Vor 225 Jahren, am 29. November 1780, starb Friedrichs des Großen österreichische Gegenspielerin Maria Theresia
Von Manuel Ruoff
Während Maria Theresias Regentschaft in Österreich annektierte Friedrich der Große Schlesien, machte er Preußen zur zweiten deutschen Großmacht und begründete er den deutschen Dualismus. Daß diese preußischen Erfolge auf Österreichs Kosten Maria Theresias Ruhm kaum Abbruch getan haben – selbst der Alte Fritz bescheinigte ihr, „ihrem Thron und Geschlecht Ehre gemacht“ zu haben – liegt nicht zuletzt an den sehr ungünstigen Ausgangsbedingungen bei Antritt ihrer Regierung. Ihr preußischer Gegenspieler fand bei seiner Thronbesteigung dank seines Urgroßvaters, des Großen Kurfürsten, und seines Vaters, des Soldatenkönigs, einen wohlgeordneten Staat vor. Das war bei Maria Theresia anders. Seit Karl V. waren ihre Vorgänger auf dem Thron „als Politiker oder Militärs nur Mittelmaß und bisweilen noch darunter gewesen“, um es mit Peter Berglar zu formulieren. Der Absolutismus war noch nicht durchgesetzt, eine österreichische Staatsnation noch nicht geschaffen. Das einzige einigende Band des Völkergemisches war der Herrscher an seiner Spitze. Die Macht der Stände war noch nicht zugunsten eines dem Monarchen gegenüber loyalen, effektiven, stringenten Beamten- und Verwaltungsapparates in Staat und Militär gebrochen. Die Armee befand sich in einem ähnlich traurigen Zustand wie die Staatsfinanzen. Zudem hatte es ihr Vater versäumt, sie auf ihr großes Amt vorzubereiten. Als Maria Theresia 1740, wenige Monate nach Friedrich II., den Thron erbt, sieht sie sich „auf einmal von Geld, Truppen und Rat entblößet“.
Das bleibt dem Ausland nicht verborgen, und mancher Herrscher wittert seine Chance. Kaum daß die 23jährige den Thron bestiegen hat, marschiert Friedrich der Große ohne vorherige Kriegserklärung in ihre wertvollste Provinz ein, Schlesien. Das ist der Beginn des Ersten Schlesischen Krieges. Frankreich, traditionell bestrebt, Deutschland beziehungsweise dessen Führungsmacht zu schwächen, schlägt sich auf Friedrichs Seite. Ebenfalls 1741 stößt Kurfürst Karl Albrecht von Bayern zu den Verbündeten. Continue reading „»Sie hat … Thron und Geschlecht Ehre gemacht«“
Kategorie: Geschichte
Blick in die Vergangenheit
Die Frau an der Seite des 99-Tage-Kaisers
Vor 165 Jahren kam die deutsche Kaiserin und preußische Königin Victoria in Großbritannien zur Welt
Von Manuel Ruoff
An Geist und edlem Wollen über den meisten Frauen ihrer Zeit, war sie die ärmste, unglücklichste Frau, die jemals eine Krone trug.“ Mit diesen Worten charakterisierte Wilhelm II. seine Mutter, die vorletzte deutsche Kaiserin und Königin von Preußen Victoria.
Die Princess Royal kam am 20. November 1840 als erstes Kind der britischen Königin Victoria und ihres deutschen Gemahls Albert zur Welt. Während die nicht sonderlich kinderliebe Queen ihren Regierungsgeschäften nachging, ging der Prinzgemahl in seiner neuen Vaterrolle auf. Vicky, wie die Prinzessin genannt wurde, war geistig sehr aufgeweckt, überdurchschnittlich intelligent sowie von rascher Auffassungsgabe und starker Willenskraft – und sie hatte in ihrem deutschen Vater einen sehr liebevollen, verständnisvollen, sensiblen Erzieher, der ihre außerordentlichen Fähigkeiten erkannte und förderte.
Dank ihrer geistigen Gaben und der Erziehung ihres Vaters war sie bereits als Zehnjährige in der Lage, den preußischen Prinzen Friedrich Wilhelm durch die Weltausstellung zu führen, die 1851 in London stattfand. Obwohl sie noch ein Kind war, wußte sie den fast doppelt so alten späteren Friedrich III. zu faszinieren und umgekehrt gefiel auch er ihr. So entwickelte sich eine Brieffreundschaft.
