Von Uta Buhr
THE ENGLISH THEATRE OF HAMBURG BRILLIERT MIT EINER NEUEN PREMIERE: GEORGE BERNHARD SHAWS „MRS WARREN´S PROFESSION“
(FRAU WARRENS GEWERBE)
Von Uta Buhr
Welch ein Skandal! „How shocking – really…” Das dürfte noch die mildeste Form der Kritik an George Bernhard Shaws Theaterstück „Frau Warrens Gewerbe” gewesen sein, das er im prüden England Anfang des 20. Jahrhunderts auf die Bühne brachte. Mit dem Gewerbe der Kitty Warren hatte der irische Autor ein ganz heißes Eisen angefasst, an dem er sich auch sogleich verbrannte. Denn sein Stück über Prostitution, die es im Vereinigten Königreich ja eigentlich gar nicht gab, wurde sofort vom ehrwürdigen Lord Chamberlain, seines Zeichens Theaterzensor Ihrer Majestät Königin Victoria, mit Acht und Bann belegt. Dennoch wurde das in typisch Shaw’sche beißend sarkastische Sozialkritik verpackte Drama – oder besser Gesellschaftstragikomödie – um die die kühl berechnende geschäftstüchtige Bordellbesitzerin später zu einem sensationellen Erfolg. Mit spitzer Feder spießt GBS, so das Kürzel des genialen Autors, die besonders in den ganz feinen Kreisen jener Zeit weit verbreitete Bigotterie, Heuchelei und Verlogenheit auf.
„O tempora o mores“, beklagte bereits Marcus Tullius Cicero um das Jahr 60 vor Christus den Verfall der Sitten im kaiserlichen Rom. Nichts Neues also, dass die Altvorderen sich stets über die Sittenlosigkeit und schlechten Manieren der jüngeren Generation moralisch entrüsten. Die Geschichte der Kitty Warren scheint aus heutiger Sicht eher profan und keineswegs dazu angetan, einen Skandal zu provozieren. Kommt es doch in unserer Gesellschaft gar nicht so selten vor, dass junge, attraktive Damen – häufig Studentinnen aus durchaus bürgerlichen Familien – ihre knappe Kasse mit gelegentlicher Prostitution aufbessern. Manche haben sogar den Mut, Bücher über ihre Erfahrungen im ältesten Gewerbe der Welt zu veröffentlichen. Und dies nicht selten mit horrendem Erfolg.
Doch jetzt Vorhang auf für Frau Warrens Gewerbe, das sie, inzwischen bereits reiferen Alters, um das Jahr 1894 immer noch äußerst lukrativ betreibt. Mitten im Winter überrascht das English Theatre den Zuschauer mit einem anmutigen frühlingshaften Bühnenbild. Und in dieser üppig grünen Gartenlandschaft ruht eine junge Dame sich von ihren anstrengenden Studien an der Eliteuniversität Cambridge aus. Miss Vivie Warren, die Tochter der Kitty Warren, ist ein rechter Blaustrumpf – hoch gebildet und mit jener leicht flapsigen Arroganz ihrer „Klasse“ ausgestattet. Als die verwöhnte junge Frau erfährt, dass sie gar nicht mit dem berühmten silbernen Löffel im Mund geboren wurde, sondern ihren gehobenen Lebensstil ausschließlich der Kette von Bordellen verdankt, die ihre Mutter auf dem „Kontinent“ besitzt, ist sie zunächst gar nicht amüsiert. Erstaunlicherweise erkennt sie jedoch deren Notlage an, die die aus ärmsten Verhältnissen Stammende in ihre Karriere als „Puffmutter“ trieb. Ein Happy End also? Weit gefehlt. Denn Vivie erwartet von Mutter Kitty den Rückzug aus ihrem verwerflichen Gewerbe, das auf der Ausbeutung junger armer Frauen beruht. Da diese, seit langem an die satten Einnahmen gewöhnt und entsprechend abgebrüht, sich aber strikt weigert, bricht Vivie mit ihrer Mutter, um künftig ihren Weg als eigenständige Geschäftsfrau zu gehen. Und die Moral von der Geschicht’: Allein Vivies exquisite Ausbildung hat sie davor bewahrt, eine ähnlich zweifelhafte Laufbahn wie ihre Mutter einschlagen zu müssen.
Merke: Wissen ist Macht und ebnet den Weg zu glänzenden Karrieren.
