“Dangerous Obsession”– das neue Stück am English Theatre of Hamburg

von Uta Buhr

Foto: Stefan Kock
Hallo Mr. Barrett. Was führt Sie zu uns?

Ab sofort wird im English Theatre scharf geschossen! Selbst Zuschauer, die das Erfolgsstück des britischen Autors N.J. Crisp schon einmal gesehen haben – es lief bereits 2004 vor einem begeisterten Publikum im TET – zucken auch heute noch zusammen, wenn der offenbar von allen guten Geistern verlassene John Barrett seinen Revolver auf das Ehepaar Driscoll richtet und den beiden erschreckende Dinge vorwirft, die diese offenbar gar nicht verstehen oder nicht hinterfragen wollen. Hat der Mann, der in seinem schlecht sitzenden braunen Anzug aussieht wie der Buchhalter irgendeiner kleinen Klitsche, sich etwa in der Adresse geirrt?

Dieser  spannende Psychothriller beginnt trügerisch geruhsam im großen eleganten Haus der Driscolls in einem feinen Vorort, der vermutlich vor den Toren Londons liegt.  Die attraktive Sally (sexy und temperamentvoll Gabrielle Douglas) gießt gerade ihre Pflanzen im Licht durchfluteten Wintergarten. Vor den weit geöffneten Türen grünt und blüht es, die Sonne scheint und Vögel zwitschern in den Bäumen.

Foto: Stefan Kock
Warten Sie bitte, bis ich mit dem Gießen fertig bin.

Eine Idylle, in die aus heiterem Himmel ein der Hausherrin völlig fremder Besucher eindringt, der sich zunächst höflich und fast schüchtern  gibt. Als der Mann namens John Barrett (Adam Lilley linkisch und verschlossen) heimlich den Schlüssel von der Tür zum Garten abzieht, schwant dem Zuschauer bereits Böses. Sally bemerkt indes nichts. Ehemann Mark (Tom Rooke charmant und leicht versnobt) trifft etwas später auf das ungleiche Duo. Er zeigt sich überrascht, einen Unbekannten in seinem Haus anzutreffen. Doch wohlerzogen, wie er ist, lädt er ihn zu einem Drink ein. Während die Gläser kreisen und man über belanglose Dinge redet, hoffen die Gastgeber wider Willen, den Besucher bald wieder los zu werden.  Ohne es zu bemerken, sind die Driscolls bereits Gefangene in ihrem eigenen luxuriösen Heim. Nach anfänglicher Zurückhaltung setzt John Barrett das Ehepaar systematisch unter Druck und stellt Fragen, die tief in die Intimsphäre der beiden eindringen. Völlig verunsichert versuchen Sally und Mark, den ungebetenen Gast vor die Tür zu setzen. Doch der lässt nicht locker und kommt nach und nach auf den Grund seines Besuches. Schließlich legt er die Karten auf den Tisch: Inwieweit sind die Driscolls in den Autounfall verwickelt, dem seine Frau vor nicht allzu langer Zeit zum Opfer fiel? Ganz cool und als wäre es das Natürlichste der Welt zieht John Barrett einen Revolver aus seiner Aktentasche und bedroht seine schockierten Gastgeber, die zunächst noch versuchen, die Wogen zu glätten und die Situation herunterzuspielen. Doch Barrett kennt kein Erbarmen. Als die ersten Schüsse durch den Raum hallen, erkennen Sally und Mark den ganzen Ernst ihrer Lage. Aus dem selbstsicheren Geschäftsmann wird ein stammelnder Bittsteller, während seine Frau den Tränen nahe ist. In Rückblenden erfährt der Zuschauer eine Geschichte von Untreue, Feigheit und Betrug, die tiefe Risse in die scheinbar glänzende und  makellose Fassade dieses vom Erfolg verwöhnten wohlhabenden Paares schlägt.

Foto: Stefan Kock
Keine Bewegung. Sonst schieße ich.

Wer betrog  wen mit wem? Und wer verursachte den tödlichen Autounfall in einer regnerischen Nacht auf einer Landstraße? Fragen über Fragen, die nach und nach von den Protagonisten des Stückes beantwortet werden.

Der Zuschauer kann sich auf zwei Stunden äußerster Spannung freuen, die dieser ebenso temporeiche wie raffinierte Thriller für ihn bereit hält. Dies vorab: Nichts in „Dangerous Obsession“ – dieser gefährlichen Leidenschaft –  ist, wie es zunächst scheint. Und der Schluss kommt so überraschend daher, dass  dem Publikum der Atem stockt. Mein Rat: Hingehen und dieses von drei exzellenten Schauspielern und Regisseur Philip Dart getragene Kammerspiel selbst erleben. Viel Vergnügen dabei.

„Dangerous Obsession“ des britischen Erfolgsautors N.J. Crisp wurde Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts im Londoner Westend uraufgeführt und löste auf Anhieb Begeisterungsstürme aus. Crisp, der 1923 in Großbrannien geboren wurde und bereits 2005 starb, hatte sich zuvor durch zahlreiche, in verschiedenen Magazinen veröffentlichte Kurzgeschichten  hervorgetan. Weitere Erfolgsstücke auf der Bühne, die allerdings an „Dangerous Obsession“ nicht heranreichten, waren unter anderen „The Mask of Death“, „Murder Elite“ und „The Ninth Circle.“ Der Autor beobachtete die Inszenierung seiner Stücke sehr genau und übte auch Kritik an der Aufführungspraxis. Die Verfilmung von „Dangerous Obsession“ unter dem Titel „Darkness Falls“ soll ihm gar nicht gefallen haben.

Erstaunlich ist, dass dieser packende Dialogthriller  offenbar noch an keiner namhaften deutschen Bühne gespielt wurde, obgleich Renate und Christian Quadflieg ihn kongenial unter dem Titel „Ein Sommerabend im Wintergarten“ übersetzten. Sogar ins Niederdeutsche wurde die „Gefährliche Leidenschaft“ übertragen. Wen wundert’s? Wer Plattdütsch kann, versteht ja auch Englisch und umgekehrt. Alles klar?

 

„Dangerous Obsession“ läuft bis einschließlich 25. Juni 2016

Karten unter der Telefonnummer 040-227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de

Dann begibt sich das TET in die wohl verdienten Theaterferien und bringt im September ein neues Stück auf die Bühne: „Orphans“ von Lyle Kessler. Näheres erfahren Sie rechtzeitig an dieser Stelle.

Fotos: Stefan Kock

Author: Maren Schönfeld

Maren Schönfeld ist Lyrikerin, Journalistin und Lektorin. Sie veröffentlicht Lyrikbände, Sachbücher sowie Artikel. Seit 2018 ist sie die Präsidentin der Auswärtigen Presse und leitet den Verband gemeinsam mit ihren Vorstandskollegen Dr. Manuel Ruoff und Winfried Wöhlke.