1855 sahen sie sich wieder. Der Preußenprinz war seit damals das erste Mal wieder auf der Insel und besuchte seine kleine Brieffreundin und deren Familie. Sofort stellte sich wieder zwischen dem hoch aufgeschossenen stattlichen Prinzen und der kleinen etwas pummeligen Prinzessin die alte Vertrautheit ein. Am 20. September bat Fritz, wie er im Familienkreis genannt wurde, die Queen und deren Ehemann um die Hand ihrer Tochter. Die beiden stimmten grundsätzlich zu. Zum einen war ihnen der Deutsche sympathisch, was einen angesichts des Aussehens und des Charakters Friedrich Wilhelms nicht verwundern kann. Zum anderen hoffte insbesondere der Prinzgemahl über eine Ehe auf die Innen- wie Außenpolitik Preußens Einfluß nehmen zu können. Auch Friedrich Wilhelms Eltern, der preußische Thronfolger Wilhelm und dessen anglophile Ehefrau Augusta, stimmten einer derartigen Verbindung des preußischen mit dem Königshaus der damals ersten der Großmächte zu. Allerdings mußte das glückliche Paar erst noch Vickys Konfirmation abwarten. Am 29. September einen Tag vor Fritz’ Abreise ins heimatliche Deutschland erfolgte die inoffizielle Verlobung, am 17. Mai 1856 die offizielle. Continue reading „Die Frau an der Seite des 99-Tage-Kaisers“
Gerechtigkeit für Alfred Dreyfus
Vor 100 Jahren endete die wohl berühmteste Affäre der Dritten Republik mit der Rehabilitierung des Offiziers
Von Manuel Ruoff
Kein Fall hat je in der ganzen zivilisierten Welt ein solch umfassendes und weitreichendes Interesse erregt.“ Das sind starke Worte. Sie stammen vom damaligen US-amerikanische Botschafter in Paris James B. Eustis. Zweifellos ist die Dreyfus-Affäre das prominenteste Symptom des Antisemitismus im Westen und eine der spannendsten Kriminalgeschichten der Dritten Republik.
Am 20. Juli 1894 sucht der chronisch klamme Bataillonschef des 74. französischen Infanterieregiments Major Ferdinand Esterhaz, die deutsche Botschaft in Paris auf und bietet dem Militärattaché Oberstleutnant Max von Schwartzkoppen seine Dienste als Agent an. Die beiden kommen ins Geschäft und einige Wochen später schreibt Esterhazy Schwartzkoppen: „Mein Herr, obwohl ich ohne Nachricht von Ihnen bin, daß Sie mich zu sehen wünschen, sende ich Ihnen einige interessante Auskünfte …“. Der Adressat zerreißt den Brief und schmeißt ihn in den Papierkorb. Dieser Papierkorb wird von einer Putzfrau geleert, die als Agentin für die „Sektion für Statistik“ des französischen Generalstabs, sprich den Geheimdienst, arbeitet und das sogenannte Bordereau (Zettel) diesem zukommen läßt. Die Vielfalt und Qualität der im „Bordereau“ genannten Geheimnisse läßt die „Sektion für Statistik“ auf einen jungen Artillerieoffizier im Generalstab tippen, der erst seit kurzem sein Patent hat und dort geschult wird. Dieser Beschreibung entspricht der einzige Jude im Generalstab, Hauptmann Alfred Dreyfus. Ein erster Vergleich des „Bordereau“ mit Schriftstücken aus der Feder Dreyfus’ scheint den Verdacht zu erhärten. Continue reading „Gerechtigkeit für Alfred Dreyfus“
Wie ein Bayer einen Preußen zum Kaiser machte
Vor 135 Jahren übergab Prinz Luitpold den Kaiserbrief Ludwigs II. an Wilhelm I.
Von Manuel Ruoff
Der „Kaiser“ hat(te) wie das „Reich“ in Deutschland einen besonderen Nimbus. Man denke nur an das geflügelte Wort von der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit. Insofern lag es nahe, daß Bismarck sein Einigungswerk durch die Schaffung eines beziehungsweise die Revitalisierung des Kaisertums krönen wollte. Der Eiserne Kanzler selber sprach von der „Nützlichkeit des Kaisertitels für Förderung der nationalen Einheit“.
