von Götz Egloff
Rezension zu Katharina Pohl, Schönes Scheitern? Die Suche nach Identität in den Inszenierungen Florian Fiedlers. Tectum Verlag, Marburg, 2010
Die in der Reihe Kleine Mainzer Schriften zur Theaterwissenschaft erschienene 182-Seiten-starke Untersuchung zur zeitgenössischen Theaterpraxis bietet eine intensive und höchst eindrückliche Leseerfahrung. Auch Rezipienten, die die beiden besprochenen Inszenierungen Florian Fiedlers nicht gesehen haben, werden von der detaillierten und äußerst nachvollziehbaren Analyse profitieren, die Katharina Pohl hier vorlegt.
Den Topos des Scheiterns in der Postmoderne, in der eine als kohärent erfahrene Identität wenn nicht brüchig, eher schon in der Auflösung begriffen ist, beleuchtet Pohl anhand der Inszenierungen Fiedlers von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ und Kaurismäkis „I Hired a Contract Killer oder Wie feuere ich meinen Mörder?“ am Frankfurter Schauspielhaus 2004 und 2005. Was Fiedler mittels Raum, Zeit und Personal auf der Bühne konstelliert, findet in Pohls Analyse dabei seine akademische Entsprechung. Dabei entbehrt diese nicht des nötigen kritischen Impetus, versteigt sich aber auch nicht in schwindelnde Höhen. Stattdessen wird präzise und dicht an der Inszenierung untersucht, kommentiert, benannt. Pohl stellt also Kontexte her, die die intuitiv-affektive Erfahrung des Theaterbesuchs unterlegen, fundieren und somit wissenschaftlich verorten. Wenn die Protagonisten der Inszenierungen sich räumlich-sinnlich mit den subjektiven Verwerfungen in ihrer Umwelt zurechtfinden müssen, wird Theaterwissenschaft hier (auch) zu Gesellschaftswissenschaft, etwas das gerade in komplexer werdenden Zeiten wichtig, ja notwendig ist.
Identität wird zu einer Chiffre für die Subjektwerdung im Spannungsfeld von Autonomie und System; ein Ringen, das jedem Individuum auferlegt ist. Die Gefahr einer individualisierten Psychologisierung des Psychischen unter Missachtung der sozialen Kontexte im kulturellen Gefüge, die z.B. Alain Ehrenberg in westlichen Gesellschaften am Werke sieht, vermeidet Pohl wohlweislich. Gerade der neoliberale Gesellschaftsentwurf tendiert entlang seines konstruktivistischen Erbes zur Selbstreferentialität, die jede kritische Theorie als Spielart von Kommunikationen einzugemeinden droht. Insofern ist die räumlich-sinnliche Erfahrung in den performativen Künsten ein Gegengewicht zu konstruktivistisch begünstigten Strukturauflösungen, die – jenseits aller neuen Chancen und Möglichkeiten – genau jene Verschattung der Seele hervorrufen können, deren Erhellung sie zu sein vorgeben.
Interessant wäre gewiss noch die Bezugnahme auf die Düsseldorfer Inszenierung von v. Mayenburgs „Feuergesicht“ (2005) gewesen, die in ihrer hermetischen Bespiegelung sozialisatorischer Normopathologie die psychohistorische Dimension der Subjektwerdung beleuchtet hätte. Doch Pohls Studie ist in sich so abgeschlossen und stimmig, dass diese für sich steht, sodass man sich Weitergehendes nur für eine nächste Untersuchung wünschen kann. Diese engagierte und fundierte Analyse ist jedem zu empfehlen, der eine intensive Auseinandersetzung mit derzeitigen Identitätsentwürfen – nicht nur, aber auch auf dem Theater – sucht. Eine gelungene und kluge Bestandsaufnahme.