Dem Volk aufs Maul schauen

Dieser Artikel erschien am 19. Juli 2015 in SaS (Schleswig-Holstein am Sonntag)

Von Uta Buhr

Auf den Spuren des Reformators in Sachsen

Junker Jörg und Freund Michael von Straßen
Junker Jörg und Freund Michael von Straßen

Das Lutherjahr 2017 wirft bereits jetzt seine Schatten voraus. Bevor die Spurensuche in Dresden beginnt, räumt ein Historiker schon einmal mit einem lieb gewonnenen Mythos auf. „Luther schlug mitnichten seine 95 Thesen mit dem Hammer ans Tor der Schlosskirche zu Wittenberg.“ Schade. Dieser brachiale Akt hätte nur zu gut zum unbeugsamen Charakter des Reformators gepasst.

„Willkommen in Döbeln!“ Vor dem imposanten Rathaus der Stadt an der Mulde empfängt uns das Ehepaar Luther nebst Beichtvater. Während Luthers bessere Hälfte Katharina im zivilen Leben Standesbeamtin ist, übt Johann von Staupitz einen technischen Beruf aus. Der Bariton Luthers jedoch gehört einem professionellen Schauspieler. Die Andacht mit engelhaftem Chorgesang findet in der Ende des 15. Jahrhunderts erbauten dreischiffigen Basilika St. Nicolai statt. Die Hauptattraktion der Kirche, der „Mirakelmann“, aus dessen Wunden zur Passionszeit Schweineblut quoll, hätte der wahrheitsliebende Reformator mit Sicherheit als Teufelszeug verworfen. Gläubige Christen durften mit solchen Tricks nicht hinters Licht geführt werden. Basta.

Romantisches Torgau
Romantisches Torgau

Der Weg über das idyllisch an der Zwickauer Mulde gelegene Schloss Rochlitz, einstiger Sitz der berühmten Herzogin Elisabeth von Rochlitz, führt nach Borna. In der Stadtkirche St. Marien besuchte Luther häufig seinen Freund und glühenden Anhänger der Reformation Michael von Straßen. Ein Denkmal stellt Luther als Junker Jörg dar. Völlig unkenntlich mit Bart versteckte er sich weiland unter diesem Pseudonym auf der Wartburg.

„Schauen Sie sich unsere Löbnitzer Bilderbibel ganz genau an“, empfiehlt die energische Dame in der evangelischen Kirche Löbnitz. „Sie ist wirklich einmalig.“ An der 250 Felder umfassenden Kassettendecke sind farbenfrohe Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament zu bewundern. Auch Luther und sein Mitstreiter Philipp Melanchthon sind darunter. Diese „Armenbibel“ sollte die zumeist des Lesens und Schreibens nicht mächtigen Menschen jener Zeit mit der Heiligen Schrift vertraut machen.

Katharina und Martin Luther mit Beichtvater Johann von Staupitz
Katharina und Martin Luther mit Beichtvater Johann von Staupitz

Nach soviel Sakralem ist jetzt Deftiges angesagt in Form eines echten „Luther-Mahls“ in Anwesenheit von Katharina und Martin Luther. Während des Essens – u. a. gepökeltes Jungschwein und Rindfleisch, gekocht im Kräutersud – geben zwei in der Region bekannte Mimen Szenen aus dem Eheleben des Paares zum Besten. Während die mit Mieder und züchtiger Haube bekleidete Käthe ihrem recht selbstgerechten Martinus immer widerspricht, werden weitere Gänge aufgetragen. Sehr lecker ist die Nachspeise aus Apfelteig mit Bienenhonig und Beerengrütze aus Wald und Flur. Ein amüsantes Intermezzo!
Die zauberhafte Renaissancestadt Torgau an der Elbe ist Dreh- und Angelpunkt auf unserer Spurensuche. Wie oft Luther von der Kanzel der spätgotischen Stadtkirche St. Marien das Wort Gottes gepredigt hat, ist nicht bekannt. „Unzählige Male“, bestätigt der Organist, bevor er einen Choral von Johann Sebastian Bach intoniert. Hier soll Luther sich mit einem seiner berühmtesten Zitate an die Gemeinde gewandt haben: „Tritt frisch auf, tu’s Maul auf, halt’ bald auf.“

Im Schloss Hartenfels, dessen Pracht weiland selbst Regenten verblüffte, findet zurzeit eine hochkarätige Ausstellung unter dem Titel „Luther und die Fürsten“ statt. Unzählige Exponate und Kommentare zeichnen sowohl den Lebensweg des Reformators als auch sein Verhältnis zu den Herrschenden jener Zeit akribisch nach. Sehr sehenswert!
www.lutherweg-sachsen.de