Es stellte sich jedoch die Frage, wie dieser für das Bundespräsidium, sprich den preußischen König, vorgesehene Titel zu legitimieren war. Wäre die Reichseinigung eine Aktion von „unten“ gewesen, hätte es sich angeboten, daß eine irgendwie geartete Volksvertretung dem Preußenkönig die Krone angetragen hätte. Die deutsche Einigung war jedoch trotz aller Sympathie von „unten“ ein Unternehmen von „oben“, ein Fürstenbund. Wer schien angesichts dieser Konstellation besser geeignet, in Vertretung aller Fürsten dem mächtigsten unter ihnen die Krone anzutragen als der zweitmächtigste, der König von Bayern?
Auch die preußische Diplomatie beantwortete für sich diese Frage mit niemand, und so versuchte sie den Bayernkönig für eine entsprechende Aktion zu gewinnen. Doch was sollte Ludwig II., dessen Vorbild der gleichnamige „Sonnenkönig“ war, dazu bewegen, über sich einen Kaiser zu installieren? Antwort gibt wohl die folgende Aufzeichnung des preußischen Gesandten in München, Georg von Werthern, die um den 20. November 1870 angefertigt wurde und eine Reise Graf Max von Holnstein, des Oberstallmeisters Ludwigs II., zum preußisch-deutschen Hauptquartier während des Deutsch-Französischen Krieges zum Thema hat:
„Holnstein geht im Allerhöchsten Auftrage am Dienstag nach Versailles …, um in einer ganz curiosen Angelegenheit mit Bismarck zu reden. Continue reading „Wie ein Bayer einen Preußen zum Kaiser machte“
Sie sollte Deutschland deklassieren
Vor 100 Jahren lief mit der »Dreadnought« das erste »all big gun one caliber battleship« in Portsmouth vom Stapel
Von Manuel Ruoff
Traditionell setzte die britische Royal Navy eher auf Masse denn auf Klasse, eher auf Quantität denn auf Qualität. Die Menge, nicht die Größe der Schiffe sollte Großbritanniens Herrschaft auf den Weltmeeren sichern. So hatte die britische Kriegsmarine im Jahre 1905 56 Linienschiffe. (Die deutsche hatte zu der Zeit gerade einmal 17.) Für diese Strategie der großen Zahl sprach die Risikostreuung, denn so traf der Verlust eines Schiffes die Flotte vergleichsweise wenig.
Trotzdem war in Großbritannien bereits im Herbst des Vorjahres ein Strategiewechsel eingeleitet worden. Im Oktober 1904 wurde nämlich der deutschfeindliche Admiral of the Fleet Sir John Fisher zum Ersten Seelord berufen. Fisher hatte schon vorher für den Bau eines „all big gun one caliber battleship“ plädiert. Nun als Erster Seelord hatte er die Möglichkeiten, ein derartiges Schiff zu bauen, die „Dreadnought“. Dieses erste Großkampfschiff der Geschichte, das entsprechend seinem Namen nichts und niemanden fürchten sollte, sollte fast ausschließlich mit Geschützten großen Kalibers ausgestattet werden. Fisher zog damit die Konsequenz aus vorausgegangenen Seeschlachten, in denen sich die Gegner in weitem Abstand gegenübergestanden hatten und der schweren und damit weitreichenden Schiffsartillerie entscheidende Bedeutung beigekommen war. So erhielt die „Dreadnought“ zehn Schnelladekanonen des Kalibers 30,5 Zentimeter, verteilt auf fünf Zweiertürme. Von diesen befanden sich zwei hinten, einer vorn und je einer links und rechts von den Aufbauten, so daß das Schiff mit je sechs Rohren nach vorne und hinten sowie mit acht Rohren zur Seite schießen konnte. Gängig waren in jener Zeit vier Kanonen in je einem Zwilligsturm vorne und hinten.
Am zweitwichtigsten war Fisher die Geschwindigkeit, damit die „Dreadnought“ den für die 30,5-Zentimeter-Geschütze Continue reading „Sie sollte Deutschland deklassieren“
»Alles klar auf der ›Andrea Doria!«
Vor 50 Jahren versank der Stolz der italienischen Handelsmarine nach einer Kollision mit der »Stockholm«
Von Manuel Ruoff
Man kann über die Italiener sagen, was man will, aber Chic haben sie. Das spiegelte auch die „Andrea Doria“. Der nach einem Nationalhelden aus alter genuesischer Adelsfamilie benannte Luxusliner war seit seinem Stapellauf im Jahre 1952 der Stolz der italienischen Nachkriegshandelsflotte.
