Von Dr. Manuel Ruoff
erschienen in der PAZ
Gyula Andrássy brachte es vom in effigie hingerichteten Revolutionär bis zum Außenminister einer Großmacht
Wer bei der „Sissi“-Trilogie beim zweiten Teil „Sissi – Die junge Kaiserin“ oder aber im Geschichtsunterricht beim Thema Berliner Kongress aufgepasst hat, kennt
Gyula Andrássy. Vor 125 Jahren ist der ungarische Graf gestorben.
Gyula Graf Andrássy von Csík-Szent-Király und Kraszna-Horka stand seinem Herrscherhaus, den Habsburgern, ambivalent, hingegen den Preußen gleich in doppelter Hinsicht positiv gegenüber. Beides resultierte aus seinem ungarischen Nationalismus, den er mit vielen anderen Angehörigen der ungarischen Oberschicht seiner Zeit teilte.
Kindheit, Jugend und Ausbildung des am 8. März 1823 in Kaschau geborenen ungarischen Grafen verliefen standesgemäß. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Budapest, unternahm Auslandsreisen, um die Welt kennenzulernen und nahm anschließend eine seinem Stande entsprechende Stellung im Staatsaufbau ein. Die 48er Revolution und sein Nationalismus ließen ihn jedoch in Konflikt mit der Staatsgewalt geraten. Er beteiligte sich aktiv an der ungarischen Revolution gegen die Habsburger. Nachdem er sich im Kampfe gegen die Österreicher bewährt hatte, wurde er von der ungarischen Revolutionsregierung als deren Vertreter nach Konstantinopel geschickt. Nach der Niederschlagung der 48er Revolution ging Andrássy von dort ins westeuropäische Exil. In Abwesenheit wurde er von der Donaumonarchie zum Tode verurteilt und in effigie, also symbolisch, hingerichtet.
Obwohl sein deutscher Herrscher seinen Kopf wollte, entwickelte sich Andrássy im Exil aber nicht etwa zu einem Deutschlandhasser, sondern vielmehr zu einem Freund Deutschlands. Das lag daran, dass er nicht in den Deutschen, sondern in den Russen und deren Panslawismus die große Gefahr für Ungarn sah. Er wusste, dass Ungarn alleine Russland nicht gewachsen war. „Wir können nur dann siegen, wir werden nur dann nicht zum Opfer fallen, wenn wir im Kampfe nicht isoliert dastehen“, sagte er. An Ungarns Seite wünschte er Deutschland. Deshalb erstrebte er eine „enge Eintracht mit den Völkern des großen Deutschlands“.
Sein Streben galt deshalb guten Beziehungen zu Preußen – aber auch zu den Deutschösterreichern, mit denen er im Gegensatz zu anderen Ungarn weiterhin unter einem Staatsdach vereint leben wollte. Allerdings wünschte er für seine Landesleute Gleichberechtigung, neudeutsch: Augenhöhe mit den Deutschösterreichern. Dieses war jedoch schwerlich zu erreichen, solange die Habsburger nicht nur in Österreich die Herrschaft, sondern auch im Deutschen Bund zumindest die (Vor-)Herrschaft ausübten. In einem Herrschaftsgebiet der Habsburger, das von der Nord- und Ostsee bis zur Adria reichte, also Gesamtdeutschland einschloss, würde Ungarn nur ein Appendix, eine Provinz bleiben. Nur wenn die Herrschaft der Habsburger über die Deutschen auf jene in Österreich beschränkt wurde, konnte Ungarn zur gleichberechtigten zweiten Staatssäule in der Habsburgermonarchie aufsteigen.
Insofern war Preußens Ministerpräsident Otto von Bismarck mit seinem Versuch, die österreichische Vorherrschaft in Deutschland zu beenden, Andrássys natürlicher Verbündeter. Erst nach Preußens Sieg über Österreich im Deutschen Krieg von 1866, der anschließenden Auflösung des Deutschen Bundes und dem erzwungenen Verzicht Österreichs auf die Vorherrschaft in Deutschland konnte Andrássys großes innenpolitische Ziel Wirklichkeit werden: der Aufstieg Ungarns von einer Provinz des österreichischen Kaiserstaates zu einem gleichberechtigten eigenständigen Königreich neben Österreich unter dem gemeinsamen Dache einer Doppelmonarchie. Andrássy wirkte an diesem sogenannten Ausgleich von 1867 zwischen Österreichern und Ungarn, der zur kaiserlichen und königlichen Monarchie Österreich-Ungarn führte, maßgeblich mit und wurde im Jahre des Ausgleichs der erste Ministerpräsident des nun gleichberechtigten Königreiches Ungarn.
Als Preußen 1870 durch den Krieg mit Frankreich in Bedrängnis geriet, witterten manche österreichischen Revanchisten ihre Chance. Andrássy war naheliegenderweise gegen eine Revanche, so wie er auch dagegen war, dass die Zustände von vor dem Deutschen Krieg und damit Österreichs Vorherrschaft in Deutschland restauriert wurde. Andrássy trug das Seine dazu bei, dass die Revanchisten unterlagen. Österreich-Ungarn blieb im Deutsch-Französischen Krieg neutral. Preußens Sieg bestätigte und verfestigte das Ergebnis des Deutschen Krieges, sprich das Ende der österreichischen Vorherrschaft in Deutschland. Angesichts Habsburgs Entscheidung gegen den Revanchismus war es konsequent, dass der Bismarck-kritische Deutsche Friedrich Ferdinand von Beust als Außenminister 1871 entlassen wurde und Ungarns preußenfreundlicher Ministerpräsident auf seinen Stuhl wechselte.
Als österreich-ungarischer Außenminister ging Andrássy nun daran, sein außenpolitisches Programm, die Absicherung der Donaumonarchie gegen Russland mit Hilfe Preußens beziehungsweise des Deutschen Reiches, zu bewerkstelligen. Andrássy wusste, dass Bismarck nicht um der Freundschaft mit Wien willen die bewährte Freundschaft mit Sankt Petersburg opfern würde. Er erkannte, dass der Weg nach Berlin über Sankt Petersburg führte und war zur Verbesserung der seit dem Krimkrieg angespannten Beziehungen zu Russland bereit. Das Dreikaiserabkommen von 1873 war ein erster Erfolg. Im Russisch-Osmanischen Krieg von 1877/78 hielt Andrássy die Füße still, aber der russische Siegfrieden von San Stefano wurde von ihm dann doch nicht widerstandslos hingenommen. Er erreichte 1878 eine Revision auf dem Berliner Kongress. Österreich-Ungarn erhielt dort das Recht, Bosnien-Herzegowina zu verwalten, und das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Russland nahm nachhaltigen Schaden. Nun war Berlin reif für ein Bündnis mit Wien unter Ausschluss Sankt Petersburgs. 1879 wurde der Zweibund geschlossen.
Diesen krönenden Abschluss von Andrássys Außenpolitik wartete dessen Kaiser Franz Joseph I. noch ab, dann gewährte er seinem Außenminister die erbetene Entlassung. Der Ungar zog sich in seine Heimat zurück. Andrássy erkrankte an Blasenkrebs. Die Suche nach einem milden Klima führte ihn an die Adria. Am 18. Februar 1890 starb er in der Villa Minach im Fischerdorf Volosko an der Kvarner Bucht.