Dieser Artikel erschien gerade in der PAZ am 3. Dezember 2011
Von Uta Buhr
„Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren…“ Diese Verszeile aus Dantes Göttlicher Komödie fällt mir spontan ein, als ich die „Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“ in der Genslerstraße 66 im Osten der Stadt betrete. Im Gästezentrum, einem tristen grauen Gebäude, wartet schon eine große Zahl von Besuchern auf die nächste Führung. Auch viele junge Leute sind dabei. Darunter eine Schulklasse, deren Interesse den in Schaukästen ausgestellten Erinnerungsstücken an eines der schlimmsten Gefängnisse aus real-sozialistischer Zeit gilt.
Bei der Vorführung des Films, der akribisch die Geschichte der „Zentralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit“ nachzeichnet, kann man eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Der Gebäudekomplex – ursprünglich eine Großküche – wurde 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht in das „Speziallager Nr. 3“ umgewandelt. Hier vegetierten zeitweise 4.200 Inhaftierte unter unmenschlichen Verhältnissen auf engstem Raum dahin. Es gab weder eine Heizung noch Decken. In den Jahren 1945/46 starben nach vorsichtigen Schätzungen über dreitausend Menschen, viele davon an Unterernährung. Ihre Leichen wurden auf Müllhalden und in Bombentrichtern verscharrt. Die Sowjets machten nicht einmal vor zwölfjährigen Kindern halt. Besonders perfide waren die in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts angewandten Methoden gegen prominente Dissidenten, wie unter anderen den Schriftsteller Jürgen Fuchs, der während der Verhöre höchstwahrscheinlich mit Gammastrahlen kontaminiert wurde. Er und manche seiner Leidensgenossen starben später an Leukämie.
Trotz des strahlenden Herbstwetters – es ist warm, und ein azurblauer Himmel wölbt sich über Berlin – fröstelt es jeden Besucher beim Anblick des Wachturms und der um das Stasi-Gelände gezogenen hohen Mauer. „Hereinspaziert“, lädt Herbert Krebs seine Gäste ein und weist ihnen den Weg in die Kellergewölbe des Gefängnisses. Er selbst war kurz vor der Wende einige Zeit hier inhaftiert, und das „nur weil ick schriftlich een paar Verbesserungsvorschläge bei der Regierung einjereicht hatte“, lacht der bärtige Mann. Sämtliche Führungen werden von Personen durchgeführt, die selbst einmal in diesem Knast interniert waren. Der ist die Hölle, wie selbst Dante sie nicht besser hätte ersinnen können. Winzige fensterlose Verliese, nackte Holzpritschen und ein Eimerchen für die Notdurft. „Is ja wie im finstersten Mittelalter“, entfährt es einer jungen Frau, die sich schaudernd in ihren Schal verkriecht. Das Grauen erreicht seinen Höhepunkt in der „Nasszelle.“ Herbert Krebs erklärt die chinesische Wasserfolter, bei der dem kahlgeschorenen Häftling in regelmäßigen Abständen eiskaltes Wasser auf den Kopf getropft wurde. „Migräne ist nichts dagegen“, sagt Krebs. Meistens wurden den Gefangenen nur die Folterwerkzeuge gezeigt mit dem Hinweis auf einen Roman von Karl May, in welchem diese Methode präzise geschildert wird. Viele Stasiopfer kapitulierten bereits vor der Anwendung und gaben alles zu, was sie nicht getan hatten. In den gerade einmal 10 Quadratmeter großen Zellen waren zeitweise bis zu 15 Menschen untergebracht. Die mussten sitzen und durften sich nicht bewegen. Kam einer vom Verhör zurück und hatte nicht gestanden, wurde er gezwungen, stundenlang bewegungslos dazustehen. „Nicht mal die Nase durfte der sich wischen“, erzählt Krebs. Überwacht wurde diese Folter von unerbittlichen Stasischergen, die bei dem geringsten Verstoß sofort „tätig“ wurden. Da kam schon mal der „sozialistische Wegweiser“ zum Einsatz, wie die Insassen den Gummiknüppel nannten. Später rückte die Staatsmacht von allzu großer physischer Gewalt ab und wandte ausgeklügelte psychologische Verhörmethoden an, um die Häftlinge weich zu kochen.
Durchatmen an der frischen Luft im Gefängnishof. Einige Gebäude sind eingerüstet und werden gerade originalgetreu restauriert. Treppauf geht es in ein Nebengebäude, das nahezu einladend wirkt gegenüber dem „U-Boot“, wie der Kellerknast so treffend hieß. Die Zellen sind sogar mit Waschbecken versehen. Geradezu human für DDR-Verhältnisse. Dennoch beklagte sich der gefürchtete ehemalige Stasichef Erich Mielke, der dort nach der Wende kurz einsaß, über unzumutbare Haftbedingungen!
Wer diese Welt des Grauens verlässt, braucht einen Schnaps oder einen starken Kaffee! In der Cafeteria treffe ich eine der prominentesten Ex-Häftlinge von Hohenschönhausen. Edda Schönherz, die ehemalige Moderatorin im DDR-Fernsehen, verdankte ihre Inhaftierung dem Umstand, dass sie sich in den Siebzigern während eines Urlaubs in Ungarn in den Botschaften der Bundesrepublik Deutschland und der USA lediglich nach Ausreisemöglichkeiten erkundigte. „Die waren doch alle verwanzt“, erzählt die sympathische Frau mit den strahlend blauen Augen. „Zurück in Berlin, stand die Stasi bei mir auf der Schwelle.“ Dem Martyrium in Hohenschönhausen mit Schlafentzug und brutalsten Verhörmethoden folgte ein dreijähriger Aufenthalt auf der Burg Hoheneck im Erzgebirge. „Der schlimmste Frauenknast der DDR“, sagt Edda Schönherz. Man hatte sie, die politische Gefangene, mit Kindes- und Gattenmörderinnen in eine Zelle gesperrt. Kaputt gemacht hat sie das nicht. Eher noch stärker. Ihre Vorträge und Führungen erfreuen sich großer Beliebtheit. „Und Dokumentarfilme mache ich auch noch“, sagt sie zum Abschied. „Diese Schande darf niemals in Vergessenheit geraten.“
Infokasten: Das einstige Stasigefängnis wird inzwischen jährlich von mehr als 314.000 Menschen besucht, darunter fast die Hälfte Schüler und Studenten.
Anschrift: Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Genslerstraße 66, 13055 Berlin, Telefon: 030 – 98 60 82 30 – 32 – www.stiftung-hsh.de
Öffentliche Rundgänge für Einzelpersonen ohne Voranmeldung:
Montag bis Freitag 11 bis 13 Uhr
Dienstag und Donnerstag zusätzlich um 15 Uhr
Sonnabend und Sonntag stündlich zwischen 10 und 16 Uhr
Die Gedenkstätte ist bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln – Straßen- und S-Bahn – zu erreichen.