Hommage an Ruth Geede, eine Grande Dame des Journalismus
Von Uta Buhr
Wie porträtiert man eine Legende? Es gibt leichtere Aufgaben für einen Journalisten. Dennoch soll hier der Versuch unternommen werden, dem Geheimnis der wortschöpferischen Kraft einer der großen Persönlichkeiten des deutschen Journalismus auf die Spur zu kommen. Die Rede ist von Ruth Geede – mit bürgerlichem Namen Ruth Vollmer-Rupprecht – die trotz ihres biblischen Alters von sechsundneunzig Jahren noch jeden Tag mit einer nicht versiegenden geistigen Frische schreibt, recherchiert und fabuliert, als sei dies ganz selbstverständlich.
Ruth Geede – die älteste noch schreibende Journalistin der Welt
Da sitzt sie an ihrem Computer, die dienstälteste Journalistin der Welt, und bittet ihre Besucherin um etwas Geduld, weil sie noch ganz schnell einen Artikel zu Ende bringen will. Während einer gemütlichen Teestunde in ihrem holzgetäfelten Atelier im Hamburger Stadtteil Niendorf plaudert sie locker aus ihrem Leben, das am 13. Februar 1916 im ostpreußischen Königsberg begann. Ganze zweidreiviertel Pfündchen wog das Frühchen bei seiner Geburt. Als Brutkasten, der seinerzeit noch nicht erfunden war, diente die Armbeuge ihrer Mutter, die das „Marjellchen“ päppelte, bis es allein lebensfähig war. Das Töchterchen ging bereits in jungen Jahren „aufs Janze“, wie es auf gut Ostpreußisch heißt. Denn mit gerade fünfzehn Jahren veröffentlichte Ruth Geede ihr erstes Gedicht in der angesehenen „Königsberger Allgemeinen Zeitung.“ Allein der Titel ist Programm: „Der Optimist und der Pessimist.“ Denn Optimismus prägt das Leben dieser ungewöhnlichen Frau bis auf den heutigen Tag. Ohne das zu ihrem Lebens- und Überlebensprinzip erhobene positive Denken hätte sie wohl kaum die Strapazen der Flucht aus der geliebten „kalten Heimat“ und den Neuanfang im Westen meistern können.
Die Flucht aus Ostpreußen
Ruth Geede besitzt die Gabe, ihre Lebensgeschichte so plastisch zu schildern, dass die Bilder wie ein Film vor dem Auge des Zuhörers vorbeiziehen. Ihre Vita liest sich wie eine Zeitreise durch das letzte Jahrhundert. An Selbstbewusstsein hat es dieser Frau nie gemangelt. Denn bereits mit 16 bat sie um Aufnahme in den deutschen Schriftstellerverband, was ihr jedoch verwehrt wurde mit den lakonischen Worten: „Kinder nehmen wir nicht auf.“ 1934, gerade 18 geworden, startete sie ihre Karriere als Journalistin und Schriftstellerin. Sie schrieb Reportagen und Geschichten, arbeitete für den Rundfunk und brachte ihr erstes Buch mit dem Titel „De Lävenstruuß“ heraus, dem im Laufe ihres langen Lebens noch weitere 49 Werke folgen sollten, darunter viele heitere und besinnliche Erzählungen wie „Kurische Legende“ und „Königsberger Impressionen.“ Auch Hörspiele und Theaterstücke gehören zu Ruth Geedes umfangreichem Répertoire.
Ein durch und durch erfülltes Leben
Ein wunderbares, schon in jungen Jahren erfülltes Leben nahm im Frühjahr 1945 eine dramatische Wende. „Wir wussten auch im Januar noch nicht, dass der Russe schon vor der Tür stand. Königsberg war eine Festung, und jeder von uns glaubte, sie sei uneinnehmbar“, berichtet Ruth Geede. Das Leben schien wie immer – die Kinder gingen zur Schule, Geschäfte und Banken waren geöffnet. Alles lief seinen trügerischen normalen Gang. Bis ein gut informierter Bekannter Ruth empfahl, ihr Geld von der Bank abzuheben und sich flugs auf den Weg gen Westen zu machen. Gesagt wie getan. Da erwies sich ein alter BdM-Rock mit den großen Taschen als segensreich. Mit ihrer Mutter verließ die junge Frau Königsberg und begab sich bei Temperaturen von über 20 Grad unter Null auf den beschwerlichen Weg in eine ungewisse Zukunft. Bevor sie schließlich im sicheren Port – einem kleinen Ort in der Lüneburger Heide – landete, hatte sie viele dramatische Abenteuer zu bestehen. Eine vermeintliche Katastrophe auf der Strecke erwies sich später als Glücksfall, weil der kleine Trek dadurch noch dem Russen im letzten Augenblick „von der Schippe“ sprang. Als endlich der Hafen von Pillau erreicht war, ging es mit einem Minensuchboot der deutschen Kriegsmarine weiter und später mit der Reichsbahn mitten hinein in die britisch besetzte Zone.
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…Karriere in der neuen Heimat
Mir kommt bei der Schilderung dieses Abenteuers das Grimmsche Märchen „Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“, in den Sinn. Auch hier besteht der Held alle ihm auferlegten Prüfungen und verfolgt geläutert seinen
weiteren Lebensweg. Den beschritt auch Ruth Geede unbeirrt. Es folgte eine Redakteursstellung im Lokalteil der „Landeszeitung für die Lüneburger Heide“, wo sie über alles berichtete, was sich im Landkreis abspielte, „Vom Kaninchenzüchter in Klein-Kleckersdorf bis zur Hochzeit des Großbauern“,
wie Ruth Geede schmunzelnd erzählt. Natürlich konnte ihr Fabuliertalent
sich mit diesen Banalitäten, die dem reinen Broterwerb geschuldet waren,
nicht zufrieden geben. Sie fing wieder an, Bücher zu schreiben – u. a. Kinderbücher und das „Karussell“ herauszugeben, einen viel beachteten Kinderkalender, in welchem Tante Ruth ihre kleinen Leser mit schönen Geschichten und Versen beglückte.
