Von Dr. Manuel Ruoff
Vor 150 Jahren legte Wilhelm I. den Grundstein für das Rote Rathaus in seiner Residenzstadt Berlin
Der mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert einhergehende Urbanisierungsprozess führte zu einem Anwachsen der Großstädte einschließlich Berlins. So kam auch in Preußens Hauptstadt der Wunsch nach einem neuen, größeren Rathaus auf. Vier Jahre nach der Grundsteinlegung konnte der Magistrat und noch einmal viereinhalb Jahre später dann auch die Stadtverordnetenversammlung das neue Domizil beziehen.
Systematisch wurden für die Vorbereitung des Neubaus Nachbargrundstücke des vorhandenen Rathauses aufgekauft. So stand schließlich ein von Königstraße (heute Gustav-Böß-Straße), Spandauer Straße, Jüdenstraße und Nagelgasse umrahmtes Areal zur Verfügung.
Wie bei anderen großen öffentlichen Bauvorhaben jener Zeit entschloss man sich auch in diesem Fall für den Weg eines öffentlichen Wettbewerbs. Am 16. Februar 1857 veröffentlichte die städtische Baudeputation in der „Zeitschrift für Bauwesen“ das „Programm nebst Aufforderung zur Einreichung von Entwürfen für ein neues Rathaus in Berlin“. Für die Bebauung der zur Verfügung stehenden rund 64000 Quadratfuß (etwa 6500 Quadratmeter) sollten sowohl Vorschläge mit als auch ohne Geschäfte im Erdgeschoss eingereicht werden. Annahmeschluss war der 1. Mai 1858.
18 Entwürfe gingen ein. Sie wurden vom 14. bis 22. Mai 1858 in der Königlichen Akademie der Künste am Pariser Platz ausgestellt. Nachdem die interessierte Öffentlichkeit sich unvoreingenommen ein Urteil hatte bilden können, fällte die Technische Deputation ihre Entscheidung. Den Wettbewerb um den besten Entwurf mit Geschäften gewannen der spätere Erbauer des Wiener Rathauses Friedrich Wilhelm von Schmidt und der Berliner Baumeister August Wilhelm Strauch. Als bester Entwurf ohne Ladenzeile wurde jener von Friedrich Adler prämiert.
Am 2. April 1859 tagte eine 21-köpfige aus Stadtbauräten, Stadträten und Stadtverordneten zusammengesetzte Gemischte Deputation des Magistrats und wurde sich schnell einig, dass die prämierten Entwürfe nicht für die Verwirklichung taugen. Als Alternative wurde vorgeschlagen, einen „tüchtigen und bewährten Baumeister“ mit der Leitung und Ausführung des Rathausbaus zu beauftragen und diesem klare Vorgaben zu machen. Wer dieser „tüchtige und bewährte Baumeister“ sein sollte, dafür machte die Deputation keinen Vorschlag, aber dafür für die Vorgaben. Die Deputierten sprachen sich für einen geschlossenen Vierecksbau innerhalb der vorgegebenen Straßen aus mit der Hauptfront zur Königstraße. Ein großer und zwei kleinere Innenhöfe sollten für eine gute Belichtung der Korridore sorgen. Eine Durchfahrt im Inneren des Blockes sollte Spandauer und Jüdenstraße verbinden. Und wenn es sich auch in Kontrast zum Stadtschloss der Hohenzollern um einen modernen Bau im „neuen Style“ handeln sollte, so wollte man doch auf den traditionellen Ratsweinkeller nicht verzichten.
Neben Hermann Friedrich Waesemann wurden Theodor Stein, Friedrich Hitzig, Heinrich Bürde, Eduard Knoblauch und Friedrich Adler aufgefordert, sich um die Leitung und Ausführung des Baus zu bewerben. Die Wahl des Magistrats fiel schließlich auf Waeseman. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass der Auserwählte „sich bereits durch mehrere Bauten einen Ruf erworben hatte und zu der Hoffnung berechtigte, dass er ein hervorragendes Monument für die Stadt werde entwerfen und ausführen können“. Am 16. Mai 1859 handelte die Magistratsverwaltung mit Waesemann einen entsprechenden Arbeitsvertrag aus, der zehn Tage später von der Stadtverordnetenversammlung abgesegnet wurde.
Entsprechend dem Vertrag legte Waesemann bis zum 1. November „Skizzen zu den Grundrissen und Fassaden“ vor. In seinem Erläuterungsbericht beklagte Waesemann, dass „die Breite der Königstraße mit 67 Fuß (etwa 63 Metern) so gering ist, daß die Architektur des neuen Gebäudes nicht zur vollen Geltung gelangen kann, da die Straße bei dieser Breite keinen günstigen Standpunkt zur Beschauung des Bauwerkes darbietet“. Eine Verbreiterung der Königstraße auf Kosten des für das Rathaus vorgesehenen Areals hätte entweder eine Verkleinerung des projektierten Baus zur Folge gehabt oder aber eine Verschiebung des Gebäudes nach hinten Richtung Süden auf Kosten der hinter dem Rathaus gelegenen Nagelgasse einschließlich deren Bebauung auf der anderen Straßenseite. Letztgenannte Lösung wurde gewählt. Am 10. Mai 1860 genehmigte die Stadtverordnetenversammlung den Erwerb der Grundstücke auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Nagelgasse. Die Gasse wurde überbaut und hinter dem Rathaus eine neue Straße angelegt, die Rathausstraße.
Am 1. April 1860 war mit dem Ausheben der Baugrube begonnen worden. Bereits drei Monate später wurden die Fundamente gelegt. Am 17. März 1861 wurden nach der Winterpause die Bauarbeiten wieder aufgenommen. Und am 11. Juni 1861 schließlich wurde der Grundstein gelegt. Die Bedeutung des Projektes spiegelt sich in der Einleitungsrede von Oberbürgermeister Heinrich Wilhelm Krausnick wider: „Es soll hier ein neues Rathaus entstehen, großartiger, umfangreicher als die bisherigen Rathäuser unserer Stadt und vielleicht auch der meisten anderen Städte, die sich sonst durch die Großartigkeit ihrer derartigen Bauwerke auszeichnen. Der Beschluss unserer Bürgerschaft zur Errichtung desselben in dem Umfange, wie es die Absicht ist zu schreiten, kann als der bedeutsamste erachtet werden, der seit dem ganzen Bestehen der Stadt je von der Bürgergemeinde gefasst ist.“ Am Stadtbaurat war es anschließend, die Aufgabe des alten Rathauses noch einmal zu begründen: „Das Bedürfnis hierzu war unabweisbar geworden, da voraussichtlich binnen weniger Jahre eine Vermehrung der Einwohner bis zu einer halben Million zu erwarten stand.“ Den Höhepunkt des Festaktes bildete dann der Hammerschlag des Königs und späteren Kaisers zu den Worten: „An Gottes Segen ist alles gelegen! Er spende ihn auch auf diesen Bau, dass derselbe eine Stätte altpreußischen Bürgersinnes und altpreußischer Bürgertugend werde!“