Als die Römer frech geworden … 200 Jahre Varusschlacht

Von Uta Buhr
Hermann oben
Nebelschwaden wabern über den Baumwipfeln des Teutoburger Waldes. Der erste Sonnenstrahl stiehlt sich durch die Wolkendecke und vergoldet die Tautropfen auf den Wiesen. Jubilierend schraubt sich eine Lerche in die Lüfte, dreht eine Runde und lässt sich schließlich auf Hermanns rechter Hand nieder, die das mächtige, sieben Meter lange Schwert hält. Eine friedliche Geste auf einem martialischen Denkmal. Plötzlich durchbricht ein mehrstimmiger Gesang die morgendliche Stille: „Als die Römer frech geworden simserim simsim simsim, zogen sie nach Deutschlands Norden. Vorne mit Trompetenschall ritt der Generalfeldmarschall täteterätä Herr Quinctilius Varus, wau wau wau in dem Teutoburger Walde. Huh – wie pfiff der Wind so kalte…“ Eine Wandergruppe tritt auf die Lichtung und schaut zu dem fast 54 Meter hohen Standbild des Cheruskerfürsten auf. Es wurde 1846 von einem gewissen Ernst von Bandel direkt vor Detmolds Haustür errichtet und beschert der Region jährlich über eine Million Besucher.  Iris Köllner, Leiterin der Tourist Information Detmold, geht davon aus, dass sich anlässlich der  Zweitausendjahrfeier zur Varusschlacht  diese Zahl noch erhöhen wird.

Hermann JähneGerade ist eine Schulklasse aus dem benachbarten Paderborn eingetroffen. Laut schreiend erklimmen die Kids die Stufen des Denkmals: „Geil“, finden einige. „Der sieht irgendwie aus wie Superman. Hermann_JähneMensch, hat der Muckis!“ Die beiden Fünfzehnjährigen mit den roten Baseballcaps schlagen sich auf den Bizeps. Ein blasser blonder Junge mit Brille wendet sich an den Klassenlehrer: „Herr Kruse, Hermann hieß doch damals Arminius, war der Sohn des Stammesfürsten der Cherusker und wurde am Hof von Kaiser Augustus ausgebildet.“ Der Lehrer freut sich sichtlich über seinen interessierten Schüler. “Wahrscheinlich wurde Arminius als Geisel von den Legionären mitgenommen. Damit war gesichert, dass der Stamm sich loyal verhielt. Du hast dich gut vorbereitet, Stefan.“ Der Dialog zwischen  Herrn Kruse und Stefan geht weiter, während die anderen Schüler Grimassen schneiden, sich schubsen und mit den Füßen im Sand scharren. „Mann, das is ja schon so lange her. Wer weiß denn da noch, was  so richtig los war“,  murrt ein Schüler und trifft mit dieser schnodderigen Bemerkung genau den Punkt. Nur eines ist sicher.Student mit Zwermann Die legendäre Schlacht gegen das Heer des römischen Oberbefehlshabers  Publius Quinctilius Varus hat an dieser Stelle nicht stattgefunden. In der Erde des Teutoburger Waldes, der bis ins späte 17. Jahrhundert  Osning  hieß, fanden sich keinerlei Spuren einer Kampfhandlung. „Dennoch, der Mythos lebt, und Lippe-Detmold fühlt sich immer noch als die Heimat des Arminius-Hermann und seiner Mannen“, erklärt Iris Köllner.  Und der Chef der Adelsfamilie derer zur Lippe, Fürstl. Residenzschloss DT_Fontänedie bis heute in ihrem Stammschloss zu Detmold lebt, heißt sinnigerweise Armin. Als Erinnerung an das Jahr 9 nach Christus   hat ein findiger Kopf den „Zwermann“ kreiert, ein knapp 25 cm hohes Männlein mit Plastikschschwert, das den germanischen Recken auf Zwergenformat reduziert. Viele lieben die Figur mit den himmelblauen Augen, auf dessen blutroter Toga die lippische Rose prangt. Mancher  Student stellt ihn auf dem Lenker seines Fahrrades zur Schau.

