von Dr. Manuel Ruoff
Hinrich Wilhelm Kopf gehörte zu den westdeutschen SPD-Landesvätern, die eher Pragmatiker als Ideologen waren
Wie seine Zeit- und Amtsgenossen in den nordwestdeutschen Stadtstaaten Hamburg und Bremen Max Brauer und Wilhelm Kaisen war Hinrich Wilhelm Kopf eher vom Typus Landesvater als Arbeiterführer. Der „Rote Welfe“ wurde er genannt, und er hörte es ganz gerne, entsprach es doch seinem Selbstverständnis. Mit einer Mischung aus Respekt gegenüber dem politischen Instinkt und Missachtung ob des Fehlens einer Ideologie, die den Intellektuellen zu faszinieren vermag, spricht der „Spiegel“ seinerseits von einem „Bonhomme der Vernunft“.
Der am 6. Mai 1893 zur Welt gekommene bauernschlaue Bauernsohn aus Neuenkirchen (Land Hadeln) bei Cuxhaven brach mit 16 die Schulausbildung ab, um in Amerika sein Glück zu suchen. Das fand er dort jedoch nicht. Stattdessen erkrankte er am Blinddarm und kehrte bereits ein Jahr nach seiner Auswanderung in die Heimat zurück, wo er das Abitur nachholte, eine landwirtschaftliche Lehre absolvierte und Jura studierte.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete Kopf sich als Freiwilliger. In der Novemberrevolution wurde der Angehörige der Marineartillerie Soldatenratsmitglied in Cuxhaven. Eben noch selber Soldatenrat, trat Kopf kurze Zeit später dem Freikorps Landesjäger bei, das unter Generalmajor Georg Ludwig Rudolf Maercker auch gegen Arbeiter- und Soldatenräte eingesetzt wurde. Dort diente er als Presseoffizier.
1919 wechselte er in analoger Funktion ins Zivilleben. In Bielefeld richtete er ein Städtisches Presseamt ein. Dabei lernte er führende Sozialdemokraten kennen, darunter Carl Severing, mit dem er sich anfreundete und in dessen Partei er eintrat. Kaum SPD-Mitglied wurde er noch 1919 persönlicher Referent des sozialdemokratischen Reichsinnenministers Eduard David. 1920 holte ihn Severing ins preußische Innenministerium, von wo aus er schon bald nach Thüringen wechselte, wo er als Regierungsrat die dortige Landespolizei aufbaute.
Nach der Inflation wechselte Kopf in die Banken- und Versicherungsbranche, kehrte jedoch bereits 1928 wieder als Landrat seines Heimatkreises in den Dienst am Staate zurück. Abgesehen von einer kurzen Unterbrechung infolge des sogenannten Preußenschlages verblieb Kopf im Staatsdienst, bis die Nationalsozialisten nach ihrer „Machtergreifung“ den Sozialdemokraten entließen. Kopf kehrte in seinen vor 1928 ausgeübten Beruf zurück.
Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete Kopf als Vermögensverwalter für die Haupttreuhandstelle Ost. Da diese Behörde im Generalgouvernement Beschlagnahmungen polnischen Vermögens veranlasste, verlangte 1948 die polnische Regierung von den Briten Kopfs Auslieferung. Doch der hatte unter der Obhut der britischen Besatzungsmacht längst Karriere gemacht.
1945 machten die Engländer Kopf zum Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hannover. Nachdem die Siegermächte den preußischen Staat für aufgelöst erklärt hatten, wurde Kopf Ministerpräsident des Landes Hannover. Dem nordwestdeutschen Politiker, dem die Reichsreformpläne der 20er Jahre sehr wohl vertraut waren, nutzte die Umbruchsituation, um das Projekt Niedersachsen voranzutreiben, bei dem es sich um einen Zusammenschluss seines Landes mit den kleineren Territorien Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe handelte. Nachdem sein Ziel erreicht, das Land gegründet war, wurde Kopf dessen erster Ministerpräsident. In dieser Eigenschaft nahm er auch maßgeblich auf die niedersächsische Verfassung Einfluss. Legendär ist sein Besuch der damals noch zu Niedersachsen gehörenden Insel Neuwerk, wo er sich 1947 auf dem noch legendäreren Neuwerker Leuchtturm seine Gedanken über das 1951 verabschiedete Verfassungswerk machte.
1955 wurde Kopfs Dienst am Allgemeinwesen ein weiteres Mal unterbrochen. Nach der vorausgegangenen Landtagswahl wurde seine Allparteienkoalition durch eine bürgerliche unter Führung Heinrich Hellweges von der Deutschen Partei (DP) abgelöst. Ähnlich wie SPD-Bürgermeister Brauer 1953 in Hamburg zog sich auch Kopf nach dem Amtsverlust kurzfristig aus der Politik zurück. Das Drücken der Oppositionsbank war beider Ding nicht.
Doch anders als Brauer kehrte Kopf noch während der Legislaturperiode als Innenminister und wenigstens stellvertretender Ministerpräsident zurück. Möglich wurde dieses durch die Erweiterung der Regierungskoalition um die SPD im Jahre 1957. Nach der dritten Landtagswahl von 1959 gelang es der SPD, den Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und die FDP für eine von ihr geführte Regierungskoalition zu gewinnen. Kopf übernahm erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Schon seit Jahren von Kreislaufstörungen und Leberbeschwerden geplagt, verstarb der in Preußen geborene Niedersachse im Amt am 21. Dezember 1961.