Von Manuel Ruoff
Der am 11. Juni 1842 im oberfränkischen Berndorf geborene Pastorensohn Carl von Linde kam während seiner Gymnasialzeit in Kempten erstmals mit der Technik in Berührung. Die großen Dampfmaschinen und Turbinen der dortigen Aktien-Baumwollspinnerei faszinierten ihn so sehr, dass er nach dem Abitur am renommierten Polytechnikum in Zürich ein Studium aufnahm – das er aber nicht abschloss. Weil er sich beim Rektor allzu sehr für seines Erachtens zu Unrecht disziplinierte Kommilitonen einsetzte, wurde er nämlich der Hochschule verwiesen. Der Studienabbrecher wider Willen fand schließlich eine Stelle in einer Münchner Lokomotivfabrik. In der Zeitung hatte er gelesen, dass diese errichtet werden sollte, und seine Bewerbung um die Leitung des Konstruktionsbüros hatte Erfolg. Linde reizte jedoch die Freiheit von Forschung und Lehre, und als er von der bevorstehenden Gründung eines Polytechnikums in München, der heutigen Technischen Universität, erfuhr, bewarb er sich um den dortigen Lehrstuhl für theoretische Maschinenlehre. 1868 wurde das Polytechnikum gegründet und Linde deren außerordentlicher, 1872 dann ordentlicher Professor.
Linde war nicht nur ein großer Forscher und Erfinder, sondern besaß auch die Gabe, Marktlücken zu erkennen und diese mit ausgereiften, marktfähigen Entwicklungen zu füllen. Sein Spezialgebiet wurden Kältemaschinen. Anfänglich produzierte er diese Maschinen in Kooperation mit Industrieunternehmen. Die Nachfrage, insbesondere von Brauereien, erwies sich allerdings als derart groß, dass er 1878 die Lehrtätigkeit unterbrach und im darauffolgenden Jahr mit Kapitalgebern eine eigene Aktiengesellschaft gründete, um seine Entwicklungen selber zu produzieren.
Diese „Gesellschaft für Linde’s Eismaschinen“, die heutige „Linde AG“, leitete er bis 1890, als er sich in den Aufsichtsrat zurückzog, um sich nun wieder als Hochschullehrer am Polytechnikum stärker der Forschung zuzuwenden. Dort ging er der Frage nach, inwieweit Kältemaschinen genutzt werden können, um Gase unter den Siedepunkt abzukühlen und damit zu verflüssigen. Schließlich gelang es ihm, die Temperatur von Luft derart zu vermindern, dass sich die Einzelteile nacheinander verflüssigten und damit industriell gewonnen werden konnten. Auch diesmal verstand es Linde wieder, seine Entdeckungen in marktfähige Produkte umzusetzen.
Wenn man Lindes naturwissenschaftlich-technische Begabung und seine Geschäftstüchtigkeit auch nicht unbedingt von einem Pastorensohn hätte erwarten können, so doch die Art und Weise, wie er mit den daraus resultierenden Erträgen umging. Er beteiligte seine Mitarbeiter und stiftete viel für gemeinnützige Zwecke. Am 16. November 1934 starb das Multitalent in München.