Mit seiner Größe von 29100 Bruttoregistertonnen, seiner Länge von 212 Metern, seiner Breite von 27 Metern, seinem Tiefgang von neun Metern, seinen zwei Turbinen à 30000 PS, die es 22 Knoten schnell machten, sowie seinen 500 Besatzungsmitgliedern und 1200 Passagieren war das Schiff im Vergleich zu den Ozeanriesen der Schiffahrtsgeschichte nicht unbedingt überwältigend, doch wußte dieses italienische Produkt durch Luxus und schnittige Eleganz sowie nicht zuletzt durch eine moderne Radaranlage zu überzeugen und war insofern Balsam für die im vorausgegangenen Weltkrieg besiegte Nation.
In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1956 war das Turbinenschiff auf der Fahrt von seinem Heimathafen Genua nach New York. Nur noch gut 200 Seemeilen lagen zwischen dem Schiff und dem im Westen gelegenen Zielhafen. Von dort kam der mit 12600 Tonnen ungleich kleinere schwedische Passagierdampfer „Stockholm“, der Kopenhagen ansteuerte. Gemäß internationaler Gepflogenheit hätte die Route des Schweden, da er von Westen kam, zehn Meilen südlich jener des aus dem Osten kommenden Italieners liegen müssen. Diese Schiffsroute war jedoch nur von einem Routeabkommen empfohlen worden, und Schweden war dem Abkommen nicht beigetreten. Fakt ist, daß die Route der „Stockholm“ statt zehn Meilen südlich etwas nördlich jener der „Andrea Doria“ lag, um den Weg nach Skandinavien zu verkürzen. Erschwerend kam hinzu, daß Nebel herrschte. Continue reading „»Alles klar auf der ›Andrea Doria!«“
Ein deutscher Sonderweg
Der deutsche Föderalismus reicht bis zur Ausstellung der Goldenen Bulle vor 650 Jahren zurück
Von Manuel Ruoff
Um die Westbindung der Bundesrepublik Deutschland voranzutreiben, wurde die Theorie vom unsäglichen „deutschen Sonderweg“ entwickelt, den es ein für allemal zu verlassen gelte, wobei der statt dessen zu beschreitende westliche Weg wie selbstverständlich als normal vorausgesetzt wird. Die für Deutschland tatsächlich charakteristische Tradition der Zersplitterung, der Uneinigkeit und des Föderalismus, die dazu führte, daß das Land im Gegensatz zu seinen westlichen Nachbarn erst verspätet einen Nationalstaat erhielt, wird dabei allerdings nicht als Bestandteil des „deutschen Sonderweges“ beklagt. Das ist bemerkenswert, aber auch verständlich, denn während die gerne kritisierte deutsche Tradition, als Brücke und Mittler zwischen Ost und West eine eigene Position zu beziehen, statt sich wie die Bundesrepublik in den Westen zu integrieren, nicht dem Willen der an einer deutschen Westbindung interessierten Westmächte entspricht, gereichte der deutsche Föderalismus den westlichen Großmächten des öfteren zum Vorteil. Man denke nur an den Dreißigjährigen Krieg, den preußisch-österreichischen Dualismus oder die deutsche Kleinstaaterei.
