Von Dr. Manuel Ruoff
August Neidhardt von Gneisenau zählt mit Gerhard von Scharnhorst, dessen Nachfolge er nach dessen Tod in der Blücher-Armee antrat, zu den bedeutendsten Militärreformern Preußens. Untrennbar ist sein Wirken mit Napoleon verbunden, dessen Bezwinger er schließlich wurde.
Das Leben des am 27. Oktober 1760 in Schildau Geborenen ist abenteuerlich, aber unspektakulär. Der gebürtige Sachse ergriff den Beruf seines Vaters und erreichte 1786 sein Ziel, in die seinerzeit ruhmreichste Armee aufgenommen zu werden.
Nach dem Ausbruch des Vierten Koalitionskrieges 1806 nahm Gneisenau unter Prinz Louis Ferdinand am Gefecht bei Saalfeld und unter Ernst von Rüchel an der Schlacht von Jena teil. Von Rüchel protegiert, übernahm er 1807 die Verteidigung der Festung Kolberg. Während Preußens Generalität noch in den Kategorien des Kabinettskrieges dachte, bediente sich Gneisenau mit Hilfe des Bürgerrepräsentanten Joachim Nettelbeck bereits in Ansätzen der Methoden des modernen Volkskrieges. Und er war damit erfolgreich. Während andere preußische Festungen kampflos übergeben wurden, konnte Kolberg bis zum preußisch-französischen Waffenstillstand gehalten werden.
Zu Preußens Glück wurde Gneisenaus Erfolg mit seinen neuen Methoden anerkannt und er in die für die preußische Heeresreform entscheidenden Gremien berufen. Die Militär-Reorganisationskommission gehörte dazu ebenso wie die Kommission zur Untersuchung der Ereignisse während des Feldzugs 1806/07 und die Kommission zur Ausarbeitung eines neuen Exerzierreglements. Hier setzte sich Gneisenau nach französischem Vorbild für die Levée en masse, die Volkserhebung ein. Dazu gehörten asymmetrische Kriegsführung, gefechtsnahe Ausbildung, Totalisierung des Krieges, Leistungsprinzip, Abschaffung der Prügelstrafe und – auch im wörtlichen Sinne – das Abschneiden alter Zöpfe.
Außer als Militärreformer schrieb Gneisenau auch als Bezwinger Napoleons Geschichte. Nach dem Tode Scharnhorsts 1813 führte er den Generalstab Gebhard Leberecht von Blüchers. Als sich nach Bonapartes Rückkehr von Elba in der Schlacht von Ligny dessen Sieg abzeichnete, fasste Gneisenau in Vertretung Blüchers die folgenschwere Entscheidung, sich Richtung Norden zurückzuziehen. So waren die Preußen am Platze, als Arthur Wellesley, 1.
Duke of Wellington, in der Schlacht bei Belle-Alliance sprach: „Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen.“ Die Preußen entschieden durch ihr rechtzeitiges Eingreifen nicht nur diese Schlacht, sondern besiegelten auch das Schicksal des ersten Kaisers der Franzosen. Denn während Wellingtons Truppen sich von den Schlachtstrapazen erholten, setzten Gneisenaus vergleichsweise frische Truppen den französischen nach und rieben sie auf.
„Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“ Gerade wegen seiner fortschrittlichen Ideen, die zur Befreiung Deutschlands beigetragen hatten, wurde Gneisenau im anschließenden Zeitalter der Restauration und Reaktion kaltgestellt. Zwar hoch geehrt, aber nicht mehr entsprechend seinen Fähigkeiten eingesetzt, starb er am 23. August 1831 an einer Krankheit, von der er wenige Monate vorher noch gemeint hatte: „Ich meinerseits halte die Cholera weder für so ansteckend noch für so gefährlich.“