Natürlich wurde um diese Kernbotschaft ein Netz mit einem vielschichtigen Bühnenpersonal gesponnen. Da ist der Pfarrer der Gemeinde, Reverend Frank Gardner, gespielt von Tony Stansfield. Er stellt den freundlichen, aber schwachen Geistlichen, der ganz nebenbei noch Vivies leiblicher Vater ist, sehr liebenswürdig und typisch britisch dar. Sohn Frank (Joel Sams) gibt den Leichtfuß und glühenden Verehrer Vivies, der um ihre Hand anhält. Als sich herausstellt, dass er der Halbbruder der Angebeteten ist, muss er Verzicht üben. Als Franks Gegenspieler um die Hand Vivies tritt Sir George Crofts auf den Plan, ein skrupelloser halbseidener Snob in feinem Zwirn. Ein Weggefährte und Geschäftspartner Kitty Warrens, der seinem Gebaren nach zu urteilen ganz und gar nicht von altem Adel ist! Auch dieser „Gentleman“ hat bei Vivie keine Chance. Christopher Knotts, dem auf englischen Bühnen bekannten Darsteller, scheint diese Rolle auf den Leib geschrieben zu sein.
Er spielt sie mit der gebotenen Borniertheit und Brutalität. Mr. Praed, alias David Alcock, verkörpert den schöngeistigen Verehrer Vivies, ein weiser Mann und Philosoph, der ihren Liebreiz rein platonisch aus der Ferne bewundert. Bleiben noch die beiden Hauptdarstellerinnen, die wir mit Lorbeer bekränzen möchten. Leidenschaftlich und mit jeder Faser in ihr intensives Spiel als Kitty Warren vertieft – Jilly Bond, die in allen Sätteln gerechte, aus Radio, Film und Fernsehen bekannte britische Mimin. Jennifer Kidd gibt die Rolle ihrer liebreizenden, aber renitenten Tochter mit Bravour. Es gelingt ihr, auch die von ihrer Mutter ererbte Härte und Kompromisslosigkeit überzeugend darzustellen.
Hier wird ganz großes Theater mit herausragenden Schauspielern geboten, in Szene gesetzt von dem jungen, viel versprechenden Regietalent und Stückeschreiber Julian Woolford. Kompliment! Neben den bereits erwähnten wunderbaren pastellfarbenen Kulissen des Bühnenbildners Mathias Wardeck bezauberten auch die eleganten historischen Kostüme von Patricia Royo. Alles in allem ein hinreißender Theaterabend!
Zum Schluss noch einige dem großen George Bernhard Shaw gewidmete Worte: GBS war zweifellos einer der genialsten Bühnenautoren des 19. und 20. Jahrhundert. Ihm, der im streng katholischen Irland aufwuchs und in jungen Jahren bereits nach London übersiedelte, war ein langes Leben vergönnt. 94 Jahre wurde jener Autor, der die Zeit nutzte, um die sozialen Missstände seiner Epoche in Artikeln und Theaterstücken scharfsinnig und spitzzüngig zu geißeln. Selbstverständlich nicht zur reinen Freude politisch einflussreicher Kreise. Ein großer Bewunderer des Norwegers Henrik Ibsen, schloss er sich dessen Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Zuständen an und schrieb eine Reihe provozierender, in beißendem Sarkasmus verfasster Stücke – unter anderen „Die Häuser des Herrn Sartorius“, „Helden“, Der Teufelsschüler“, „Der Liebhaber“ und „Pygmalion“. Letztere Komödie diente als Vorlage für das weltberühmte Musical „My Fair Lady.“ Das hier behandelte Stück erlebte 1902 seine Uraufführung und löste einen Sturm der Entrüstung bei den scheinbar so braven und über alle Zweifel erhabenen Bürgern aus. Vom Adel ganz zu schweigen. Im Jahre 1925 wurde GBS von der schwedischen Akademie mit dem mehr als verdienten Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Bleibt zu hoffen, dass „Mrs. Warren’s Profession“ nicht das einzige Stück Shaws bleibt, welches auf der Bühne des English Theatre of Hamburg zur Zeit seine Renaissance erlebt.
„Mrs Warren’s Profession“ läuft noch bis einschließlich 23. April 2011 – Unser Tipp: Sofort anrufen und Karten bestellen unter der Telefonnummer: 040 – 227 70 89 – Weitere Infos unter www.englishtheatre.de
Nächste Premiere am 5. Mai 2011 von „Rose’s Dilemma“, einer Komödie des amerikanischen Erfolgsautor Neil Simon
Fotos: English Theatre