Insofern ist es auch verständlich, daß die westlichen Besatzungsmächte dem Föderalismus durch die Väter und Mütter des Grundgesetzes Verfassungsrang geben ließen. So heißt es in Artikel 20: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein … Bundesstaat.“ Um zu verhindern, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik die entsprechenden föderalistischen Passus ihres Grundgesetzes streicht, um diesen deutschen Sonderweg zu beenden, heißt es sicherheitshalber in Artikel 79, Absatz 3: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ Bis zur Wiedervereinigung bestand noch die Möglichkeit, daß die Deutschen das föderalistische Grundgesetz durch eine zentralistischere Verfassung nach dem Vorbild der sonst so gerne als vorbildlich dargestellten westeuropäischen Nationalstaaten ersetzt, doch ist dem Grundgesetz durch Änderung seiner Präambel sein provisorischer Charakter inzwischen genommen. Damit ist der Fortbestand des deutschen Föderalismus festgeschrieben. Continue reading „Ein deutscher Sonderweg“
Unselig war der Zwist, nicht der Kompromiß
Weimars Nebeneinander von Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot war bei aller berechtigten Kritik im Detail besser als sein Ruf
Von Manuel Ruoff
Landauf landab heißt es, daß der Kompromiß dem Wesen der Demokratie eigen sei und daß bei einem fairen Kompromiß beide Seiten zurückstecken müßten. Bei der Beurteilung, um nicht zu sagen: Verurteilung, des Weimarer Flaggenkompromisses scheinen diese Kriterien jedoch nicht zu gelten. Natürlich war die Spaltung des deutschen Volkes in Anhänger von Schwarz-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold unselig – so wie es für die Deutschen auch ein Dilemma ist, daß sie in Protestanten und Katholiken gespalten sind. Vor diesem Hintergrund käme jedoch kein pluralistischer Demokrat auf die Idee zu fordern, daß die Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland einheitlich protestantisch oder katholisch zu sein hätten. Auf die Idee kämen wohl nur kompromißlose Anhänger der protestantischen oder katholischen Lehre. Kompromißlose Anhänger von Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot sind es denn auch, welche das veröffentlichte Bild vom Weimarer Flaggenkompromiß in der Weimarer Zeit prägten und bis heute prägen. Beide Seiten sind sich dabei nicht nur in der Verurteilung des Kompromisses einig, sondern auch in ihrem wohlfeilen Rat, daß eine Einheitsflagge die bessere Alternative gewesen wäre. Nur in der Frage, ob diese Einheitsflagge nun schwarzrotgold oder schwarzweißrot sein sollte beziehungsweise hätte sein sollen, unterscheiden sich diese Flaggenkompromiß-Kritiker bemerkenswerterweise. Daß bei einer solchen schwarzrotgoldenen oder schwarzweißroten Einheitsflagge ein Großteil des Volkes ausgegrenzt und dem ohnehin labilen Staate entfremdet worden wäre, bleibt dabei unerörtert.
Dabei hätte eine Einheitsflagge nicht automatisch ausgrenzend wirken müssen, wenn sie denn selber ein Kompromiß gewesen wäre. Möglicherweise hätte Schwarz-Weiß-Rot-Gold eine derartige Kompromißlösung sein können. Ein Vierfarb wäre in dem von zwei- und dreifarbigen Flaggen geprägten Europa zwar ungewöhnlich gewesen, doch hätte er einen nicht unwichtigen Vorteil besessen. Sowohl die Anhänger von Schwarz-Rot-Gold als auch jene von Schwarz-Weiß-Rot hätten in ihm ihre Farben wiedergefunden. Im Idealfalle hätten die Schwarz-Rot-Goldenen in dem Vierfarb ihre Trikolore mit einem weißen Streifen zwischen dem schwarzen und dem roten und die Schwarz-Weiß-Roten in ihm ihren Dreifarb mit einem zusätzlichen goldenen Streifen unter dem roten gesehen. Continue reading „Unselig war der Zwist, nicht der Kompromiß“
Als die Sonne aufging
Vor 130 Jahren kam Margaretha Zelle zur Welt, die als Mata Hari in die Geschichte einging
Von Manuel Ruoff
Mata Hari wird als Margaretha Geertruida Zelle am 7. August 1876 in der niederländischen Stadt Leeuwarden geboren. Ihren Hang zum Schein und dazu, über ihre Verhältnisse zu leben, hat sie von ihrem Vater, dem Hutmacher Adam Zelle, dessen einzige Tochter sie ist. Bereits als Kind verhält sie sich wie eine Diva und schon gegenüber ihren Mitschülerinnen im Pensionat konstruiert sie für sich eine Herkunft und Biographie, die ungleich glamouröser und exotischer war als die wahre.
