Von Uta Buhr
Endlich wieder ein Klassiker auf der Bühne an der Mundsburg! George Bernhard Shaws geistreiche Komödien kamen von jeher beim Publikum des English Theatre gut an. Man denke nur an die von der Presse hoch gelobte Inszenierung von „Mrs. Warren’s Profession“ vor einigen Jahren. Der Autor schrieb „Candida“ 1895, kurz nachdem er seine spätere Ehefrau Charlotte Payne-Townshend kennengelernt hatte. Vielleicht war es die Liebe zu der Gleichgesinnten – Charlotte war wie Shaw Mitglied der Fabian Society – die den sonst gnadenlosen Satiriker so ungewohnt moderate Töne anschlagen ließ. In „Candida“ verherrlicht Shaw die Frau, weil ihre Güte, Liebe und Klugheit den Mann ergänzen. „Candida“ ist ein Geniestreich des Komödienschreibers Shaw. Der Autor verfeinert die uralten Stilmittel des Theaters so raffiniert, dass sie sich ganz selbstverständlich ergeben und nie banal oder gar plump wirken. Das Stück gehört in die Kategorie von Shaws „plays pleasant.“ Es erlebte im Jahre 1904 seine Uraufführung im renommierten Londoner Royal Court Theatre und wurde vom Publikum begeistert aufgenommen.
Ort der Handlung ist das Haus des Pfarrers James Morell im Südosten Londons.
Ein großer Kamin, über dem ein kitschiges Heiligenbild prangt, wild gemusterte Tapeten und verschnörkeltes Mobiliar spiegeln die viktorianische Epoche bis ins Detail wider.
Im ersten Akt erwartet der viel beschäftigte, sozialistisch angehauchte Kirchenmann (elegant Richard Ings) die Rückkehr seiner Frau von einem Aufenthalt in der Provinz. Der unangekündigte Besuch des Schwiegervaters Burgess, eines wichtigtuerischen Parvenus (mit leichtem Cockney-Akzent gewitzt dargestellt von Tony Stansfield) führt zu Auseinandersetzungen über soziale Themen. Candida, die schöne Ehefrau des Pfarrers (vital Holly Smith) betritt in Begleitung des verträumten Dichters Eugene Marchbanks (schwärmerisch Henry Profitt) den Raum. Zum Erstaunen aller legt der
unverstandene Sohn aus bester Familie seine Schüchternheit ab und erklärt, dass er Candida liebt und den Ehemann, diesen in seine inhaltlosen Phrasen verliebten Menschen, als ihrer nicht würdig befindet. Als Burgess sich einmischt, eskaliert der Streit. Unbeirrt von dem Chaos um sie herum klappert Morells Sekretärin Miss Prossy (herrlich schnippisch dargestellt von Claire Andreadis) auf ihrer Schreibmaschine.
In Akt 2 philosophiert Marchbanks mit Prossy über die Liebe. Prossy verrät ihm, dass alle weiblichen Wesen im Umkreis von St. Dominic’s Parsonage in den smarten Geistlichen verliebt sind. Marchbanks zeigt sich empört darüber, dass seine angebetete Candida von ihrem Ehemann für so banale Tätigkeiten wie die Führung des Haushalts missbraucht wird. Aber Candida holt ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Auch Morell bleibt nicht ungeschoren. Seine Bemühungen um das Wohl der Menschheit seien zwar lobenswert, aber völlig nutzlos, erklärt sie ungerührt. Denn ihm, dem wortgewaltigen Redner, gehe es in erster Linie um die Wirkung auf sein Publikum. Der Dialog wird jäh von Burgess unterbrochen, der Morell zu einer Versammlung abholt, auf der sie beide erwartet werden.
Akt 3 beginnt mit einer Dichterlesung. Marchbanks versucht Candida mit seiner Lyrik zu beeindrucken. Als Morell auf der Bildfläche erscheint, entbrennt der Streit zwischen den beiden Männern erneut. Und wieder gelingt es dem erst achtzehnjährigen Spund, den Pfarrer an sich selbst zweifeln zu lassen. Es kommt sogar zu Handgreiflichkeiten. Candida stellt sich auf die Seite ihres Mannes und erklärt sich als seine Beschützerin. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern ist prächtig gezeichnet. Sie gipfelt darin, dass Candida gewissermaßen versteigert wird. Morell versucht den „Zuschlag“ zu erhalten, indem er seine Arbeit, sein gesellschaftliches Ansehen und seine Tüchtigkeit herauskehrt.
Marchbanks hingegen versucht, seine Angebetete mit seiner Hilflosigkeit und Schwäche für sich einzunehmen. „Das ist ein gutes Angebot, Eugene“, erklärt Candida. „Jetzt weiß ich, wie ich meine Wahl zu treffen habe. Ich gebe mich dem Schwächeren von beiden.“ Morell glaubt, verloren zu haben, während Marchbanks Candidas Worte richtig einschätzt. Morell geht aus diesem Wettbewerb eindeutig als der Schwächere hervor. Denn er ist unfähig, ohne Candida zu leben. Trotz seines sozialen Status und seiner Männlichkeit ist er auf die Frau an seiner Seite angewiesen. Der Dichter Marchbanks hingegen ist sich selbst genug. Schwärmerisch entsagend geht er und lässt das versöhnte Ehepaar allein zurück. Vorhang
Fazit: Ein souverän auftretetendes Ensemble aus Großbritannien, glänzend geführt von Regisseur Philip Dart, erfreute die Zuschauer bis zur letzten Minute mit seiner Spielfreude.
Der Autor
Zu Lebzeiten war George Bernhard Shaw – besser bekannt unter dem Kürzel JBS – ein wahres enfant terrible. 1856 im irischen Dublin geboren, siedelte er bereits in jungen Jahren nach London über und begann seine Karriere mit Romanen, die allerdings wenig Anklang fanden. Das Theater erwies sich schnell als sein Medium. Auf der Bühne feierte er einen Erfolg nach dem anderen. Als bekennender Sozialist mit marxistischer Ausrichtung war er manchem traditionsbewussten Briten ein Dorn im Auge, was ihn jedoch nicht störte. Wie sein nicht minder berühmter Landsmann Oscar Wilde war er der Meinung, dass England ohne die dichterischen Importe von der grünen Insel kulturelles Brachland sei. Im Laufe seines langen Lebens – immerhin erreichte der asketische Mann das biblische Alter von 94 Jahren – schrieb er eine Fülle großartiger Theaterstücke, die bis heute nichts von ihrem Reiz verloren haben. Seine Komödie „Pygmalion“ diente Frederic Loewe und Alan J. Lerner als Vorlage für das Musical „My Fair Lady“, das später mit Audrey Hepburn und Rex Harrison in den Hauptrollen verfilmt wurde. Die schwedische Akademie adelte den Politiker, Satiriker, Musikkritiker und Pazifisten 1925 mit dem Nobelpreis für Literatur. Und 1939 wurde ihm der Oscar für das beste adaptierte Drehbuch verliehen. Mehr geht wirklich nicht – Chapeau!
„Candida“ läuft bis einschließlich 11. April 2015 – Karten unter der Telefonnummer 040 -27 70 89 oder online unter www.english-theatre.de
Nächste Premiere am 23. April 2015 des Musical Thrillers „Thrill Me” von Stephen Dolginoff
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