Von Uta Buhr
„BIG BOYS“ DAS NEUE STÜCK VON RICH ORLOFF AM ENGLISH THEATRE OF HAMBURG
„Big Boys and Big Business“, müsste dieses Stück aus der Feder Rich Orloffs eigentlich heißen. Denn um nichts Geringeres als große und sehr profitable Geschäfte ohne Rücksicht auf Verluste geht es in dieser Komödie. Die auf der Bühne des TET agierenden „großen Jungs“ in dem Zwei-Personenstück könnten unterschiedlicher nicht sein. Der bullige Victor Burlington entspricht rein äußerlich einem schweren Jungen, der bereits einiges auf dem Kerbholz hat, während der schmächtige Norman Waterbury eher einem Leichtmatrosen ähnelt. Beide Männer treffen in einem gediegen mit schweren Eichenmöbeln ausgestatteten Büro hoch über den Dächern einer amerikanischen Großstadt – vermutlich der Megacity New York – zusammen, Victor als der Big Boss und Norman als Bewerber um den Posten als Assistent der Geschäftsleitung. Statt eines der Umgebung angemessenen professionellen Gesprächs attackiert und kujoniert der sich als Herr über Leben und Tod gerierende Victor – nomen est omen – das „green horn“ Norman vom ersten Augenblick an. Victor überrumpelt sein ahnungsloses Gegenüber mit Beleidigungen und verpasst ihm zu allem Überfluss noch den lächerlichen Namen Gustav. Um es vorweg zu nehmen: Eine richtige Handlung hat „Big Boys“ nicht. Das Stück lebt vielmehr von schnellen Dialogen, Kalauern, unter die Gürtellinie gehenden Wortspielen und Zungenbrechern, die – in memoriam Loriot – gelegentlich an Evelyn Hamanns Aufzählung der langen Namen des Adelsgeschlechts derer von Hesketh-Fortescue auf North Cothelstone Hall erinnern.
Die in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts angesiedelte Komödie ist derweil brandaktuell. Hier dreht sich alles – wenn auch etwas klischeehaft und häufig bis zum Extrem gesteigert – um ein Thema, das so alt ist wie die Menschheit: Gier nach Macht und Besitz und Dominanzstreben der Mächtigen über die weniger Privilegierten. Victor, der skrupellose Boss, treibt sein böses Spiel mit Norman, dem jungen Idealisten, der die Welt durch Fairplay in einen besseren Ort verwandeln möchte. Plan X, der diese humanitären Ziele beinhaltet, wird von Victor gnadenlos verrissen und dorthin befördert, wohin er seiner Meinung nach gehört – in den Papierkorb. Völlig verschüchtert steht Norman dem mächtigen Tycoon eines Unternehmens gegenüber, von dem der Chef – geschweige denn der Zuschauer – bis zum Schluss weiß, was hier produziert oder verkauft wird. Selbst Victor, der Big Boss und Inhaber, ist sich nicht ganz sicher, wie sein „Laden“ eigentlich heißt. Der ging einst vom Vater auf den Sohn… Als ob der Name von irgendwelcher Relevanz wäre, findet Victor. Hauptsache die Kasse stimmt, auch wenn die gigantischen Umsätze nur mit List, Lug und Trug realisiert werden können. Hatte Charles Darwin nicht recht mit seiner These, dass im Dschungel des Lebens nur die Fähigsten überleben? In seiner Machtzentrale hinter einem protzigen Schreibtisch thronend – in der riesigen Fensterfront hinter seinem Chefsessel spiegelt sich die Silhouette hoch aufstrebender Wolkenkratzer – doziert Konzernchef Victor Burlington über seine Menschen verachtende Philosophie. Fairer Handel, saubere Umwelt oder ein humanes Miteinander? Empathie für die Armen und Bedürftigen? Alles bullshit. Nur Erfolg und Profit zählen. Der Zweck heiligt jedes Mittel!