1891 stirbt ihre Mutter Antje Zeller, geborene van der Meulen, und ihr Vater geht bankrott. Fortan fehlt es dem Mädchen an einer rechten Bezugsperson. Sie lebt nacheinander bei verschiedenen Verwandten. Insofern kann es nicht wundern, daß sie früh heiratet. Sie reagiert auf eine Heiratsanzeige. Am 11. Juli 1895 heiratet sie den niederländischen Kolonialoffizier Campbell Rudolph (John) Mac Leod. An dem 20 Jahre Älteren fasziniert sie wohl nicht zuletzt seine Offiziersuniform. Ihr Faible für Uniformträger wird die Frau ihr Leben lang behalten, was sie im Ersten Weltkrieg dem Vorwurf aussetzen wird, es als Spionin gezielt auf militärische Geheimnisträger abgesehen zu haben.
Am 30. Januar 1896, also nach damaligen Moralvorstellungen über zwei Monate zu früh, kommt ihr erstes Kind Norman John zur Welt. Im darauffolgenden Jahr zieht die kleine Familie des Kolonialoffiziers nach Niederländisch-Indien. Dort wird am 2. Mai 1898 die Tochter Luisa Johanna geboren. Im darauffolgenden Jahr werden die Kinder Opfer eines Giftanschlages einer Hausdienerin, die sich dafür rächen will, daß der Hausherr ihren Liebhaber bestraft hat. Der Junge überlebt den Anschlag nicht. Er stirbt am 28. Juni 1899. An diesem Schicksalsschlag zerbricht die Ehe. 1902 wird sie geschieden.
Es zieht die ebenso mittellose wie selbstsichere Geschiedene in das vergnügungssüchtige Paris. Hier versucht sie, sich als Modell durchzuschlagen, aber ohne Erfolg. Enttäuscht zieht sie sich in ihre niederländische Heimat zurück. 1904 versucht sie ein zweites Mal einen künstlerischen Durchbruch in Paris, und diesmal ist sie erfolgreich. Sie gibt sich eine exotische Biographie. Continue reading „Als die Sonne aufging“
Kann das Reich Vorbild sein?
Vor 200 Jahren legte Franz II. die Kaiserkrone des Sacrum Imperium nieder
Von Manuel Ruoff
Kann das Heilige Römische Reich uns Vorbild sein? Bezüglich seines Zustandes vor nunmehr 200 Jahren bei der Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. läßt sich diese Frage mit Nein beantworten. Damals war das Sacrum Imperium nur noch ein Schatten seiner selbst. Dem ersten Kaiserreich (von 962) erging es im Grunde ähnlich wie dem zweiten (von 1871). Als es aufgelöst wurde, gab es fast niemanden, der sich für es stark machte. Der Nachfolger aber wurde von den Zeitgenossen als derart unbefriedigend empfunden, daß eine Sehnsucht nach der romantisch verklärten „guten alten Zeit“ von Kaiser und Reich aufkam. Die Zeiten von Franz II. wünschte sich dabei kaum einer herbei. Der Blick ging weiter zurück bis in die Zeit vor preußisch-österreichischem Dualismus und Glaubensspaltung, nämlich ins Mittelalter, als – so die historisch begründete, aber übertriebene Meinung – der Kaiser stark und das Reich einig war. In dieser Zeit der Romantik erlebt die Kyffhäusersage eine Renaissance. Zum Idealtypus eines Herrschers wird Kaiser Barbarossa, der im Hochmittelalter regierte und an dessen Tod im Jahre 1190 der Anfang vom Ende festgemacht wurde.
Wie groß die Sehnsucht nach Kaiser und Reich war, zeigt die 48er Revolution. Obwohl es sich hierbei um eine bürgerliche, liberal-demokratische Erhebung handelte, wünschte doch nur eine Minderheit eine Republik, während die Mehrheit ein Anknüpfen an die Reichstradition einschließlich Kaiser wollte.
Die Anhänger des Reichsgedankens fanden sich vor allem im traditionell eher liberal geprägten deutschen Süden. Die Preußen hingegen, von denen die Deutschen schließlich ihr zweites Reich erhielten, standen dem Reichsgedanken ungleich gespaltener gegenüber. So war 1871 bei den Preußen durchaus umstritten, ob der unter ihrer Führung geschaffene neue Staat ein kleindeutsches Reich oder nicht vielmehr ein Großpreußen sein sollte. Die Altpreußen störte am Heiligen Römischen Reich, daß es österreichisch und katholisch geprägt war, während der neue Staat Continue reading „Kann das Reich Vorbild sein?“