erschienen in der PAZ von Dr. Manuel Ruoff
Am Tage von Japans Kapitulation rief der Vietnamese auf Hanois Ba-Dinh-Platz die Unabhängigkeit seines Heimatlandes aus
Die Niederlage der Französischen Republik gegen das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg eröffnete dem antikolonialen Widerstand in Französisch-Indochina neue Möglichkeiten. Im Mai 1941 gründeten Vietnamesen auf einem Kongress im chinesischen Grenzstädtchen Tien Tsi die „Liga für die Unabhängigkeit Vietnams“ (Vietminh). Mit ihr gelang es den vietnamesischen Kommunisten wie kaum einer anderen kommunistischen Partei, nationalgesinnte Nicht-Kommunisten zur Unterstützung zu bewegen. Nach der „Niederwerfung der japanischen Faschisten und der französischen Imperialisten“ sollte eine „Revolutionsregierung der Demokratischen Republik Vietnams“ gebildet werden. Zum Präsidenten der Vietminh wurde Ho Tschi Minh gewählt.
Nachdem Ho Tschi Minh zugesagt hatte, mit der später gegründeten und der Kuomintang nahestehenden „Revolutionären Liga Vietnams“ zusammenzuarbeiten, erhielten die Vietminh finanzielle Unterstützung seitens der Nationalchinesen. Auch die USA hielten den antijapanischen Kampf der Vietminh für unterstützungswürdig. So erhielten die Vietminh US-amerikanische Militärhilfe, nachdem Ho Tschi Minh Verbindung zu dem US-amerikanischen Oberbefehlshaber in Südchina, dem Chef des Nachrichtendienstes der US-Marine in Tonking und dem Chef der in Kunming befindlichen Abteilung des Office of Strategic Services aufgenommen hatte.
So militärisch gestärkt verkündete Ho Tschi Minh im Sommer 1944, dass die Phase der friedlichen Revolution nun vorbei sei, warnte aber seine ungeduldigen Kampfgefährten vor einem zu starken militärischen Engagement, erkennend, dass sich die Erfolgschancen für eine allgemeine Erhebung noch verbessern würden. Anfang Dezember 1944 sah Ho Tschi Minh die Zeit gekommen, die „Propagandabrigade der Befreiungsarmee Vietnams“ ins Leben zu rufen. Am 22. des Monats wurde dann der Keim der einige Monate später auf einen Befehl Ho Tschi Minhs vom 4. Juni 1945 hin geschaffenen Befreiungsarmee aus 34 Guerillakämpfern gebildet und dem Befehl Vo Nguyen Giaps unterstellt. Der militärisch äußerst begabte Geschichtslehrer und Held der späteren beiden Vietnamkriege vergrößerte in den folgenden Monaten erfolgreich die Streitmacht und den Einflussbereich der Vietminh. In den Instruktionen zum Aufbau dieser Propaganda-Einheit machte Ho Tschi Minh jedoch deutlich, dass zurzeit noch der politischen Aktion größere Bedeutung beizumessen sei als der militärischen.
Die französische Kolonialmacht nahm den zunehmenden Einflussgewinn der Vietminh sehr wohl wahr und blieb nicht untätig. Für den 12. März 1945 plante sie einen vernichtenden militärischen Schlag gegen die Vietminh. Dass es dazu nicht kam, verdankten die Vietminh Deutschlands Verbündetem Japan. Dessen Militär entwaffnete nämlich am 9. März 1945 die französischen Kolonialtruppen und inhaftierte die Kolonialbeamten. Im Kaiserpalast von Hie verkündete am 11. März 1945 der Kaiser von Annam, Bao Dai, die Aufhebung des französischen Protektorats und rief einen vietnamesischen Staat aus mit seiner Person als Oberhaupt.
Die Militärs Japans, dessen militärische Lage immer ungünstiger wurde, hatten mit der Befreiung Vietnams von der französischen Herrschaft die Hoffnung verbunden, dadurch in Vietnam Sympathien zu erwecken und Verbündete zu finden. Hinsichtlich der Vietminh traf dieses jedoch nicht zu. Diese kamen nach der Entmachtung der Franzosen vielmehr zu dem Schluss, dass es nunmehr nur noch einen Feind gäbe: Japan. Dieser nunmehr einzige Feind der Vietminh und Besitzer der entscheidenden militärischen Macht in Vietnam musste am 15. August um Waffenstillstand bitten.
Ho Tschi Minh erkannte die günstige Situation, die damit für die Vietminh entstanden war, und reagierte. Einen Tag später, am 16. August, trat auf Initiative der Vietminh ein Nationaler Kongress, an dem 60 Vertreter unterschiedlicher Richtungen teilnahmen, in Tan Trao in der Provinz Tuyen Quang zusammen und setzte ein 14-köpfiges Nationales Befreiungskomitee, von dem elf Mitglieder als Kommunisten oder Vietminh bekannt waren, als Provisorische Regierung ein. Dessen Vorsitzender wurde der Kongressvorsitzende Ho Tschi Minh. Noch am selben Tag erließ Ho Tschi Minh im Namen der Provisorischen Regierung den „Aufruf zum Allgemeinen Aufstand“. Der Aufruf verfehlte nicht seine Wirkung. Am 19. August fiel Hanoi, am 23. August Hue und am 25. August Saigon in die Hände der Vietminh. An jenem 25. August dankte auch Kaiser Bao Dai ab. Am 29. August wurde die Provisorische Regierung mit Ho Tschi Minh als ihrem Präsidenten offiziell eingesetzt.
Am 2. September dann, dem Tag der Unterzeichnung der japanischen Kapitulationsurkunde, verlas Ho Tschi Minh auf dem Ba-Dinh-Platz in Hanoi die von ihm verfasste Unabhängigkeitserklärung der Demokratischen Republik Vietnam, die in vielem vor der amerikanischen inspiriert war. Zum ersten Präsidenten der neuen Republik wählte ein halbes später die aus den allgemeinen Wahlen vom 6. Januar 1946 hervorgegangene Nationalversammlung auf ihrer ersten Sitzung Ho Tschi Minh.
Schon bald endete zwar das von Ho Tschi Minh ausgenutzte Machtvakuum, doch konnten sich die Vietnamesen ihre vor 70 Jahren proklamierte Unabhängigkeit bis in die Gegenwart bewahren