Im Jahre 1950 begann die Journalistin für das „Ostpreußenblatt“ zu schreiben, dessen wichtigste Chronistin sie bis auf den heutigen Tag ist. Woche für Woche veröffentlicht sie in dieser Beilage, einem integralen Bestandteil der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“, eine einseitige Kolumne. Mit einem fröhlichen „Lewe Landslüüd“, begrüßt Ruth Geede an jedem Sonnabend die „Ostpreußische Familie“ und berichtet ihrer großen Fangemeinde über das Schicksal ihrer in alle Winde verstreuten Landsleute. Kommen Anfragen aus dem In- und Ausland über den Verbleib einer Familie aus der alten Heimat, setzt sie alles daran, diese Menschen wieder zusammenzuführen. Sehr häufig mit großem Erfolg. Unlängst ist es ihr gelungen, eine Verbindung zwischen einer Familie in der Auvergne (Zentralfrankreich) und deren lange verschollenen Angehörigen in Polen herzustellen. Chapeau! Lesungen aus ihren Werken gehörten bis vor Kurzem auch zu Ruth Geedes gern wahrgenommenen Aufgaben. Inzwischen hat sie diese zum Bedauern ihrer Anhänger aus Altersgründen aufgegeben. Freunde erzählen von ihren Auftritten auf der Leipziger Buchmesse, wo sie – die große alte Dame – stets der unbestrittene Star war. Eine Dame erinnert sich: „Da stand sie nun mit ihrem Markenzeichen, den pechschwarzen Haaren, wie üblich elegant gekleidet, und verkündete, dass dieser Auftritt vielleicht wegen ihres hohen Alters der letzte sein könnte. Tja, etwas kokett ist unser Ruthchen ja schon.“ Recht so. Ein Narr, der Schlechtes dabei denkt.
Das Bundesverdienstkreuz für ihr unermüdliches Engagement
Ein zentrales Thema im Leben der Schriftstellerin und Journalistin war ihre Ehe mit Günther Vollmer-Rupprecht, einem in Chile geborenen Kapitänsohn. Der mehrsprachige Gatte gab seinen kaufmännischen Beruf auf, um an der Seite seiner bereits berühmten Frau als Reisejournalist Karriere zu machen. Eine glückliche Ehe, die durch den Tod des Ehemannes ein viel zu frühes Ende fand. Doch Ruths Leben mit der Droge Literatur und Journalismus ging nahtlos weiter. Ihr rastloses Schreiben und das Engagement für andere Menschen brachten ihr 1985 das Bundesverdienstkreuz am Bande aus der Hand des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ein. Mehr geht wirklich nicht!
Auch heute ist sie wieder seit den frühen Morgenstunden aktiv. Jetzt muss sie noch die Kolumne und einen längeren Artikel für ihre Zeitung schreiben, sagt sie und blickt auf die Uhr. „Aber für eine Tasse Tee haben wir noch Zeit.“ Enkel Lasse – ein aufgeweckter Junge von 14 Jahren – ist hereingekommen, um seiner Großmutter einen kurzen Besuch abzustatten. Auf dem Fuß folgt der Familienhund Spike, der sich jedoch gleich wieder in Richtung Garten verabschiedet, weil er heute kein Würstchen erhält. Ein Familienidyll, das später noch durch Ute, die tatkräftige Schwiegertochter, vervollständigt wird. Ihre intakte Familie ist eine weitere Quelle für Ruth Geedes Schaffenskraft.
Eine unersetzliche Zeitzeugin
Eine Frage habe ich noch, bevor auch ich gehe: Was sagt Ruth Geede, die Expertin in Sachen Flucht aus dem Osten, zu dem Zweiteiler „Die Flucht“, der
vor Jahren im Fernsehen lief und aus meiner Sicht mit Ungereimtheiten und Widersprüchen gespickt ist? „Vor allem die Szene mit den Flüchtlingen, die in den von den Russen gebombten riesigen Kratern in der total vereisten Ostsee versinken, wieder herauskrabbeln und weiterlaufen, als wäre nichts geschehen! So ein Unsinn, schon die schweren Winterklamotten und das eiskalte Wasser haben jegliches Überleben vereitelt“, empört sich Ruth Geedes klare helle Stimme. Eigentlich hätte sie das Filmteam auf Wunsch der Produktionsleitung beraten sollen. Da aber die Dreharbeiten für diesen Film in Litauen stattfanden und sie seinerzeit nicht abkömmlich war, kam ihr Wissen nicht zum Einsatz. Schade!
Auf dem Heimweg kommt mir ein ständig wiederholtes Zitat in den Sinn, das
besagt, kein Mensch sei unersetzlich. Wirklich? Manche von uns sind leichter zu ersetzen als andere. Und einige wenige überhaupt nicht. Zur letzten Kategorie zählt Ruth Geede. Denn wer hat ihre Erinnerungen, die sie wie einen Schatz in sich verwahrt? Bleibt zu hoffen, dass sie und ihr Wissen uns noch lange erhalten bleiben mögen.
Liebe Ruth Geede, ich verneige mich vor Dir. Ganz tief.