Detmold, die wohl anmutigste Stadt im Lippischen, glänzt mit der Ausstellung „Hermann – Mythos und Denkmal.“ Am 16. Mai geht es los, verkündet Katrin Winter vom Lippischen Landesmuseum, und am 25. Oktober ist Schluss. Zahlreiche Exponate werden noch aus Italien und England erwartet, darunter die lebensgroße Statue von Thusnelda, die um ihren toten Gatten trauernde Witwe Hermanns. „Lauter ZwermännerLeider nur eine Kopie – aber immerhin“, freut sich Frau Winter. Die „Annalen“ des römischen Geschichtsschreibers Tacitus sowie archäologische Funde  bilden die Grundlage für den sich in späteren Jahrhunderten entwickelnden Mythus um Arminius und seine germanischen Mitstreiter. Hermann, der „Mann des Heeres“, wird schließlich von Luther und Ulrich von Hutten zum Gründungsvater der sich bildenden deutschen Nation erhoben. Eine Fülle von Veranstaltungen rund um die Legendenbildung ist geplant. Zwei richten sich speziell an Kinder. „Komm, wir lassen Mythen platzen“ und „Welch ein Barbarenleben“ nehmen den Mythos rund um die Schlacht sowie die Lebensgewohnheiten der vermeintlichen „Barbaren des Nordens“ kritisch unter die Lupe. Auch der Niederländer Herman van Veen ist mit dem „Geheimnis von Theofilius“ in das „große Fest für Frieden und Völkerverständigung in Kilian Wahren mit ZwermannEuropa“ eingebunden. Van Veens weise Eule hat sich ausgerechnet im Kopf des Hermannsdenkmals eingenistet. „Das bedeutet, dass der so streng guckende Hermann dadurch ein bisschen lustiger wird und keine Feinde mehr erschlägt“, mutmaßt die elfjährige Astrid.

Während Detmold den MYTHOS beleuchtet, geht es in  Bramsche-Kalkriese bei Osnabrück um den  KONFLIKT, der zwischen Germanen und Römern ausgetragen wurde. Experten sind überzeugt, dass hier eine gewaltige kriegerische Auseinandersetzung – wenn  nicht gar die Hauptschlacht – stattgefunden hat. 1987 stieß man  rein zufällig auf einen archäologischen  Schatz, der die Fachwelt in Erstaunen versetzte. Gefäße, Münzen,  Speerspitzen, Werkzeuge und allerlei Gebrauchsgegenstände wurden aus dem Erdreich geborgen. Das Prunkstück des „Museum und Park Kalkriese“ aber ist die versilberte Maske eines so genannten Gesichtshelmes, wie ihn römische Offiziere trugen.Landestheater Wir treten aus dem  Museum und inspizieren das Terrain, über dem sich ein bleigrauer Himmel wölbt. Es beginnt zu nieseln. Genauso, sagt mein Begleiter, muss es  im Jahre 9 gewesen sein, als Arminius das römische Heer in eine Falle lockte. „Dieses Wetter, Sümpfe und Dickicht haben die Römer fertig gemacht.“ Die Mitstreiter des Arminius stürzten sich von allen Seiten auf die Legionäre und machten sie nieder bis auf den letzten Mann. Heerführer Varus blieb nichts anderes übrig, als sich ins Schwert zu stürzen. „Quinctili Vare, legiones redde“, soll der verzweifelte Kaiser  Augustus ausgerufen haben, als die Kunde von der beschämenden Niederlage gegen die Barbaren nach Rom drang. Drei Legionen – etwa 20.000 Mann – eine gewaltige Zahl selbst für das mächtige Imperium romanum – sollen dabei ausgelöscht worden sein! Erinnerungen an lange zurückliegende Lateinstunden werden wach. Und da war doch noch die freche Übersetzung, mit der wir  unseren Lateinlehrer zur Verzweiflung brachten: „Varus, Varus, gib mir meine Lektionen zurück!“ Die Nachstellung der berühmten Schlacht auf dem Schulhof unter Studienrat Dr. Schmidt artete in eine saftige Prügelei aus. Da kämpfte jeder gegen jeden – ob Römer oder Germane – und eine Reihe von Linealen, die stellvertretend für  römische Kurzschwerter eingesetzt wurden, blieben auf der Strecke. Dr. Klaus Schafmeister, der das wissenschaftliche Hermann-Büro in Detmold leitet, lächelt milde bei dieser Erzählung: „In dem Schlachtengetümmel im Halbdunkel hat man wahrscheinlich auch nicht immer zwischen Freund und Feind unterscheiden können.“ Was genau geschah, bleibt ohnehin im Nebel der Geschichte, denn die uns überlieferten Schilderungen wurden erst hundert Jahre nach der Schlacht geschrieben.
Rathaus_Marktplatz
Auch die „Seestadthalle und LWL-Römermuseum“ in Haltern am See im südlichen Münsterland nimmt an den  Feierlichkeiten teil. Hier am heutigen Stausee der bei Haltern in die Lippe mündenden Stever befand sich vor zweitausend Jahren ein römisches Militärlager und Verwaltungszentrum. IMPERIUM heißt die Ausstellung, die vom 16. Mai bis 11. Oktober hochkarätige Exponate aus dem „Goldenen Zeitalter“ Roms zeigt und darstellt, wie Rom, das Dorf auf sieben Hügeln, sich allmählich zur Weltmacht entwickelte und auf dem Gipfel seiner Macht schließlich in Germanien scheiterte. Eine Sonderausstellung beschreibt das Leben der Legionäre fernab von Rom. Kostbare Funde  wie fein zisilierte Silberbecher, Schwerter, Münzen  und das Relief eines römischen Kriegsschiffes vermitteln einen Eindruck von der Prachtentfaltung der römischen Eroberer.

