Von Götz Egloff
Rezension zu Hermann Lang, Die strukturale Triade und die Entstehung früher Störungen. Klett-Cotta, Stuttgart, 2011
Höchst fundiert führt Hermann Lang, Heidelberg-Würzburger Emeritus für Medizinische Psychologie und Psychotherapie, auch in seinem neuen Buch den Leser in die Überlegungen zur strukturalen Psychoanalyse ein, zeigt geistesgeschichtliche Hintergründe, Denkrichtungen und Interpretationsfolien auf, mittels derer er zu detaillierten klinischen Fällen aus dem Formenkreis schizophrener, psychosomatischer und Borderline-Störungsbilder überleitet, auf sie zurückgreift und weiterentwickelt. Die ätiopathogenetischen Implikationen für die Behandlung erschließen sich geradezu von selbst; entlang derer rundet Lang seine Konzeption dann auch sehr nachvollziehbar ab.
Jenseits von einfühlendem Verstehen und naturwissenschaftlichem Erklären erinnert Lang an die hermeneutische Kunst des Interpretierens, die keinen feinschmeckerischen Vorgang darstellt, sondern für alle Menschen tägliches Handwerk ist – ob wir wollen oder nicht. Saussure und Lacan haben hier neben anderen Wegweisendes geleistet, und in deren Gefolge gelingt Lang die Verknüpfung von Strukturalismus und Psychoanalyse gewiss auch für Nicht-Kenner überzeugend. Die geheimnisvolle Durchdringung von Sprache und Psyche stellt seit jeher ein Faszinosum für anthropologisch und kulturwissenschaftlich orientierte Geisteswissenschaftler, Psychoanalytiker und Psychiater dar. Faszinierend ebenso, wie transdisziplinäre Einflüsse von z.B. Gregory Bateson, Margaret Mead und Claude Lévi-Strauss immer wieder fruchtbar gemacht werden können, die Gesamtschau des Menschen zur Gesamtschau des Psychischen in dessen sprachlich vermitteltem Kontext wird – auf eine ontologische Verfasstheit verwiesen und somit eine Psychologisierung vermieden wird. Dabei ist der Autor immer dem empirischen Denken verpflichtet, ohne empiristisch zu werden – wo gibt es das noch? Entschlossen in seiner Darstellung lädt Lang zum konsequenten Denken des Ödipalen ein, und es zeigt sich: es bedarf kaum einer grundlegenden Revision dieses Konzeptes, stattdessen eher der konsequenten Durchdringung und Anwendung. Gewiss ist damit nicht Alles und Jedes erklärt, und hinsichtlich der Interventionen steht durchaus auch einmal anderes auf dem Blatt als gespielt wird; die klare Linie jedoch ist unabweisbar.
Es geht Lang, wie auch schon in früheren Veröffentlichungen, um die Kennzeichnung der Ödipalität durch die strukturale Triade, die fundamental im Sein der Eltern beheimatet ist und eine triadische Struktur vorgibt. Der Vater ist zu jedem Zeitpunkt, ob real abwesend oder nicht, dabei: nämlich symbolisch im Begehren der Mutter. So gesehen, gibt es keine Zwei-Einheit, keine Dyade von Baby und Mutter, sondern immer nur eine Triade von Baby, Mutter und symbolischem Vater.
Erstaunlich ist immer wieder, wie reichhaltig auch der Rückgriff auf manche vergessen erscheinende Konzepte nicht nur aus den 1970er Jahren ist. Bedauerlich, dass gerade ältere Arbeiten wie die von Stierlin, Wyss, Bräutigam und Christian zur Zeit kaum aktiv gelehrt werden. Sie drohen im Dickicht der inflationären und erkenntnisminimierten quantitativen Forschung unterzugehen. Auch die Verschränkung der Heidelberger anthropologischen Psychosomatik mit psychoanalytischen Konzepten, mit und ohne Lacan, hinführend zu, wenn nicht systemischen, zumindest familienorientierten Interventionen, macht die subjektorientierte Engführung in ihrem systemischen Gefüge greifbar und lässt an die analytisch-systemische Düsseldorfer Schule à la Fürstenau denken.
Gewiss ist die Frage nach der Geschichtlichkeit bio-psycho-sozialer Zusammenhänge nicht hinreichend geklärt – oder klärbar. Kleine Invektiven gegen Lorenzer, Reich und Marcuse müssten nicht sein, denn dass im familiendynamisch-psychopathologischen Gepräge auch eine sozio-kulturelle Verfasstheit mitschwingen dürfte, wird sicherlich zu wenig berücksichtigt. Und wer kann sagen, ob das Verlustig-gehen der Signifikate im virtualisierten Spätkapitalismus nicht auch Einfluss auf die Signifikanten hat? Hier könnten Baudrillards Überlegungen weiterführen.
Langs Buch ist ein hervorragender Zugang zu Phänomenen von Psychopathologie. Ein höchst anregendes Buch, das Linguisten, Sozialisationstheoretiker, Psychiater und Psychoanalytiker sowie Wissenschaftler verschiedenster Couleur ansprechen wird.