Norman ist dem bis ins Mark rücksichtslosen Victor völlig ausgeliefert, und der genießt seine Überlegenheit in vollen Zügen. Der Dialog zwischen den beiden Protagonisten nimmt zuweilen skurrile, ja surreale Züge an. Er gipfelt in Victors Forderung, seine „Kronjuwelen“ mit denen seines Bewerbers zu vergleichen. Ein Zollstock beweist, dass Victor den „Längeren“ hat. Wie hätte es auch anders sein können. Denn ein Erfolgsmensch wie Victor verliert eben nie. Normans kaufmännische Fähigkeiten spielen bei diesem Vorstellungsgespräch nicht die geringste Rolle. Auch über die sexuellen Aktivitäten seines Bewerbers will Victor informiert werden. „Wann haben Sie denn das letzte Mal eine Frau flachgelegt, Gustav“, fragt er den sich vor Peinlichkeit windenden Norman.
Die Angriffe Victors auf Normans Integrität werden immer heftiger, und die Bühne verwandelt sich im Laufe der Handlung in einen Hexenkessel. Nachdem die Akteure ausgiebig gebrüllt und mit den Türen geknallt haben, kommt es sogar zu Handgreiflichkeiten. Auch mit Verbalinjurien und Fäkalausdrücken wird nicht gespart. Dennoch gleitet das Stück in keiner Szene ins Vulgäre ab. Die Spielfreude der beiden Akteure – hervorragend Alan Booty als Victor und James Groom als Norman – und ihre einzigartige Sprachdisziplin machen manche Schwäche und Plattitüde des Stücks vergessen.
Diese temperamentvolle Komödie birgt auch eine Moral. Der Schlagabtausch zwischen den beiden Kontrahenten hat am Ende doch noch sein Gutes. Norman steckt die Beleidigungen seines Chefs souverän weg und trickst diesen zum Schluss noch mit seinen eigenen Mitteln aus. Der gelehrige Schüler hat seine Lektion gelernt und nimmt als Nachfolger Victors die Geschicke des Unternehmens in seine Hände. Allerdings mit der festen Absicht, diesem ein humaneres Gesicht zu verleihen und in Zukunft sowohl Menschenrechte zu achten als auch die Umwelt zu schonen…Wie sagte doch schon Dante: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“
Das Publikum im voll besetzten Theater zeigte sich begeistert von dem fetzigen Zwei-Personen-Stück und feierte die beiden Darsteller mit anhaltendem Applaus. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, dieser routiniert von Clifford Dean inszenierten Komödie einen großen Erfolg zu prophezeien. „Big Boys“ hat zweifellos das Zeug für einen neuen Blockbuster an der Mundsburg.
Rich Orloff, einer der populärsten zeitgenössischen Stückeschreiber Amerikas, ist für die radikale Überziehung seiner in vielen Theaterstücken – zumeist Komödien – behandelten Sujets bekannt. Er liebt es, die Zuschauer mit der Nase auf drängende Probleme zu stoßen. Dennoch – und dies erstaunt angesichts der großen Erfolge seiner Stücke – ist dieser Autor namentlich in den USA weitgehend unbekannt! Als „Theater mit Herz und Verstand“ bezeichnete die Los Angeles Times in einer Rezension sein Werk. Und die New York Times bescheinigte Orloff einen „ungeheuren Einfallsreichtum.“ Der Autor blickt auf eine Reihe von der amerikanischen Presse hoch gelobter Stücke zurück, darunter „Advanced Chemistry“ und „Chatting with the Tea Party.“ Mit Enthusiasmus wurde seine 1997 uraufgeführte Komödie „Big Boys“ in den Vereinigten Staaten aufgenommen.
„Big Boys“ läuft bis einschließlich 29. Juni 2013. Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 und online unter www.englishtheatre.de
Das English Theatre of Hamburg meldet sich im September aus den Theaterferien mit einer neuen Premiere zurück. Der Titel ist uns bislang nicht bekannt. Wir werden unsere Leser wie üblich an dieser Stelle rechtzeitig über das neue Stück informieren.
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