Über den 156 km langen Hermannsweg gelangen wir wieder nach Detmold, das im Volkslied als die Perle der Region besungen wird mit nur einem Soldaten in ihren Mauern. Das Fürstentum war in der Tat so winzig, dass ein einziger Wachsoldat mit geschultertem Vorderlader vollkommen ausreichte, um die Stadt zu schützen. In dieser Postkartenidylle  erholen wir uns von dem Kampfgetöse.  „Hermann  adieu“, sagt mein Begleiter. „den  Namen kann ich für’s erste nicht mehr hören.“ Wir besuchen das im Stil der Weserrenaissance erbaute Schloss. betrachten die von prächtigen Giebeln gekrönten Bürgerhäuser und unternehmen  Spazierwege durch lauschige Parks und stille Gassen.
In einem der urigen  Gasthäuser  stärken wir uns an westfälischem Schinken und Bier vom Fass. „Unser Bier ist das beste weit und breit“, verkündet der Wirt. „Nur schade, dass Hermann es nie kosten konnte.“

Anreise: Mit dem PkW – ab Hamburg A7, Richtung Süden, Ausfahrt 53 Hannover-Nord,
auf die A2 bis Ausfahrt Herford, dann auf die B239 Richtung Detmold
Mit der Bahn: Mit dem ICE bis Osnabrück, RE Osnabrück-Herford, RE  Herford-Detmold

Veranstaltungen: Detmold vom 30. – 31. Mai:  „Hermanntage“ – Junge Tenöre eröffnen die Waldbühne rund um das Hermannsdenkmal, 24. – 26. Juli: „Faszination Mythos“ –
Museum und Park Kalkriese 11. – 14. Juni: Römer- und Germanentage, 20. Juni: Arminius Oratorium von Max Bruch
Buchempfehlung: „Die Schlacht im Teutoburger Wald – Arminius, Varus und das römische Germanien“ von Reinhard Wolters, 253 Seiten, erschienen im  Verlag C.H. Beck,
Preis: Euro 18,90

Unterkunft: Hotel „Elisabeth“*** , sehr gepflegtes, zentral gelegenes Haus
Elisabethstraße 5-7, 32756 Detmold, Telefon 05231-94 88 20, E-Mail: info@elisabethhotel-detmold.de , www.elisabethhotel-detmold.de
Preise: EZ inkl. Frühstück ab Euro 68,–, DZ inkl. Frühstück  ab Euro 79,–

Auskunft: Tourist Information Lippe & Detmold, Rathaus am Markt, 32756 Detmold, Telefon 05231 – 62 10 20, E-Mail: hermann@lippe.de, www.land-des-hermann.de

Die drei Ausstellungen im Internet unter:  www.imperium-konflikt-mythos.de