Der Tod und das
Mädchen“ seine musikalische Interpretation findet. Es ist auch auf der Bühne des „Hamburger
Sprechwerk“ zu hören, das nicht nur in einer gelungenen Inszenierung des Dorfman-Dramas
sein Publikum begeistert, sondern es auch zum weiteren Nachdenken zwingt, denn das Stück
endet ja nicht beim Fallen des Theatervorhangs. Es lässt die Fragen offen, ob man Gewalt mit
Gewalt beantworten kann und Geständnisse unter Lebensbedrohung erpresst werden können.
Ein Thema, das im politischen Weltpanorama gerade von aktueller Brisanz ist und das
deshalb besonders aufmerksames Interesse erregt.
Im Stück des chilenischen Autors wird in der Hamburger Inszenierung auf minimalen Raum
fokussiert: Ein Strandhaus, das dem renommierten Anwalt Gerardo Escobar und seiner Frau
Paulina Salas gehört, die unter der chilenischen Diktatur schwerste körperliche Qualen
erleiden musste. Durch Zufall kommt es zu einer Begegnung mit dem Arzt Robert Miranda,
den der Anwalt in sein Haus bringt. Paulina hört aus einem Nebenraum die Stimme des
Arztes und gerät in Panik, denn sie glaubt, in Sprache und Lachen ihren Peiniger wieder zu
erkennen, der sie vor 15 Jahren auf brutalste Weise vergewaltigte, während er Schuberts „Der
Tod und das Mädchen“ abspielen ließ. Paulinas Rachegelüste eskalieren und nehmen in der
Bedrohung des erschrockenen Gastes, der alles ableugnet, mit einer Pistole gewalttätige
Formen an …IhrMann Gerardo versucht in die verworrene Schuldfrage Klarheit zu bringen
und schlägt dem Arzt ein fingiertes Schuldgeständnis vor. Da aber Miranda behauptet, nicht
zu wissen, was er denn überhaupt gestehen soll, befragt der Anwalt seine Frau, die an eine
Verschwörung der Männer glaubt und deshalb in ihrer Darlegung der damaligen Vorgänge
einige Änderungen vornimmt. Mit dieser List will sie ihren vermutlichen Peiniger überführen,
was ihr auch zu gelingen scheint, denn der an einen Stuhl gefesselte Miranda korrigiert in
seinem ihm diktierten Geständnis die Fehler – ob bewusst oder unbewusst, bleibt offen. Aber
Paulinas Rachegelüste weichen der Eingebung, dass die Tötung eines vermutlichen
Verbrechers keine Lösung ist: Sie lässt ihr Opfer leben.
Ein spannender Polithriller, ein bewegendes Drama über Schuld und Rache, über die
Demonstration der Macht und über Machtlosigkeit. „Der Tod und das Mädchen“ erweist sich
bei der Hamburger Inszenierung als ideal für diese Sprechbühne, deren von Sonja Zander
gestaltetes Bühnenbild die intime Atmosphäre noch verdichtet. Luise K.Herzberg von Rauch
setzt als Regisseurin die Möglichkeiten, die das gesprochene Wort in diesem auf engsten
Handlungsraum begrenzten Stück bietet, gekonnt um. Mit Alexandra Golfiger hat sie eine
großartige Paulina gefunden, eine modeme Nemesis, die die ganze Skala der Emotionen bis
zum Anschlag ausreizt. Mete Güner als Miranda versteht es, die Zweifel an seiner
Schuldigkeit offen zu lassen und sie damit an das Publikum weiter zu geben. Moritz Schilk
in der Rolle des Gerardo Escobar, der zwischen seiner Frau und dem Gast steht, machen die
Skrupel, die er als Anwalt hegt, glaubhaft. Es ist zu hoffen, dass nach den ersten drei
Vorstellungen im September weitere Aufführungen folgen werden. ( Hamburger Sprechwerk,
Klaus-Groth-Straße 23 in 20535 Hamburg, Telefon: 0180/5040300)